Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806].

Bild:
<< vorherige Seite

griechischen Schriftstellern von den Samothraci-
schen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit
dieser zerstörenden Naturveränderung an. Auch
ist in allen Ländern, welche das Mittelmeer be-
gränzt, und welche die Kalkformation des Jura
charakterisirt, ein großer Theil der Erdoberfläche
nackter Fels. Das Malerische italienischer Ge-
genden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen
Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein
und der üppigen Vegetation, welche inselförmig
darin aufsprosst. Wo dieses Gestein, minder zer-
klüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammen
hält, wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den
reizenden Ufern des Albaner Sees) da hat selbst
Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün,
als der Bewohner des Nordens sie wünscht.

Auch die Wüsten jenseits des Atlas, und die
unermesslichen Ebenen oder Steppen von Süd-
Amerika
, sind als bloße Lokalerscheinungen zu
betrachten. Diese findet man, in der Regenzeit
wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautar-
tigen Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im
Innern des alten Continents, große pflanzenleere
Räume, mit ewiggrünen waldigen Ufern umge-
ben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen erin-
nern den Wanderer, daß diese Einöden Theile
einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen
Lichtspiel, das die stralende Wärme erregt, sieht
man bald den Fuß dieser Palmen frei in der Luft
schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den
wogenartig-zitternden Luftschichten wiederholt.

griechischen Schriftstellern von den Samothraci-
schen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit
dieser zerstörenden Naturveränderung an. Auch
ist in allen Ländern, welche das Mittelmeer be-
gränzt, und welche die Kalkformation des Jura
charakterisirt, ein großer Theil der Erdoberfläche
nackter Fels. Das Malerische italienischer Ge-
genden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen
Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein
und der üppigen Vegetation, welche inselförmig
darin aufsprosst. Wo dieses Gestein, minder zer-
klüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammen
hält, wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den
reizenden Ufern des Albaner Sees) da hat selbst
Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün,
als der Bewohner des Nordens sie wünscht.

Auch die Wüsten jenseits des Atlas, und die
unermesslichen Ebenen oder Steppen von Süd-
Amerika
, sind als bloße Lokalerscheinungen zu
betrachten. Diese findet man, in der Regenzeit
wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautar-
tigen Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im
Innern des alten Continents, große pflanzenleere
Räume, mit ewiggrünen waldigen Ufern umge-
ben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen erin-
nern den Wanderer, daß diese Einöden Theile
einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen
Lichtspiel, das die stralende Wärme erregt, sieht
man bald den Fuß dieser Palmen frei in der Luft
schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den
wogenartig-zitternden Luftschichten wiederholt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0009" n="10"/>
griechischen Schriftstellern von den Samothraci-<lb/>
schen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit<lb/>
dieser zerstörenden Naturveränderung an. Auch<lb/>
ist in allen Ländern, welche das <placeName>Mittelmeer</placeName> be-<lb/>
gränzt, und welche die Kalkformation des Jura<lb/>
charakterisirt, ein großer Theil der Erdoberfläche<lb/>
nackter Fels. Das Malerische italienischer Ge-<lb/>
genden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen<lb/>
Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein<lb/>
und der üppigen Vegetation, welche inselförmig<lb/>
darin aufsprosst. Wo dieses Gestein, minder zer-<lb/>
klüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammen<lb/>
hält, wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den<lb/>
reizenden Ufern des <placeName>Albaner Sees</placeName>) da hat selbst<lb/><placeName>Italien</placeName> seine Eichenwälder, so schattig und grün,<lb/>
als der Bewohner des Nordens sie wünscht.</p><lb/>
      <p>Auch die Wüsten jenseits des <placeName>Atlas</placeName>, und die<lb/>
unermesslichen Ebenen oder Steppen von <placeName>Süd-<lb/>
Amerika</placeName>, sind als bloße Lokalerscheinungen zu<lb/>
betrachten. Diese findet man, in der Regenzeit<lb/>
wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautar-<lb/>
tigen Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im<lb/>
Innern des <placeName>alten Continents</placeName>, große pflanzenleere<lb/>
Räume, mit ewiggrünen waldigen Ufern umge-<lb/>
ben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen erin-<lb/>
nern den Wanderer, daß <choice><sic>die&#x017F;e</sic><corr>diese</corr></choice> Einöden Theile<lb/>
einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen<lb/>
Lichtspiel, das die stralende Wärme erregt, sieht<lb/>
man bald den Fuß dieser Palmen frei in der Luft<lb/>
schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den<lb/>
wogenartig-zitternden Luftschichten wiederholt.<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0009] griechischen Schriftstellern von den Samothraci- schen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit dieser zerstörenden Naturveränderung an. Auch ist in allen Ländern, welche das Mittelmeer be- gränzt, und welche die Kalkformation des Jura charakterisirt, ein großer Theil der Erdoberfläche nackter Fels. Das Malerische italienischer Ge- genden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein und der üppigen Vegetation, welche inselförmig darin aufsprosst. Wo dieses Gestein, minder zer- klüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammen hält, wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den reizenden Ufern des Albaner Sees) da hat selbst Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün, als der Bewohner des Nordens sie wünscht. Auch die Wüsten jenseits des Atlas, und die unermesslichen Ebenen oder Steppen von Süd- Amerika, sind als bloße Lokalerscheinungen zu betrachten. Diese findet man, in der Regenzeit wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautar- tigen Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im Innern des alten Continents, große pflanzenleere Räume, mit ewiggrünen waldigen Ufern umge- ben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen erin- nern den Wanderer, daß diese Einöden Theile einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen Lichtspiel, das die stralende Wärme erregt, sieht man bald den Fuß dieser Palmen frei in der Luft schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den wogenartig-zitternden Luftschichten wiederholt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806/9
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806], S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806/9>, abgerufen am 04.12.2024.