Auch müsste ich sehr unglücklich in Auseinandersetzung meiner Ideen gewesen sein, wenn man glauben könnte, der Staat sollte, meiner Meinung nach, von Zeit zu Zeit Krieg erregen. Er gebe Freiheit und dieselbe Freiheit geniesse ein benachbarter Staat. Die Menschen sind in jedem Zeitalter Menschen, und verlieren nie ihre ursprünglichen Leidenschaften. Es wird Krieg von selbst entstehen; und entsteht er nicht, nun so ist man wenigstens gewiss, dass der Friede weder durch Gewalt erzwungen, noch durch künstliche Lähmung hervorge- bracht ist; und dann wird der Friede den Nationen freilich ein eben so wohlthätigeres Geschenk sein, wie der friedliche Pflüger ein holderes Bild ist, als der blutige Krieger. Und gewiss ist es, denkt man sich ein Fortschreiten der ganzen Menschheit von Generation zu Generation; so müssten die folgenden Zeitalter immer die friedlicheren sein. Aber dann ist der Friede aus den inneren Kräften der Wesen hervorgegangen, dann sind die Menschen, und zwar die freien Menschen friedlich geworden. Jetzt -- das beweist Ein Jahr Europäischer Geschichte -- geniessen wir die Früchte des Friedens, aber nicht die der Friedlichkeit. Die menschlichen Kräfte, unaufhörlich nach einer gleichsam unendlichen Wirksamkeit strebend, wenn sie einander begegnen, vereinen oder bekämpfen sich. Welche Gestalt der Kampf annehme, ob die des Krieges, oder des Wetteifers, oder welche sonst man nüanciren möge? hängt vorzüglich von ihrer Verfeinerung ab.
Soll ich jetzt auch aus diesem Raisonnement einen zu mei- nem Endziel dienenden Grundsatz ziehen; so muss der Staat den Krieg auf keinerlei Weise befördern, allein auch ebensowenig, wenn die Notwendigkeit ihn for- dert, gewaltsam verhindern; dem Einflusse desselben auf Geist und Charakter sich durch die ganze Nation zu ergiessen völlige Freiheit verstatten; und vorzüglich sich aller positiven Einrichtungen enthalten, die Nation zum
Auch müsste ich sehr unglücklich in Auseinandersetzung meiner Ideen gewesen sein, wenn man glauben könnte, der Staat sollte, meiner Meinung nach, von Zeit zu Zeit Krieg erregen. Er gebe Freiheit und dieselbe Freiheit geniesse ein benachbarter Staat. Die Menschen sind in jedem Zeitalter Menschen, und verlieren nie ihre ursprünglichen Leidenschaften. Es wird Krieg von selbst entstehen; und entsteht er nicht, nun so ist man wenigstens gewiss, dass der Friede weder durch Gewalt erzwungen, noch durch künstliche Lähmung hervorge- bracht ist; und dann wird der Friede den Nationen freilich ein eben so wohlthätigeres Geschenk sein, wie der friedliche Pflüger ein holderes Bild ist, als der blutige Krieger. Und gewiss ist es, denkt man sich ein Fortschreiten der ganzen Menschheit von Generation zu Generation; so müssten die folgenden Zeitalter immer die friedlicheren sein. Aber dann ist der Friede aus den inneren Kräften der Wesen hervorgegangen, dann sind die Menschen, und zwar die freien Menschen friedlich geworden. Jetzt — das beweist Ein Jahr Europäischer Geschichte — geniessen wir die Früchte des Friedens, aber nicht die der Friedlichkeit. Die menschlichen Kräfte, unaufhörlich nach einer gleichsam unendlichen Wirksamkeit strebend, wenn sie einander begegnen, vereinen oder bekämpfen sich. Welche Gestalt der Kampf annehme, ob die des Krieges, oder des Wetteifers, oder welche sonst man nüanciren möge? hängt vorzüglich von ihrer Verfeinerung ab.
Soll ich jetzt auch aus diesem Raisonnement einen zu mei- nem Endziel dienenden Grundsatz ziehen; so muss der Staat den Krieg auf keinerlei Weise befördern, allein auch ebensowenig, wenn die Notwendigkeit ihn for- dert, gewaltsam verhindern; dem Einflusse desselben auf Geist und Charakter sich durch die ganze Nation zu ergiessen völlige Freiheit verstatten; und vorzüglich sich aller positiven Einrichtungen enthalten, die Nation zum
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Auch müsste ich sehr unglücklich in Auseinandersetzung
meiner Ideen gewesen sein, wenn man glauben könnte, der
Staat sollte, meiner Meinung nach, von Zeit zu Zeit Krieg
erregen. Er gebe Freiheit und dieselbe Freiheit geniesse ein
benachbarter Staat. Die Menschen sind in jedem Zeitalter
Menschen, und verlieren nie ihre ursprünglichen Leidenschaften.
Es wird Krieg von selbst entstehen; und entsteht er nicht, nun
so ist man wenigstens gewiss, dass der Friede weder durch
Gewalt erzwungen, noch durch künstliche Lähmung hervorge-
bracht ist; und dann wird der Friede den Nationen freilich ein
eben so wohlthätigeres Geschenk sein, wie der friedliche Pflüger
ein holderes Bild ist, als der blutige Krieger. Und gewiss ist es,
denkt man sich ein Fortschreiten der ganzen Menschheit von
Generation zu Generation; so müssten die folgenden Zeitalter
immer die friedlicheren sein. Aber dann ist der Friede aus den
inneren Kräften der Wesen hervorgegangen, dann sind die
Menschen, und zwar die freien Menschen friedlich geworden.
Jetzt — das beweist Ein Jahr Europäischer Geschichte —
geniessen wir die Früchte des Friedens, aber nicht die der
Friedlichkeit. Die menschlichen Kräfte, unaufhörlich nach
einer gleichsam unendlichen Wirksamkeit strebend, wenn sie
einander begegnen, vereinen oder bekämpfen sich. Welche
Gestalt der Kampf annehme, ob die des Krieges, oder des
Wetteifers, oder welche sonst man nüanciren möge? hängt
vorzüglich von ihrer Verfeinerung ab.
Soll ich jetzt auch aus diesem Raisonnement einen zu mei-
nem Endziel dienenden Grundsatz ziehen;
so muss der Staat den Krieg auf keinerlei Weise befördern,
allein auch ebensowenig, wenn die Notwendigkeit ihn for-
dert, gewaltsam verhindern; dem Einflusse desselben auf
Geist und Charakter sich durch die ganze Nation zu
ergiessen völlige Freiheit verstatten; und vorzüglich sich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/88>, abgerufen am 27.07.2024.
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