Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große Länderstrecken getrennte Völkerstämme mit einander verwandt und aus einem gemeinschaftlichen Ursitze ausgezogen sind; es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen; es erkennt, den Entwickelungsmomenten nachspürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung und Auflösung des Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen, gemeinsamen Sprache näher geblieben ist. Zu dieser Art der Untersuchungen über die ersten alterthümlichen Sprachzustände, in denen das Menschengeschlecht im eigentlichsten Sinne des Worts als ein lebendiges Naturganze betrachtet wird, giebt die lange Kette der indogermanischen Sprachen, vom Ganges bis zum iberischen Westende von Europa, von Sicilien bis zum Nordcap, vielfachen Anlaß. Dieselbe historische Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewisser Erzeugnisse, welche seit den ältesten Zeiten wichtige Gegenstände des Tauschhandels gewesen sind. Die Sanskritnamen ächt indischer Producte, die von Reiß, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechische und theilweise sogar in die semitischen Sprachen übergegangen.3 Nach den hier angedeuteten und durch Beispiele erläuterten Betrachtungen erscheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel, um durch wissenschaftliche, ächt philologische Untersuchungen zu einer Verallgemeinerung der Ansichten über die Verwandtschaft des Menschengeschlechts und seine muthmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden Verbreitungsstrahlen zu gelangen. Die rationellen keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große Länderstrecken getrennte Völkerstämme mit einander verwandt und aus einem gemeinschaftlichen Ursitze ausgezogen sind; es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen; es erkennt, den Entwickelungsmomenten nachspürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung und Auflösung des Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen, gemeinsamen Sprache näher geblieben ist. Zu dieser Art der Untersuchungen über die ersten alterthümlichen Sprachzustände, in denen das Menschengeschlecht im eigentlichsten Sinne des Worts als ein lebendiges Naturganze betrachtet wird, giebt die lange Kette der indogermanischen Sprachen, vom Ganges bis zum iberischen Westende von Europa, von Sicilien bis zum Nordcap, vielfachen Anlaß. Dieselbe historische Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewisser Erzeugnisse, welche seit den ältesten Zeiten wichtige Gegenstände des Tauschhandels gewesen sind. Die Sanskritnamen ächt indischer Producte, die von Reiß, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechische und theilweise sogar in die semitischen Sprachen übergegangen.3 Nach den hier angedeuteten und durch Beispiele erläuterten Betrachtungen erscheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel, um durch wissenschaftliche, ächt philologische Untersuchungen zu einer Verallgemeinerung der Ansichten über die Verwandtschaft des Menschengeschlechts und seine muthmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden Verbreitungsstrahlen zu gelangen. Die rationellen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0148" n="143"/> keine Tradition hinaufreicht. 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Dieselbe historische Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewisser Erzeugnisse, welche seit den ältesten Zeiten wichtige Gegenstände des Tauschhandels gewesen sind. Die Sanskritnamen ächt indischer Producte, die von Reiß, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechische und theilweise sogar in die semitischen Sprachen übergegangen.<note xml:id="ftn142" next="#ftn142-text" place="end" n="3"/> </p> <p>Nach den hier angedeuteten und durch Beispiele erläuterten Betrachtungen erscheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel, um durch wissenschaftliche, ächt philologische Untersuchungen zu einer Verallgemeinerung der Ansichten über die Verwandtschaft des Menschengeschlechts und seine muthmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden <hi rendition="#g">Verbreitungsstrahlen</hi> zu gelangen. Die <hi rendition="#g">rationellen</hi> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0148]
keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große Länderstrecken getrennte Völkerstämme mit einander verwandt und aus einem gemeinschaftlichen Ursitze ausgezogen sind; es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen; es erkennt, den Entwickelungsmomenten nachspürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung und Auflösung des Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen, gemeinsamen Sprache näher geblieben ist. Zu dieser Art der Untersuchungen über die ersten alterthümlichen Sprachzustände, in denen das Menschengeschlecht im eigentlichsten Sinne des Worts als ein lebendiges Naturganze betrachtet wird, giebt die lange Kette der indogermanischen Sprachen, vom Ganges bis zum iberischen Westende von Europa, von Sicilien bis zum Nordcap, vielfachen Anlaß. Dieselbe historische Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewisser Erzeugnisse, welche seit den ältesten Zeiten wichtige Gegenstände des Tauschhandels gewesen sind. Die Sanskritnamen ächt indischer Producte, die von Reiß, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechische und theilweise sogar in die semitischen Sprachen übergegangen.
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Nach den hier angedeuteten und durch Beispiele erläuterten Betrachtungen erscheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel, um durch wissenschaftliche, ächt philologische Untersuchungen zu einer Verallgemeinerung der Ansichten über die Verwandtschaft des Menschengeschlechts und seine muthmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden Verbreitungsstrahlen zu gelangen. Die rationellen
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/148>, abgerufen am 16.02.2025. |