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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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Ein solcher Beweis für das Dasein himmlischer Mächte aus der Schönheit und unendlichen Größe der Werke der Schöpfung steht in dem Alterthum sehr vereinzelt da.

Was wir, ich sage nicht in der Empfänglichkeit des griechischen Volkes, sondern in den Richtungen seiner litterarischen Productivität vermissen, ist noch sparsamer bei den Römern zu finden. Eine Nation, die nach alter siculischer Sitte dem Feldbau und dem Landleben vorzugsweise zugethan war, hätte zu anderen Hoffnungen berechtigt; aber neben so vielen Anlagen zur praktischen Thätigkeit war der Volkscharakter der Römer in seinem kalten Ernste, in seiner abgemeßnen, nüchternen Verständigkeit, sinnlich weniger erregbar, der alltäglichen Wirklichkeit mehr als einer idealisirenden dichterischen Naturanschauung hingegeben. Diese Unterschiede des inneren Lebens der Römer und der griechischen Stämme spiegeln sich ab in der Litteratur als dem geistigen Ausdruck alles Volkssinnes. Zu ihnen gesellt sich noch, trotz der Verwandtschaft in der Abstammung, die anerkannte Verschiedenheit in dem organischen Bau der beiden Sprachen. Der Sprache des alten Latium wird mindere Bildsamkeit, eine beschränktere Wortfügung, "eine mehr realistische Tendenz" als idealische Beweglichkeit zugeschrieben. Dazu konnte im Augusteischen Zeitalter der entfremdende Hang griechischen Vorbildern nachzustreben den Ergießungen heimischer Gemüthlichkeit und eines freien Naturgefühls hinderlich werden; aber, von Vaterlandsliebe getragen, wußten kräftige Geister durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen, wie durch zarte Anmuth der Darstellung jene Hindernisse zu überwinden.

Reichlich mit poetischem Genius ausgestattet ist das

Ein solcher Beweis für das Dasein himmlischer Mächte aus der Schönheit und unendlichen Größe der Werke der Schöpfung steht in dem Alterthum sehr vereinzelt da.

Was wir, ich sage nicht in der Empfänglichkeit des griechischen Volkes, sondern in den Richtungen seiner litterarischen Productivität vermissen, ist noch sparsamer bei den Römern zu finden. Eine Nation, die nach alter siculischer Sitte dem Feldbau und dem Landleben vorzugsweise zugethan war, hätte zu anderen Hoffnungen berechtigt; aber neben so vielen Anlagen zur praktischen Thätigkeit war der Volkscharakter der Römer in seinem kalten Ernste, in seiner abgemeßnen, nüchternen Verständigkeit, sinnlich weniger erregbar, der alltäglichen Wirklichkeit mehr als einer idealisirenden dichterischen Naturanschauung hingegeben. Diese Unterschiede des inneren Lebens der Römer und der griechischen Stämme spiegeln sich ab in der Litteratur als dem geistigen Ausdruck alles Volkssinnes. Zu ihnen gesellt sich noch, trotz der Verwandtschaft in der Abstammung, die anerkannte Verschiedenheit in dem organischen Bau der beiden Sprachen. Der Sprache des alten Latium wird mindere Bildsamkeit, eine beschränktere Wortfügung, „eine mehr realistische Tendenz" als idealische Beweglichkeit zugeschrieben. Dazu konnte im Augusteischen Zeitalter der entfremdende Hang griechischen Vorbildern nachzustreben den Ergießungen heimischer Gemüthlichkeit und eines freien Naturgefühls hinderlich werden; aber, von Vaterlandsliebe getragen, wußten kräftige Geister durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen, wie durch zarte Anmuth der Darstellung jene Hindernisse zu überwinden.

Reichlich mit poetischem Genius ausgestattet ist das

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[16/0021] Ein solcher Beweis für das Dasein himmlischer Mächte aus der Schönheit und unendlichen Größe der Werke der Schöpfung steht in dem Alterthum sehr vereinzelt da. Was wir, ich sage nicht in der Empfänglichkeit des griechischen Volkes, sondern in den Richtungen seiner litterarischen Productivität vermissen, ist noch sparsamer bei den Römern zu finden. Eine Nation, die nach alter siculischer Sitte dem Feldbau und dem Landleben vorzugsweise zugethan war, hätte zu anderen Hoffnungen berechtigt; aber neben so vielen Anlagen zur praktischen Thätigkeit war der Volkscharakter der Römer in seinem kalten Ernste, in seiner abgemeßnen, nüchternen Verständigkeit, sinnlich weniger erregbar, der alltäglichen Wirklichkeit mehr als einer idealisirenden dichterischen Naturanschauung hingegeben. Diese Unterschiede des inneren Lebens der Römer und der griechischen Stämme spiegeln sich ab in der Litteratur als dem geistigen Ausdruck alles Volkssinnes. Zu ihnen gesellt sich noch, trotz der Verwandtschaft in der Abstammung, die anerkannte Verschiedenheit in dem organischen Bau der beiden Sprachen. Der Sprache des alten Latium wird mindere Bildsamkeit, eine beschränktere Wortfügung, „eine mehr realistische Tendenz" als idealische Beweglichkeit zugeschrieben. Dazu konnte im Augusteischen Zeitalter der entfremdende Hang griechischen Vorbildern nachzustreben den Ergießungen heimischer Gemüthlichkeit und eines freien Naturgefühls hinderlich werden; aber, von Vaterlandsliebe getragen, wußten kräftige Geister durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen, wie durch zarte Anmuth der Darstellung jene Hindernisse zu überwinden. Reichlich mit poetischem Genius ausgestattet ist das

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/21>, abgerufen am 22.11.2024.