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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

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erwähnt Chardin als niazouk (nyzek) oder petite lance nur: "la grande et fameuse comete qui parut presque par toute la terre en 1668 et dont la tete etoit cachee dans l'occident de sorte qu'on ne pouvoit en rien apercevoir sur l'horizon d'Ispahan." (Atlas du Voyage de Chardin Tab. IV., nach den Beobachtungen in Schiras.) Der Kopf oder Kern dieses Cometen ist aber in Brasilien und in Indien gesehen worden (Pingre, Cometogr. T. II. p. 22). Ueber die Vermuthung der Identität des letzten großen Cometen vom März 1843 mit dem, welchen Cassini für das Zodiacallicht hielt, s.Schum. Astr. Nachr. 1843 Nr. 476 und 480. Im Persischen werden neizehi ateschein (feurige Spieße oder Lanzen) auch für die Strahlen der auf- oder untergehenden Sonne gebraucht, wie nayazik nach Freytag's arabischem Lexicon stellae cadentes bedeutet. Die Vergleichung der Cometen mit Lanzen und Schwerdtern war übrigens besonders dem Mittelalter in allen Sprachen sehr gewöhnlich. Selbst der große Comet, welcher vom April bis Junius 1500 gesehen wurde, heißt bei den italiänischen Schriftstellern der Zeit immer il Signor Astone (s. mein Examen critique de l'Hist. de la Geographie T. V. p. 80). -- Die vielfach geäußerten Vermuthungen, daß Descartes (Cassini p. 230, Mairan p. 16) oder gar Kepler (Delambre T. I. p. 601) das Zodiacallicht gekannt hätten, scheinen mir ganz unhaltbar. Descartes (Principes III. art. 136. 137.) spricht auf eine sehr dunkle Weise, wie Cometenschweife entstehen: "par des rayons obliques qui, tombant sur diverses parties des orbes planetaires, viennent des parties laterales a notre oeil par une refraction extraordinaire"; auch wie Morgens und Abends Cometenschweife "comme une longue poutre" gesehen werden könnten, wenn die Sonne zwischen dem Cometen und der Erde steht. Diese Stelle ist so wenig auf das Zodiacallicht zu deuten, als das, was Kepler (Epit. Astron. Copernicanae T. I. p. 57 und T. II. p. 893) von der Existenz einer Sonnen-Atmosphäre (limbus circa solem, coma lucida) sagt, welche in totalen Sonnenfinsternissen hindert, "daß es ganz Nacht werde". Noch unsicherer oder vielmehr irriger ist die Behauptung, daß die "trabes quas dokous vocant" (Plin. II, 26 und 27) eine Andeutung des zungenförmig aufsteigenden Zodiacallichts seien, wie Cassini (p. 231 art. XXXI.) und Mairan (p. 15) vorgeben. Ueberall bei den Alten
erwähnt Chardin als niazouk (nyzek) oder petite lance nur: „la grande et fameuse comète qui parut presque par toute la terre en 1668 et dont la tête étoit cachée dans l'occident de sorte qu'on ne pouvoit en rien apercevoir sur l'horizon d'Ispahan.“ (Atlas du Voyage de Chardin Tab. IV., nach den Beobachtungen in Schiras.) Der Kopf oder Kern dieses Cometen ist aber in Brasilien und in Indien gesehen worden (Pingré, Cométogr. T. II. p. 22). Ueber die Vermuthung der Identität des letzten großen Cometen vom März 1843 mit dem, welchen Cassini für das Zodiacallicht hielt, s.Schum. Astr. Nachr. 1843 Nr. 476 und 480. Im Persischen werden nîzehi âteschîn (feurige Spieße oder Lanzen) auch für die Strahlen der auf- oder untergehenden Sonne gebraucht, wie nayâzik nach Freytag's arabischem Lexicon stellae cadentes bedeutet. Die Vergleichung der Cometen mit Lanzen und Schwerdtern war übrigens besonders dem Mittelalter in allen Sprachen sehr gewöhnlich. Selbst der große Comet, welcher vom April bis Junius 1500 gesehen wurde, heißt bei den italiänischen Schriftstellern der Zeit immer il Signor Astone (s. mein Examen critique de l'Hist. de la Géographie T. V. p. 80). — Die vielfach geäußerten Vermuthungen, daß Descartes (Cassini p. 230, Mairan p. 16) oder gar Kepler (Delambre T. I. p. 601) das Zodiacallicht gekannt hätten, scheinen mir ganz unhaltbar. Descartes (Principes III. art. 136. 137.) spricht auf eine sehr dunkle Weise, wie Cometenschweife entstehen: „par des rayons obliques qui, tombant sur diverses parties des orbes planétaires, viennent des parties latérales à notre oeil par une réfraction extraordinaire“; auch wie Morgens und Abends Cometenschweife „comme une longue poutre“ gesehen werden könnten, wenn die Sonne zwischen dem Cometen und der Erde steht. Diese Stelle ist so wenig auf das Zodiacallicht zu deuten, als das, was Kepler (Epit. Astron. Copernicanae T. I. p. 57 und T. II. p. 893) von der Existenz einer Sonnen-Atmosphäre (limbus circa solem, coma lucida) sagt, welche in totalen Sonnenfinsternissen hindert, „daß es ganz Nacht werde“. Noch unsicherer oder vielmehr irriger ist die Behauptung, daß die „trabes quas δοκοὺς vocant“ (Plin. II, 26 und 27) eine Andeutung des zungenförmig aufsteigenden Zodiacallichts seien, wie Cassini (p. 231 art. XXXI.) und Mairan (p. 15) vorgeben. Ueberall bei den Alten
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[410/0429] ⁶² erwähnt Chardin als niazouk (nyzek) oder petite lance nur: „la grande et fameuse comète qui parut presque par toute la terre en 1668 et dont la tête étoit cachée dans l'occident de sorte qu'on ne pouvoit en rien apercevoir sur l'horizon d'Ispahan.“ (Atlas du Voyage de Chardin Tab. IV., nach den Beobachtungen in Schiras.) Der Kopf oder Kern dieses Cometen ist aber in Brasilien und in Indien gesehen worden (Pingré, Cométogr. T. II. p. 22). Ueber die Vermuthung der Identität des letzten großen Cometen vom März 1843 mit dem, welchen Cassini für das Zodiacallicht hielt, s.Schum. Astr. Nachr. 1843 Nr. 476 und 480. Im Persischen werden nîzehi âteschîn (feurige Spieße oder Lanzen) auch für die Strahlen der auf- oder untergehenden Sonne gebraucht, wie nayâzik nach Freytag's arabischem Lexicon stellae cadentes bedeutet. Die Vergleichung der Cometen mit Lanzen und Schwerdtern war übrigens besonders dem Mittelalter in allen Sprachen sehr gewöhnlich. Selbst der große Comet, welcher vom April bis Junius 1500 gesehen wurde, heißt bei den italiänischen Schriftstellern der Zeit immer il Signor Astone (s. mein Examen critique de l'Hist. de la Géographie T. V. p. 80). — Die vielfach geäußerten Vermuthungen, daß Descartes (Cassini p. 230, Mairan p. 16) oder gar Kepler (Delambre T. I. p. 601) das Zodiacallicht gekannt hätten, scheinen mir ganz unhaltbar. Descartes (Principes III. art. 136. 137.) spricht auf eine sehr dunkle Weise, wie Cometenschweife entstehen: „par des rayons obliques qui, tombant sur diverses parties des orbes planétaires, viennent des parties latérales à notre oeil par une réfraction extraordinaire“; auch wie Morgens und Abends Cometenschweife „comme une longue poutre“ gesehen werden könnten, wenn die Sonne zwischen dem Cometen und der Erde steht. Diese Stelle ist so wenig auf das Zodiacallicht zu deuten, als das, was Kepler (Epit. Astron. Copernicanae T. I. p. 57 und T. II. p. 893) von der Existenz einer Sonnen-Atmosphäre (limbus circa solem, coma lucida) sagt, welche in totalen Sonnenfinsternissen hindert, „daß es ganz Nacht werde“. Noch unsicherer oder vielmehr irriger ist die Behauptung, daß die „trabes quas δοκοὺς vocant“ (Plin. II, 26 und 27) eine Andeutung des zungenförmig aufsteigenden Zodiacallichts seien, wie Cassini (p. 231 art. XXXI.) und Mairan (p. 15) vorgeben. Ueberall bei den Alten

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/429>, abgerufen am 01.09.2024.