Schwärmer zu sein -- den Tod verachtete. Am wenigsten aber existirten diese Menschen im Alterthum, wo man noch die Sache höher, als den Namen, die Gegenwart höher, als die Zu- kunft schätzte. Was ich daher hier von Kriegern sage, gilt nur von solchen, die, nicht gebildet, wie jene in Platos Republik +), die Dinge, Leben und Tod, nehmen für das, was sie sind; von Kriegern, welche, das Höchste im Auge, das Höchste aufs Spiel setzen. Alle Situationen, in welchen sich die Extreme gleichsam an einander knüpfen, sind die interessantesten und bildendsten. Wo ist dies aber mehr der Fall, als im Kriege, wo Neigung und Pflicht, und Pflicht des Menschen und des Bürgers in unaufhörlichem Streite zu sein scheinen, und wo dennoch -- sobald nur gerechte Vertheidigung die Waffen in die Hand gab -- alle diese Kollisionen die vollste Auflösung finden?
Schon der Gesichtspunkt, aus welchem allein ich den Krieg für heilsam und nothwendig halte, zeigt hinlänglich, wie, meiner Meinung nach, im Staate davon Gebrauch gemacht werden müsste. Dem Geist, den er wirkt, muss Freiheit gewährt wer- den, sich durch alle Mitglieder der Nation zu ergiessen. Schon dies spricht gegen die stehenden Armeen. Ueberdies sind sie und die neuere Art des Krieges überhaupt, freilich weit von dem Ideal entfernt, das für die Bildung des Menschen das nütz- lichste wäre. Wenn schon überhaupt der Krieger, mit Auf- opferung seiner Freiheit, gleichsam Maschine werden muss; so muss er es noch in weit höherem Grade bei unserer Art der Kriegführung, bei welcher es soviel weniger auf die Stärke, Tapferkeit und Geschicklichkeit des Einzelnen ankommt. Wie verderblich muss es nun sein, wenn beträchtliche Theile der Nationen, nicht bloss einzelne Jahre, sondern oft ihr Leben hin- durch im Frieden, nur zum Behuf des möglichen Krieges, in diesem maschinenmässigen Leben erhalten werden?
+) Diese sind nämlich so gebildet, dass ihnen der Tod nicht als etwas Schreck- liches erscheint, sondern als das Gegentheil. Republ. III. init.
Schwärmer zu sein — den Tod verachtete. Am wenigsten aber existirten diese Menschen im Alterthum, wo man noch die Sache höher, als den Namen, die Gegenwart höher, als die Zu- kunft schätzte. Was ich daher hier von Kriegern sage, gilt nur von solchen, die, nicht gebildet, wie jene in Platos Republik †), die Dinge, Leben und Tod, nehmen für das, was sie sind; von Kriegern, welche, das Höchste im Auge, das Höchste aufs Spiel setzen. Alle Situationen, in welchen sich die Extreme gleichsam an einander knüpfen, sind die interessantesten und bildendsten. Wo ist dies aber mehr der Fall, als im Kriege, wo Neigung und Pflicht, und Pflicht des Menschen und des Bürgers in unaufhörlichem Streite zu sein scheinen, und wo dennoch — sobald nur gerechte Vertheidigung die Waffen in die Hand gab — alle diese Kollisionen die vollste Auflösung finden?
Schon der Gesichtspunkt, aus welchem allein ich den Krieg für heilsam und nothwendig halte, zeigt hinlänglich, wie, meiner Meinung nach, im Staate davon Gebrauch gemacht werden müsste. Dem Geist, den er wirkt, muss Freiheit gewährt wer- den, sich durch alle Mitglieder der Nation zu ergiessen. Schon dies spricht gegen die stehenden Armeen. Ueberdies sind sie und die neuere Art des Krieges überhaupt, freilich weit von dem Ideal entfernt, das für die Bildung des Menschen das nütz- lichste wäre. Wenn schon überhaupt der Krieger, mit Auf- opferung seiner Freiheit, gleichsam Maschine werden muss; so muss er es noch in weit höherem Grade bei unserer Art der Kriegführung, bei welcher es soviel weniger auf die Stärke, Tapferkeit und Geschicklichkeit des Einzelnen ankommt. Wie verderblich muss es nun sein, wenn beträchtliche Theile der Nationen, nicht bloss einzelne Jahre, sondern oft ihr Leben hin- durch im Frieden, nur zum Behuf des möglichen Krieges, in diesem maschinenmässigen Leben erhalten werden?
†) Diese sind nämlich so gebildet, dass ihnen der Tod nicht als etwas Schreck- liches erscheint, sondern als das Gegentheil. Republ. III. init.
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Schwärmer zu sein — den Tod verachtete. Am wenigsten aber
existirten diese Menschen im Alterthum, wo man noch die
Sache höher, als den Namen, die Gegenwart höher, als die Zu-
kunft schätzte. Was ich daher hier von Kriegern sage, gilt
nur von solchen, die, nicht gebildet, wie jene in Platos Republik †),
die Dinge, Leben und Tod, nehmen für das, was sie sind; von
Kriegern, welche, das Höchste im Auge, das Höchste aufs
Spiel setzen. Alle Situationen, in welchen sich die Extreme
gleichsam an einander knüpfen, sind die interessantesten und
bildendsten. Wo ist dies aber mehr der Fall, als im Kriege,
wo Neigung und Pflicht, und Pflicht des Menschen und des
Bürgers in unaufhörlichem Streite zu sein scheinen, und wo
dennoch — sobald nur gerechte Vertheidigung die Waffen in die
Hand gab — alle diese Kollisionen die vollste Auflösung finden?
Schon der Gesichtspunkt, aus welchem allein ich den Krieg
für heilsam und nothwendig halte, zeigt hinlänglich, wie, meiner
Meinung nach, im Staate davon Gebrauch gemacht werden
müsste. Dem Geist, den er wirkt, muss Freiheit gewährt wer-
den, sich durch alle Mitglieder der Nation zu ergiessen. Schon
dies spricht gegen die stehenden Armeen. Ueberdies sind
sie und die neuere Art des Krieges überhaupt, freilich weit von
dem Ideal entfernt, das für die Bildung des Menschen das nütz-
lichste wäre. Wenn schon überhaupt der Krieger, mit Auf-
opferung seiner Freiheit, gleichsam Maschine werden muss; so
muss er es noch in weit höherem Grade bei unserer Art der
Kriegführung, bei welcher es soviel weniger auf die Stärke,
Tapferkeit und Geschicklichkeit des Einzelnen ankommt. Wie
verderblich muss es nun sein, wenn beträchtliche Theile der
Nationen, nicht bloss einzelne Jahre, sondern oft ihr Leben hin-
durch im Frieden, nur zum Behuf des möglichen Krieges, in
diesem maschinenmässigen Leben erhalten werden?
†) Diese sind nämlich so gebildet, dass ihnen der Tod nicht als etwas Schreck-
liches erscheint, sondern als das Gegentheil. Republ. III. init.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/86>, abgerufen am 16.08.2024.
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