die Sitten zu wirken, muss man die Beförderung einer bestimm- ten Religion von der Beförderung der Religiösität überhaupt unterscheiden. Jene ist unstreitig drückender und verderb- licher, als diese. Allein überhaupt ist nur diese nicht leicht, ohne jene, möglich. Denn wenn der Staat einmal Moralität und Religiösität unzertrennbar vereint glaubt, und es für möglich und erlaubt hält, durch dies Mittel zu wirken; so ist es kaum möglich, dass er nicht, bei der verschiedenen Ange- messenheit verschiedener Religionsmeinungen zu der wahren oder angenommenen Ideen nach geformten Moralität eine vorzugsweise vor der andern in Schutz nehme. Selbst wenn er dies gänzlich vermeidet, und gleichsam als Beschützer und Vertheidiger aller Religionspartheien auftritt; so muss er doch, da er nur nach den äusseren Handlungen zu urtheilen vermag, die Meinungen dieser Partheien mit Unterdrückung der möglichen abweichenden Meinungen Einzelner begünstigen; und wenigstens interessirt er sich auf alle Fälle insofern für Eine Meinung, als er den auf's Leben einwirkenden Glauben an eine Gottheit allgemein zum herrschenden zu machen sucht. Hierzu kommt nun noch über dies alles, dass, bei der Zweideutigkeit aller Ausdrücke, bei der Menge der Ideen, welche sich Einem Wort nur zu oft unterschieben lassen, der Staat selbst dem Ausdruck Religiösität eine bestimmte Bedeu- tung unterlegen müsste, wenn er sich desselben irgend, als einer Richtschnur bedienen wollte. So ist daher, meines Erach- tens, schlechterdings keine Einmischung des Staats in Reli- gionssachen möglich, welche sich nicht, nur mehr oder minder, die Begünstigung gewisser bestimmter Meinungen zu Schul- den kommen liesse, und folglich nicht die Gründe gegen sich gelten lassen müsste, welche von einer solchen Begünstigung hergenommen sind. Eben so wenig halte ich eine Art dieses Einmischens möglich, welche nicht wenigstens gewissermaassen eine Leitung, eine Hemmung der Freiheit der Individuen mit
die Sitten zu wirken, muss man die Beförderung einer bestimm- ten Religion von der Beförderung der Religiösität überhaupt unterscheiden. Jene ist unstreitig drückender und verderb- licher, als diese. Allein überhaupt ist nur diese nicht leicht, ohne jene, möglich. Denn wenn der Staat einmal Moralität und Religiösität unzertrennbar vereint glaubt, und es für möglich und erlaubt hält, durch dies Mittel zu wirken; so ist es kaum möglich, dass er nicht, bei der verschiedenen Ange- messenheit verschiedener Religionsmeinungen zu der wahren oder angenommenen Ideen nach geformten Moralität eine vorzugsweise vor der andern in Schutz nehme. Selbst wenn er dies gänzlich vermeidet, und gleichsam als Beschützer und Vertheidiger aller Religionspartheien auftritt; so muss er doch, da er nur nach den äusseren Handlungen zu urtheilen vermag, die Meinungen dieser Partheien mit Unterdrückung der möglichen abweichenden Meinungen Einzelner begünstigen; und wenigstens interessirt er sich auf alle Fälle insofern für Eine Meinung, als er den auf’s Leben einwirkenden Glauben an eine Gottheit allgemein zum herrschenden zu machen sucht. Hierzu kommt nun noch über dies alles, dass, bei der Zweideutigkeit aller Ausdrücke, bei der Menge der Ideen, welche sich Einem Wort nur zu oft unterschieben lassen, der Staat selbst dem Ausdruck Religiösität eine bestimmte Bedeu- tung unterlegen müsste, wenn er sich desselben irgend, als einer Richtschnur bedienen wollte. So ist daher, meines Erach- tens, schlechterdings keine Einmischung des Staats in Reli- gionssachen möglich, welche sich nicht, nur mehr oder minder, die Begünstigung gewisser bestimmter Meinungen zu Schul- den kommen liesse, und folglich nicht die Gründe gegen sich gelten lassen müsste, welche von einer solchen Begünstigung hergenommen sind. Eben so wenig halte ich eine Art dieses Einmischens möglich, welche nicht wenigstens gewissermaassen eine Leitung, eine Hemmung der Freiheit der Individuen mit
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die Sitten zu wirken, muss man die Beförderung einer bestimm-
ten Religion von der Beförderung der Religiösität überhaupt
unterscheiden. Jene ist unstreitig drückender und verderb-
licher, als diese. Allein überhaupt ist nur diese nicht leicht,
ohne jene, möglich. Denn wenn der Staat einmal Moralität
und Religiösität unzertrennbar vereint glaubt, und es für
möglich und erlaubt hält, durch dies Mittel zu wirken; so ist
es kaum möglich, dass er nicht, bei der verschiedenen Ange-
messenheit verschiedener Religionsmeinungen zu der wahren
oder angenommenen Ideen nach geformten Moralität eine
vorzugsweise vor der andern in Schutz nehme. Selbst wenn
er dies gänzlich vermeidet, und gleichsam als Beschützer und
Vertheidiger aller Religionspartheien auftritt; so muss er doch,
da er nur nach den äusseren Handlungen zu urtheilen vermag,
die Meinungen dieser Partheien mit Unterdrückung der
möglichen abweichenden Meinungen Einzelner begünstigen;
und wenigstens interessirt er sich auf alle Fälle insofern für
Eine Meinung, als er den auf’s Leben einwirkenden Glauben
an eine Gottheit allgemein zum herrschenden zu machen
sucht. Hierzu kommt nun noch über dies alles, dass, bei der
Zweideutigkeit aller Ausdrücke, bei der Menge der Ideen,
welche sich Einem Wort nur zu oft unterschieben lassen, der
Staat selbst dem Ausdruck Religiösität eine bestimmte Bedeu-
tung unterlegen müsste, wenn er sich desselben irgend, als
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tens, schlechterdings keine Einmischung des Staats in Reli-
gionssachen möglich, welche sich nicht, nur mehr oder minder,
die Begünstigung gewisser bestimmter Meinungen zu Schul-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/99>, abgerufen am 16.02.2025.
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