Sie beruht auf einer Vorstellung von überwiegender Macht. Den Elementen sucht man mehr zu entrinnen, ihre Gewalt mehr auszudauern, als sie zu besiegen:
-- mit Göttern soll sich nicht messen irgend ein Mensch +);
Rettung ist nicht Sieg; was das Schicksal wohlthätig schenkt, und menschlicher Muth, oder menschliche Empfindsamkeit nur benutzt, ist nicht Frucht, oder Beweis der Obergewalt. Auch denkt jeder im Kriege, das Recht auf seiner Seite zu haben, jeder eine Beleidigung zu rächen. Nun aber achtet der natür- liche Mensch, und mit einem Gefühl, das auch der kultivirteste nicht abläugnen kann, es höher, seine Ehre zu reinigen, als Be- darf fürs Leben zu sammeln.
Niemand wird es mir zutrauen, den Tod eines gefallenen Kriegers schöner zu nennen, als den Tod eines kühnen Plinius, oder, um vielleicht nicht genug geehrte Männer zu nennen, den Tod von Robert und Pilatre du Rozier. Allein diese Beispiele sind selten, und wer weiss, ob ohne jene sie überhaupt nur wären? Auch habe ich für den Krieg gerade keine günstige Lage gewählt. Man nehme die Spartaner bei Thermopylä. Ich frage einen jeden, was solch ein Beispiel auf eine Nation wirkt? Wohl weiss ichs, eben dieser Muth, eben diese Selbstverläug- nung kann sich in jeder Situation des Lebens zeigen, und zeigt sich wirklich in jeder. Aber will man es dem sinnlichen Men- schen verargen, wenn der lebendigste Ausdruck ihn auch am meisten hinreisst, und kann man es läugnen, dass ein Ausdruck dieser Art wenigstens in der grössesten Allgemeinheit wirkt? Und bei alle dem, was ich auch je von Uebeln hörte, welche schrecklicher wären, als der Tod; ich sah noch keinen Men- schen, der das Leben in üppiger Fülle genoss, und der -- ohne
+) Göthe in dem Gedicht: Grenzen der Menschheit. II. p. 69. (Ausg. v. 1840.)
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Sie beruht auf einer Vorstellung von überwiegender Macht. Den Elementen sucht man mehr zu entrinnen, ihre Gewalt mehr auszudauern, als sie zu besiegen:
— mit Göttern soll sich nicht messen irgend ein Mensch †);
Rettung ist nicht Sieg; was das Schicksal wohlthätig schenkt, und menschlicher Muth, oder menschliche Empfindsamkeit nur benutzt, ist nicht Frucht, oder Beweis der Obergewalt. Auch denkt jeder im Kriege, das Recht auf seiner Seite zu haben, jeder eine Beleidigung zu rächen. Nun aber achtet der natür- liche Mensch, und mit einem Gefühl, das auch der kultivirteste nicht abläugnen kann, es höher, seine Ehre zu reinigen, als Be- darf fürs Leben zu sammeln.
Niemand wird es mir zutrauen, den Tod eines gefallenen Kriegers schöner zu nennen, als den Tod eines kühnen Plinius, oder, um vielleicht nicht genug geehrte Männer zu nennen, den Tod von Robert und Pilatre du Rozier. Allein diese Beispiele sind selten, und wer weiss, ob ohne jene sie überhaupt nur wären? Auch habe ich für den Krieg gerade keine günstige Lage gewählt. Man nehme die Spartaner bei Thermopylä. Ich frage einen jeden, was solch ein Beispiel auf eine Nation wirkt? Wohl weiss ichs, eben dieser Muth, eben diese Selbstverläug- nung kann sich in jeder Situation des Lebens zeigen, und zeigt sich wirklich in jeder. Aber will man es dem sinnlichen Men- schen verargen, wenn der lebendigste Ausdruck ihn auch am meisten hinreisst, und kann man es läugnen, dass ein Ausdruck dieser Art wenigstens in der grössesten Allgemeinheit wirkt? Und bei alle dem, was ich auch je von Uebeln hörte, welche schrecklicher wären, als der Tod; ich sah noch keinen Men- schen, der das Leben in üppiger Fülle genoss, und der — ohne
†) Göthe in dem Gedicht: Grenzen der Menschheit. II. p. 69. (Ausg. v. 1840.)
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Sie beruht auf einer Vorstellung von überwiegender Macht.
Den Elementen sucht man mehr zu entrinnen, ihre Gewalt
mehr auszudauern, als sie zu besiegen:
— mit Göttern
soll sich nicht messen
irgend ein Mensch †);
Rettung ist nicht Sieg; was das Schicksal wohlthätig schenkt,
und menschlicher Muth, oder menschliche Empfindsamkeit nur
benutzt, ist nicht Frucht, oder Beweis der Obergewalt. Auch
denkt jeder im Kriege, das Recht auf seiner Seite zu haben,
jeder eine Beleidigung zu rächen. Nun aber achtet der natür-
liche Mensch, und mit einem Gefühl, das auch der kultivirteste
nicht abläugnen kann, es höher, seine Ehre zu reinigen, als Be-
darf fürs Leben zu sammeln.
Niemand wird es mir zutrauen, den Tod eines gefallenen
Kriegers schöner zu nennen, als den Tod eines kühnen Plinius,
oder, um vielleicht nicht genug geehrte Männer zu nennen, den
Tod von Robert und Pilatre du Rozier. Allein diese Beispiele
sind selten, und wer weiss, ob ohne jene sie überhaupt nur
wären? Auch habe ich für den Krieg gerade keine günstige
Lage gewählt. Man nehme die Spartaner bei Thermopylä. Ich
frage einen jeden, was solch ein Beispiel auf eine Nation wirkt?
Wohl weiss ichs, eben dieser Muth, eben diese Selbstverläug-
nung kann sich in jeder Situation des Lebens zeigen, und zeigt
sich wirklich in jeder. Aber will man es dem sinnlichen Men-
schen verargen, wenn der lebendigste Ausdruck ihn auch am
meisten hinreisst, und kann man es läugnen, dass ein Ausdruck
dieser Art wenigstens in der grössesten Allgemeinheit wirkt?
Und bei alle dem, was ich auch je von Uebeln hörte, welche
schrecklicher wären, als der Tod; ich sah noch keinen Men-
schen, der das Leben in üppiger Fülle genoss, und der — ohne
†) Göthe in dem Gedicht: Grenzen der Menschheit. II. p. 69. (Ausg.
v. 1840.)
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/85>, abgerufen am 16.02.2025.
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