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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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eine gewisse Einförmigkeit der Wirkung hervorbringt, und
dann ist auch unter dieser Voraussetzung der Nutzen einer
öffentlichen Erziehung nicht abzusehen. Denn ist es blos die
Absicht zu verhindern, dass Kinder nicht ganz unerzogen blei-
ben; so ist es ja leichter und minder schädlich, nachlässigen
Eltern Vormünder zu setzen, oder dürftige zu unterstützen.
Ferner erreicht auch die öffentliche Erziehung nicht einmal die
Absicht, welche sie sich vorsetzt, nämlich die Umformung der
Sitten nach dem Muster, welches der Staat für das ihm ange-
messenste hält. So wichtig und auf das ganze Leben einwirkend
auch der Einfluss der Erziehung sein mag; so sind doch noch
immer wichtiger die Umstände, welche den Menschen durch
das ganze Leben begleiten. Wo also nicht alles zusammen-
stimmt, da vermag diese Erziehung allein nicht durchzudringen.
Ueberhaupt soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht auf bestimmte,
den Menschen zu ertheilende bürgerliche Formen, Menschen
bilden; so bedarf es des Staats nicht. Unter freien Menschen
gewinnen alle Gewerbe bessern Fortgang; blühen alle Künste
schöner auf; erweitern sich alle Wissenschaften. Unter ihnen
sind auch alle Familienbande enger, die Eltern eifriger bestrebt
für ihre Kinder zu sorgen, und, bei höherem Wohlstande, auch
vermögender, ihrem Wunsche hierin zu folgen. Bei freien Men-
schen entsteht Nacheiferung, und es bilden sich bessere Erzieher,
wo ihr Schicksal von dem Erfolg ihrer Arbeiten, als wo es von
der Beförderung abhängt, die sie vom Staate zu erwarten haben.
Es wird daher weder an sorgfältiger Familienerziehung, noch
an Anstalten so nützlicher und nothwendiger gemeinschaft-
licher Erziehung fehlen 1). Soll aber öffentliche Erziehung dem
Menschen eine bestimmte Form ertheilen, so ist, was man auch

1) Dans une societe bien ordonnee, au contraire, tout invite les hommes a cul-
tiver leurs moyens naturels: sans qu'on s'en mele, l'education sera bonne; elle sera
meme d'autant meilleure, qu'on aura plus laisse a faire a l'industrie des maitres,
et a l'emulation des eleves. Mirabeau s. l'educat. publ. p. 12.

eine gewisse Einförmigkeit der Wirkung hervorbringt, und
dann ist auch unter dieser Voraussetzung der Nutzen einer
öffentlichen Erziehung nicht abzusehen. Denn ist es blos die
Absicht zu verhindern, dass Kinder nicht ganz unerzogen blei-
ben; so ist es ja leichter und minder schädlich, nachlässigen
Eltern Vormünder zu setzen, oder dürftige zu unterstützen.
Ferner erreicht auch die öffentliche Erziehung nicht einmal die
Absicht, welche sie sich vorsetzt, nämlich die Umformung der
Sitten nach dem Muster, welches der Staat für das ihm ange-
messenste hält. So wichtig und auf das ganze Leben einwirkend
auch der Einfluss der Erziehung sein mag; so sind doch noch
immer wichtiger die Umstände, welche den Menschen durch
das ganze Leben begleiten. Wo also nicht alles zusammen-
stimmt, da vermag diese Erziehung allein nicht durchzudringen.
Ueberhaupt soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht auf bestimmte,
den Menschen zu ertheilende bürgerliche Formen, Menschen
bilden; so bedarf es des Staats nicht. Unter freien Menschen
gewinnen alle Gewerbe bessern Fortgang; blühen alle Künste
schöner auf; erweitern sich alle Wissenschaften. Unter ihnen
sind auch alle Familienbande enger, die Eltern eifriger bestrebt
für ihre Kinder zu sorgen, und, bei höherem Wohlstande, auch
vermögender, ihrem Wunsche hierin zu folgen. Bei freien Men-
schen entsteht Nacheiferung, und es bilden sich bessere Erzieher,
wo ihr Schicksal von dem Erfolg ihrer Arbeiten, als wo es von
der Beförderung abhängt, die sie vom Staate zu erwarten haben.
Es wird daher weder an sorgfältiger Familienerziehung, noch
an Anstalten so nützlicher und nothwendiger gemeinschaft-
licher Erziehung fehlen 1). Soll aber öffentliche Erziehung dem
Menschen eine bestimmte Form ertheilen, so ist, was man auch

1) Dans une société bien ordonnée, au contraire, tout invite les hommes à cul-
tiver leurs moyens naturels: sans qu’on s’en mêle, l’éducation sera bonne; elle sera
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[59/0095] eine gewisse Einförmigkeit der Wirkung hervorbringt, und dann ist auch unter dieser Voraussetzung der Nutzen einer öffentlichen Erziehung nicht abzusehen. Denn ist es blos die Absicht zu verhindern, dass Kinder nicht ganz unerzogen blei- ben; so ist es ja leichter und minder schädlich, nachlässigen Eltern Vormünder zu setzen, oder dürftige zu unterstützen. Ferner erreicht auch die öffentliche Erziehung nicht einmal die Absicht, welche sie sich vorsetzt, nämlich die Umformung der Sitten nach dem Muster, welches der Staat für das ihm ange- messenste hält. So wichtig und auf das ganze Leben einwirkend auch der Einfluss der Erziehung sein mag; so sind doch noch immer wichtiger die Umstände, welche den Menschen durch das ganze Leben begleiten. Wo also nicht alles zusammen- stimmt, da vermag diese Erziehung allein nicht durchzudringen. Ueberhaupt soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht auf bestimmte, den Menschen zu ertheilende bürgerliche Formen, Menschen bilden; so bedarf es des Staats nicht. Unter freien Menschen gewinnen alle Gewerbe bessern Fortgang; blühen alle Künste schöner auf; erweitern sich alle Wissenschaften. Unter ihnen sind auch alle Familienbande enger, die Eltern eifriger bestrebt für ihre Kinder zu sorgen, und, bei höherem Wohlstande, auch vermögender, ihrem Wunsche hierin zu folgen. Bei freien Men- schen entsteht Nacheiferung, und es bilden sich bessere Erzieher, wo ihr Schicksal von dem Erfolg ihrer Arbeiten, als wo es von der Beförderung abhängt, die sie vom Staate zu erwarten haben. Es wird daher weder an sorgfältiger Familienerziehung, noch an Anstalten so nützlicher und nothwendiger gemeinschaft- licher Erziehung fehlen 1). Soll aber öffentliche Erziehung dem Menschen eine bestimmte Form ertheilen, so ist, was man auch 1) Dans une société bien ordonnée, au contraire, tout invite les hommes à cul- tiver leurs moyens naturels: sans qu’on s’en mêle, l’éducation sera bonne; elle sera même d’autant meilleure, qu’on aura plus laissé à faire à l’industrie des mâitres, et à l’émulation des élèves. Mirabeau s. l’éducat. publ. p. 12.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/95>, abgerufen am 24.11.2024.