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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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hundert Jahre vor dem Einfall des Cambyses, mit dem noch nicht persisch gewordenen Aegypten war ohnedies seiner Natur nach dauernder als der Einfluß so viel bestrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlassungen des Cecrops aus Sais, des Kadmus aus Phönicien und des Danaus aus Chemmis.

Was die griechischen Colonien von allen anderen, besonders von den starren phönicischen, unterschied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinwesens eingriff, entsprang aus der Individualität und uralten Verschiedenheit der Stämme, in welche die Nation sich theilte. Es war in den Colonien wie im ganzen Hellenismus ein Gemisch von bindenden und trennenden Kräften. Diese Gegensätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen, Verschiedenheiten in Dichtungsweise und melischer Kunst; sie erzeugten überall die reiche Lebensfülle, in welcher sich das scheinbar Feindliche, nach höherer Weltordnung, zu mildernder Eintracht löste.

Waren auch Milet, Ephesus und Kolophon ionisch; Cos, Rhodus und Halikarnaß dorisch; Croton und Sybaris achäisch: so übte doch mitten in dieser Vielseitigkeit der Cultur, ja da, wo in Unteritalien Pflanzstädte verschiedener Volksstämme neben einander lagen, die Macht der homerischen Gesänge, die Macht des begeisterten, tiefempfundenen Wortes, ihren allvermittelnden Zauber aus. Bei fest gewurzelten Contrasten in den Sitten und in den Staatsverfassungen, bei dem wechselnden Schwanken der letzteren erhielt sich das Griechenthum ungetheilt. Ein weites durch die einzelnen Stämme errungenes Reich der Ideen und Kunsttypen wurde als das Eigenthum der gesammten Nation betrachtet.

hundert Jahre vor dem Einfall des Cambyses, mit dem noch nicht persisch gewordenen Aegypten war ohnedies seiner Natur nach dauernder als der Einfluß so viel bestrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlassungen des Cecrops aus Sais, des Kadmus aus Phönicien und des Danaus aus Chemmis.

Was die griechischen Colonien von allen anderen, besonders von den starren phönicischen, unterschied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinwesens eingriff, entsprang aus der Individualität und uralten Verschiedenheit der Stämme, in welche die Nation sich theilte. Es war in den Colonien wie im ganzen Hellenismus ein Gemisch von bindenden und trennenden Kräften. Diese Gegensätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen, Verschiedenheiten in Dichtungsweise und melischer Kunst; sie erzeugten überall die reiche Lebensfülle, in welcher sich das scheinbar Feindliche, nach höherer Weltordnung, zu mildernder Eintracht löste.

Waren auch Milet, Ephesus und Kolophon ionisch; Cos, Rhodus und Halikarnaß dorisch; Croton und Sybaris achäisch: so übte doch mitten in dieser Vielseitigkeit der Cultur, ja da, wo in Unteritalien Pflanzstädte verschiedener Volksstämme neben einander lagen, die Macht der homerischen Gesänge, die Macht des begeisterten, tiefempfundenen Wortes, ihren allvermittelnden Zauber aus. Bei fest gewurzelten Contrasten in den Sitten und in den Staatsverfassungen, bei dem wechselnden Schwanken der letzteren erhielt sich das Griechenthum ungetheilt. Ein weites durch die einzelnen Stämme errungenes Reich der Ideen und Kunsttypen wurde als das Eigenthum der gesammten Nation betrachtet.

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[179/0184] hundert Jahre vor dem Einfall des Cambyses, mit dem noch nicht persisch gewordenen Aegypten war ohnedies seiner Natur nach dauernder als der Einfluß so viel bestrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlassungen des Cecrops aus Sais, des Kadmus aus Phönicien und des Danaus aus Chemmis. Was die griechischen Colonien von allen anderen, besonders von den starren phönicischen, unterschied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinwesens eingriff, entsprang aus der Individualität und uralten Verschiedenheit der Stämme, in welche die Nation sich theilte. Es war in den Colonien wie im ganzen Hellenismus ein Gemisch von bindenden und trennenden Kräften. Diese Gegensätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen, Verschiedenheiten in Dichtungsweise und melischer Kunst; sie erzeugten überall die reiche Lebensfülle, in welcher sich das scheinbar Feindliche, nach höherer Weltordnung, zu mildernder Eintracht löste. Waren auch Milet, Ephesus und Kolophon ionisch; Cos, Rhodus und Halikarnaß dorisch; Croton und Sybaris achäisch: so übte doch mitten in dieser Vielseitigkeit der Cultur, ja da, wo in Unteritalien Pflanzstädte verschiedener Volksstämme neben einander lagen, die Macht der homerischen Gesänge, die Macht des begeisterten, tiefempfundenen Wortes, ihren allvermittelnden Zauber aus. Bei fest gewurzelten Contrasten in den Sitten und in den Staatsverfassungen, bei dem wechselnden Schwanken der letzteren erhielt sich das Griechenthum ungetheilt. Ein weites durch die einzelnen Stämme errungenes Reich der Ideen und Kunsttypen wurde als das Eigenthum der gesammten Nation betrachtet.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/184>, abgerufen am 27.11.2024.