gegangen. Das Gröbere ist abgefallen, das Feinere ist geblie- ben. Und so wäre es ohne allen Zweifel seegenvoll, wenn das Menschengeschlecht Ein Mensch wäre, oder die Kraft eines Zeitalters ebenso als seine Bücher, oder Erfindungen auf das folgende überginge. Allein dies ist bei weitem der Fall nicht. Freilich besitzt nun auch unsere Verfeinerung eine Kraft, und die vielleicht jene gerade um den Grad ihrer Feinheit an Stärke übertrifft; aber es fragt sich, ob nicht die frühere Bildung durch das Gröbere immer vorangehen muss? Ueberall ist doch die Sinnlichkeit der erste Keim, wie der lebendigste Ausdruck alles Geistigen. Und wenn es auch nicht hier der Ort ist, selbst nur den Versuch dieser Erörterung zu wagen; so folgt doch gewiss soviel aus dem Vorigen, dass man wenigstens die- jenige Eigenthümlichkeit und Kraft, nebst allen Nahrungsmit- teln derselben, welche wir noch besitzen, sorgfältigst bewachen müsse.
Bewiesen halte ich demnach durch das vorige, dass die wahre Vernunft dem Menschen keinen andern Zu- stand als einen solchen wünschen kann, in welchem nicht nur jeder Einzelne der ungebundensten Frei- heit geniesst, sich aus sich selbst, in seiner Eigen- thümlichkeit zu entwickeln, sondern in welchem auch die physische Natur keine andre Gestalt von Menschenhänden empfängt, als ihr jeder Einzelne, nach dem Maasse seines Bedürfnisses und seiner Neigung, nur beschränkt durch die Gränzen seiner Kraft und seines Rechts, selbst und willkührlich giebt. Von diesem Grundsatz darf, meines Erachtens, die Vernunft nie mehr nachgeben, als zu seiner eignen Erhaltung selbst nothwendig ist. Er musste daher auch jeder Politik, und besonders der Beantwortung der Frage, von der hier die Rede ist, immer zum Grunde liegen.
gegangen. Das Gröbere ist abgefallen, das Feinere ist geblie- ben. Und so wäre es ohne allen Zweifel seegenvoll, wenn das Menschengeschlecht Ein Mensch wäre, oder die Kraft eines Zeitalters ebenso als seine Bücher, oder Erfindungen auf das folgende überginge. Allein dies ist bei weitem der Fall nicht. Freilich besitzt nun auch unsere Verfeinerung eine Kraft, und die vielleicht jene gerade um den Grad ihrer Feinheit an Stärke übertrifft; aber es fragt sich, ob nicht die frühere Bildung durch das Gröbere immer vorangehen muss? Ueberall ist doch die Sinnlichkeit der erste Keim, wie der lebendigste Ausdruck alles Geistigen. Und wenn es auch nicht hier der Ort ist, selbst nur den Versuch dieser Erörterung zu wagen; so folgt doch gewiss soviel aus dem Vorigen, dass man wenigstens die- jenige Eigenthümlichkeit und Kraft, nebst allen Nahrungsmit- teln derselben, welche wir noch besitzen, sorgfältigst bewachen müsse.
Bewiesen halte ich demnach durch das vorige, dass die wahre Vernunft dem Menschen keinen andern Zu- stand als einen solchen wünschen kann, in welchem nicht nur jeder Einzelne der ungebundensten Frei- heit geniesst, sich aus sich selbst, in seiner Eigen- thümlichkeit zu entwickeln, sondern in welchem auch die physische Natur keine andre Gestalt von Menschenhänden empfängt, als ihr jeder Einzelne, nach dem Maasse seines Bedürfnisses und seiner Neigung, nur beschränkt durch die Gränzen seiner Kraft und seines Rechts, selbst und willkührlich giebt. Von diesem Grundsatz darf, meines Erachtens, die Vernunft nie mehr nachgeben, als zu seiner eignen Erhaltung selbst nothwendig ist. Er musste daher auch jeder Politik, und besonders der Beantwortung der Frage, von der hier die Rede ist, immer zum Grunde liegen.
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gegangen. Das Gröbere ist abgefallen, das Feinere ist geblie-
ben. Und so wäre es ohne allen Zweifel seegenvoll, wenn das
Menschengeschlecht Ein Mensch wäre, oder die Kraft eines
Zeitalters ebenso als seine Bücher, oder Erfindungen auf das
folgende überginge. Allein dies ist bei weitem der Fall nicht.
Freilich besitzt nun auch unsere Verfeinerung eine Kraft, und
die vielleicht jene gerade um den Grad ihrer Feinheit an Stärke
übertrifft; aber es fragt sich, ob nicht die frühere Bildung durch
das Gröbere immer vorangehen muss? Ueberall ist doch die
Sinnlichkeit der erste Keim, wie der lebendigste Ausdruck
alles Geistigen. Und wenn es auch nicht hier der Ort ist,
selbst nur den Versuch dieser Erörterung zu wagen; so folgt
doch gewiss soviel aus dem Vorigen, dass man wenigstens die-
jenige Eigenthümlichkeit und Kraft, nebst allen Nahrungsmit-
teln derselben, welche wir noch besitzen, sorgfältigst bewachen
müsse.
Bewiesen halte ich demnach durch das vorige, dass die
wahre Vernunft dem Menschen keinen andern Zu-
stand als einen solchen wünschen kann, in welchem
nicht nur jeder Einzelne der ungebundensten Frei-
heit geniesst, sich aus sich selbst, in seiner Eigen-
thümlichkeit zu entwickeln, sondern in welchem
auch die physische Natur keine andre Gestalt von
Menschenhänden empfängt, als ihr jeder Einzelne,
nach dem Maasse seines Bedürfnisses und seiner
Neigung, nur beschränkt durch die Gränzen seiner
Kraft und seines Rechts, selbst und willkührlich
giebt. Von diesem Grundsatz darf, meines Erachtens, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/51>, abgerufen am 16.07.2024.
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