Staat eine, mit der jedesmaligen Beschaffenheit der Individuen so eng verschwisterte Verbindung, durch Gesetze zu bestim- men, oder durch seine Einrichtungen, von andern Dingen, als von der blossen Neigung, abhängig zu machen versucht. Dies muss um so mehr der Fall sein, als er bei diesen Bestimmungen beinah nur auf die Folgen, auf Bevölkerung, Erziehung der Kinder u. s. f. sehen kann. Zwar lässt sich gewiss darthun, dass [...]eben diese Dinge auf dieselben Resultate mit der höchsten Sorgfalt für das schönste innere Dasein führen. Denn bei sorgfältig angestellten Versuchen, hat man die ungetrennte, dauernde Verbindung Eines Mannes mit Einer Frau der Bevölkerung am zuträglichsten gefunden, und unläugbar ent- springt gleichfalls keine andre aus der wahren, natürlichen, unverstimmten Liebe. Eben so wenig führt diese ferner auf andre, als eben die Verhältnisse, welche die Sitte und das Gesetz bei uns mit sich bringen; Kindererzeugung, eigne Erziehung, Gemeinschaft des Lebens, zum Theil der Güter, Anordnung der äussern Geschäfte durch den Mann, Verwal- tung des Hauswesens durch die Frau. Allein, der Fehler scheint mir darin zu liegen, dass das Gesetz befiehlt, da doch ein solches Verhältniss nur aus Neigung, nicht aus äussern Anordnungen entstehn kann, und wo Zwang oder Lei- tung der Neigung widersprechen, diese noch weniger zum rechten Wege zurückkehrt. Daher, dünkt mich, sollte der Staat nicht nur die Bande freier und weiter machen, sondern -- wenn es mir erlaubt ist, hier, wo ich nicht von der Ehe über- haupt, sondern einem einzelnen, bei ihr sehr in die Augen fallenden Nachtheil einschränkender Staatseinrichtungen rede, allein nach den im Vorigen gewagten Behauptungen zu ent- scheiden -- überhaupt von der Ehe seine ganze Wirksamkeit entfernen, und dieselbe vielmehr der freien Willkühr der Individuen, und der von ihnen errichteten mannigfaltigen Ver- träge, sowohl überhaupt, als in ihren Modifikationen, gänzlich
Staat eine, mit der jedesmaligen Beschaffenheit der Individuen so eng verschwisterte Verbindung, durch Gesetze zu bestim- men, oder durch seine Einrichtungen, von andern Dingen, als von der blossen Neigung, abhängig zu machen versucht. Dies muss um so mehr der Fall sein, als er bei diesen Bestimmungen beinah nur auf die Folgen, auf Bevölkerung, Erziehung der Kinder u. s. f. sehen kann. Zwar lässt sich gewiss darthun, dass […]eben diese Dinge auf dieselben Resultate mit der höchsten Sorgfalt für das schönste innere Dasein führen. Denn bei sorgfältig angestellten Versuchen, hat man die ungetrennte, dauernde Verbindung Eines Mannes mit Einer Frau der Bevölkerung am zuträglichsten gefunden, und unläugbar ent- springt gleichfalls keine andre aus der wahren, natürlichen, unverstimmten Liebe. Eben so wenig führt diese ferner auf andre, als eben die Verhältnisse, welche die Sitte und das Gesetz bei uns mit sich bringen; Kindererzeugung, eigne Erziehung, Gemeinschaft des Lebens, zum Theil der Güter, Anordnung der äussern Geschäfte durch den Mann, Verwal- tung des Hauswesens durch die Frau. Allein, der Fehler scheint mir darin zu liegen, dass das Gesetz befiehlt, da doch ein solches Verhältniss nur aus Neigung, nicht aus äussern Anordnungen entstehn kann, und wo Zwang oder Lei- tung der Neigung widersprechen, diese noch weniger zum rechten Wege zurückkehrt. Daher, dünkt mich, sollte der Staat nicht nur die Bande freier und weiter machen, sondern — wenn es mir erlaubt ist, hier, wo ich nicht von der Ehe über- haupt, sondern einem einzelnen, bei ihr sehr in die Augen fallenden Nachtheil einschränkender Staatseinrichtungen rede, allein nach den im Vorigen gewagten Behauptungen zu ent- scheiden — überhaupt von der Ehe seine ganze Wirksamkeit entfernen, und dieselbe vielmehr der freien Willkühr der Individuen, und der von ihnen errichteten mannigfaltigen Ver- träge, sowohl überhaupt, als in ihren Modifikationen, gänzlich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0065"n="29"/>
Staat eine, mit der jedesmaligen Beschaffenheit der Individuen<lb/>
so eng verschwisterte Verbindung, durch Gesetze zu bestim-<lb/>
men, oder durch seine Einrichtungen, von andern Dingen, als<lb/>
von der blossen Neigung, abhängig zu machen versucht. Dies<lb/>
muss um so mehr der Fall sein, als er bei diesen Bestimmungen<lb/>
beinah nur auf die Folgen, auf Bevölkerung, Erziehung der<lb/>
Kinder u. s. f. sehen kann. Zwar lässt sich gewiss darthun,<lb/>
dass <choice><sic>dass </sic><corr/></choice>eben diese Dinge auf dieselben Resultate mit der<lb/>
höchsten Sorgfalt für das schönste innere Dasein führen. Denn<lb/>
bei sorgfältig angestellten Versuchen, hat man die ungetrennte,<lb/>
dauernde Verbindung Eines Mannes mit Einer Frau der<lb/>
Bevölkerung am zuträglichsten gefunden, und unläugbar ent-<lb/>
springt gleichfalls keine andre aus der wahren, natürlichen,<lb/>
unverstimmten Liebe. Eben so wenig führt diese ferner auf<lb/>
andre, als eben die Verhältnisse, welche die Sitte und das<lb/>
Gesetz bei uns mit sich bringen; Kindererzeugung, eigne<lb/>
Erziehung, Gemeinschaft des Lebens, zum Theil der Güter,<lb/>
Anordnung der äussern Geschäfte durch den Mann, Verwal-<lb/>
tung des Hauswesens durch die Frau. Allein, der Fehler<lb/>
scheint mir darin zu liegen, dass das Gesetz <hirendition="#g">befiehlt</hi>, da<lb/>
doch ein solches Verhältniss nur aus Neigung, nicht aus<lb/>
äussern Anordnungen entstehn kann, und wo Zwang oder Lei-<lb/>
tung der Neigung <hirendition="#g">widersprechen</hi>, diese noch weniger zum<lb/>
rechten Wege zurückkehrt. Daher, dünkt mich, sollte der<lb/>
Staat nicht nur die Bande freier und weiter machen, sondern<lb/>— wenn es mir erlaubt ist, hier, wo ich nicht von der Ehe über-<lb/>
haupt, sondern einem einzelnen, bei ihr sehr in die Augen<lb/>
fallenden Nachtheil einschränkender Staatseinrichtungen rede,<lb/><hirendition="#g">allein</hi> nach den im Vorigen gewagten Behauptungen zu ent-<lb/>
scheiden — überhaupt von der Ehe seine ganze Wirksamkeit<lb/>
entfernen, und dieselbe vielmehr der freien Willkühr der<lb/>
Individuen, und der von ihnen errichteten mannigfaltigen Ver-<lb/>
träge, sowohl überhaupt, als in ihren Modifikationen, gänzlich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[29/0065]
Staat eine, mit der jedesmaligen Beschaffenheit der Individuen
so eng verschwisterte Verbindung, durch Gesetze zu bestim-
men, oder durch seine Einrichtungen, von andern Dingen, als
von der blossen Neigung, abhängig zu machen versucht. Dies
muss um so mehr der Fall sein, als er bei diesen Bestimmungen
beinah nur auf die Folgen, auf Bevölkerung, Erziehung der
Kinder u. s. f. sehen kann. Zwar lässt sich gewiss darthun,
dass eben diese Dinge auf dieselben Resultate mit der
höchsten Sorgfalt für das schönste innere Dasein führen. Denn
bei sorgfältig angestellten Versuchen, hat man die ungetrennte,
dauernde Verbindung Eines Mannes mit Einer Frau der
Bevölkerung am zuträglichsten gefunden, und unläugbar ent-
springt gleichfalls keine andre aus der wahren, natürlichen,
unverstimmten Liebe. Eben so wenig führt diese ferner auf
andre, als eben die Verhältnisse, welche die Sitte und das
Gesetz bei uns mit sich bringen; Kindererzeugung, eigne
Erziehung, Gemeinschaft des Lebens, zum Theil der Güter,
Anordnung der äussern Geschäfte durch den Mann, Verwal-
tung des Hauswesens durch die Frau. Allein, der Fehler
scheint mir darin zu liegen, dass das Gesetz befiehlt, da
doch ein solches Verhältniss nur aus Neigung, nicht aus
äussern Anordnungen entstehn kann, und wo Zwang oder Lei-
tung der Neigung widersprechen, diese noch weniger zum
rechten Wege zurückkehrt. Daher, dünkt mich, sollte der
Staat nicht nur die Bande freier und weiter machen, sondern
— wenn es mir erlaubt ist, hier, wo ich nicht von der Ehe über-
haupt, sondern einem einzelnen, bei ihr sehr in die Augen
fallenden Nachtheil einschränkender Staatseinrichtungen rede,
allein nach den im Vorigen gewagten Behauptungen zu ent-
scheiden — überhaupt von der Ehe seine ganze Wirksamkeit
entfernen, und dieselbe vielmehr der freien Willkühr der
Individuen, und der von ihnen errichteten mannigfaltigen Ver-
träge, sowohl überhaupt, als in ihren Modifikationen, gänzlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/65>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.