beides darum nicht minder stark, nur schwerer bemerkbar, obgleich eben darum auch mächtiger wirkend, auch ohne alle Rücksicht auf jene Verschiedenheit, und unter Personen des- selben Geschlechts. Diese Ideen weiter verfolgt und genauer entwickelt, dürften vielleicht auf eine richtigere Erklärung des Phänomens der Verbindungen führen, welche bei den Alten, vorzüglich den Griechen, selbst die Gesetzgeber benutzten, und die man oft zu unedel mit dem Namen der gewöhnlichen Liebe, und immer unrichtig mit dem Namen der blossen Freund- schaft belegt hat. Der bildende Nutzen solcher Verbindungen beruht immer auf dem Grade, in welchem sich die Selbststän- digkeit der Verbundenen zugleich mit der Innigkeit der Ver- bindung erhält. Denn wenn ohne diese Innigkeit der eine den andern nicht genug aufzufassen vermag, so ist die Selbststän- digkeit nothwendig, um das Aufgefasste gleichsam in das eigne Wesen zu verwandeln. Beides aber erfordert Kraft der Indi- viduen, und eine Verschiedenheit, die, nicht zu gross, damit einer den andern aufzufassen vermöge, auch nicht zu klein ist, um einige Bewundrung dessen, was der andre besitzt, und den Wunsch rege zu machen, es auch in sich überzutragen. Diese Kraft nun und diese mannigfaltige Verschiedenheit vereinen sich in der Originalität, und das also, worauf die ganze Grösse des Menschen zuletzt beruht, wonach der einzelne Mensch ewig ringen muss, und was der, welcher auf Menschen wirken will, nie aus den Augen verlieren darf, ist Eigen- thümlichkeit der Kraft und der Bildung. Wie diese Eigenthümlichkeit durch Freiheit des Handelns und Mannig- faltigkeit des Handelnden gewirkt wird; so bringt sie beides wiederum hervor. Selbst die leblose Natur, welche nach ewig unveränderlichen Gesetzen einen immer gleichmässigen Schritt hält, erscheint dem eigengebildeten Menschen eigenthümlicher. Er trägt gleichsam sich selbst in sie hinüber, und so ist es im höchsten Verstande wahr, dass jeder immer in eben dem Grade
beides darum nicht minder stark, nur schwerer bemerkbar, obgleich eben darum auch mächtiger wirkend, auch ohne alle Rücksicht auf jene Verschiedenheit, und unter Personen des- selben Geschlechts. Diese Ideen weiter verfolgt und genauer entwickelt, dürften vielleicht auf eine richtigere Erklärung des Phänomens der Verbindungen führen, welche bei den Alten, vorzüglich den Griechen, selbst die Gesetzgeber benutzten, und die man oft zu unedel mit dem Namen der gewöhnlichen Liebe, und immer unrichtig mit dem Namen der blossen Freund- schaft belegt hat. Der bildende Nutzen solcher Verbindungen beruht immer auf dem Grade, in welchem sich die Selbststän- digkeit der Verbundenen zugleich mit der Innigkeit der Ver- bindung erhält. Denn wenn ohne diese Innigkeit der eine den andern nicht genug aufzufassen vermag, so ist die Selbststän- digkeit nothwendig, um das Aufgefasste gleichsam in das eigne Wesen zu verwandeln. Beides aber erfordert Kraft der Indi- viduen, und eine Verschiedenheit, die, nicht zu gross, damit einer den andern aufzufassen vermöge, auch nicht zu klein ist, um einige Bewundrung dessen, was der andre besitzt, und den Wunsch rege zu machen, es auch in sich überzutragen. Diese Kraft nun und diese mannigfaltige Verschiedenheit vereinen sich in der Originalität, und das also, worauf die ganze Grösse des Menschen zuletzt beruht, wonach der einzelne Mensch ewig ringen muss, und was der, welcher auf Menschen wirken will, nie aus den Augen verlieren darf, ist Eigen- thümlichkeit der Kraft und der Bildung. Wie diese Eigenthümlichkeit durch Freiheit des Handelns und Mannig- faltigkeit des Handelnden gewirkt wird; so bringt sie beides wiederum hervor. Selbst die leblose Natur, welche nach ewig unveränderlichen Gesetzen einen immer gleichmässigen Schritt hält, erscheint dem eigengebildeten Menschen eigenthümlicher. Er trägt gleichsam sich selbst in sie hinüber, und so ist es im höchsten Verstande wahr, dass jeder immer in eben dem Grade
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0047"n="11"/>
beides darum nicht minder stark, nur schwerer bemerkbar,<lb/>
obgleich eben darum auch mächtiger wirkend, auch ohne alle<lb/>
Rücksicht auf jene Verschiedenheit, und unter Personen des-<lb/>
selben Geschlechts. Diese Ideen weiter verfolgt und genauer<lb/>
entwickelt, dürften vielleicht auf eine richtigere Erklärung des<lb/>
Phänomens der Verbindungen führen, welche bei den Alten,<lb/>
vorzüglich den Griechen, selbst die Gesetzgeber benutzten, und<lb/>
die man oft zu unedel mit dem Namen der gewöhnlichen Liebe,<lb/>
und immer unrichtig mit dem Namen der blossen Freund-<lb/>
schaft belegt hat. Der bildende Nutzen solcher Verbindungen<lb/>
beruht immer auf dem Grade, in welchem sich die Selbststän-<lb/>
digkeit der Verbundenen zugleich mit der Innigkeit der Ver-<lb/>
bindung erhält. Denn wenn ohne diese Innigkeit der eine den<lb/>
andern nicht genug aufzufassen vermag, so ist die Selbststän-<lb/>
digkeit nothwendig, um das Aufgefasste gleichsam in das eigne<lb/>
Wesen zu verwandeln. Beides aber erfordert Kraft der Indi-<lb/>
viduen, und eine Verschiedenheit, die, nicht zu gross, damit<lb/>
einer den andern aufzufassen vermöge, auch nicht zu klein ist,<lb/>
um einige Bewundrung dessen, was der andre besitzt, und den<lb/>
Wunsch rege zu machen, es auch in sich überzutragen. Diese<lb/>
Kraft nun und diese mannigfaltige Verschiedenheit vereinen<lb/>
sich in der <hirendition="#g">Originalität</hi>, und das also, worauf die ganze<lb/>
Grösse des Menschen zuletzt beruht, wonach der einzelne<lb/>
Mensch ewig ringen muss, und was der, welcher auf Menschen<lb/>
wirken will, nie aus den Augen verlieren darf, ist <hirendition="#g">Eigen-<lb/>
thümlichkeit der Kraft und der Bildung</hi>. Wie diese<lb/>
Eigenthümlichkeit durch Freiheit des Handelns und Mannig-<lb/>
faltigkeit des Handelnden gewirkt wird; so bringt sie beides<lb/>
wiederum hervor. Selbst die leblose Natur, welche nach ewig<lb/>
unveränderlichen Gesetzen einen immer gleichmässigen Schritt<lb/>
hält, erscheint dem eigengebildeten Menschen eigenthümlicher.<lb/>
Er trägt gleichsam sich selbst in sie hinüber, und so ist es im<lb/>
höchsten Verstande wahr, dass jeder immer in eben dem Grade<lb/></p></div></body></text></TEI>
[11/0047]
beides darum nicht minder stark, nur schwerer bemerkbar,
obgleich eben darum auch mächtiger wirkend, auch ohne alle
Rücksicht auf jene Verschiedenheit, und unter Personen des-
selben Geschlechts. Diese Ideen weiter verfolgt und genauer
entwickelt, dürften vielleicht auf eine richtigere Erklärung des
Phänomens der Verbindungen führen, welche bei den Alten,
vorzüglich den Griechen, selbst die Gesetzgeber benutzten, und
die man oft zu unedel mit dem Namen der gewöhnlichen Liebe,
und immer unrichtig mit dem Namen der blossen Freund-
schaft belegt hat. Der bildende Nutzen solcher Verbindungen
beruht immer auf dem Grade, in welchem sich die Selbststän-
digkeit der Verbundenen zugleich mit der Innigkeit der Ver-
bindung erhält. Denn wenn ohne diese Innigkeit der eine den
andern nicht genug aufzufassen vermag, so ist die Selbststän-
digkeit nothwendig, um das Aufgefasste gleichsam in das eigne
Wesen zu verwandeln. Beides aber erfordert Kraft der Indi-
viduen, und eine Verschiedenheit, die, nicht zu gross, damit
einer den andern aufzufassen vermöge, auch nicht zu klein ist,
um einige Bewundrung dessen, was der andre besitzt, und den
Wunsch rege zu machen, es auch in sich überzutragen. Diese
Kraft nun und diese mannigfaltige Verschiedenheit vereinen
sich in der Originalität, und das also, worauf die ganze
Grösse des Menschen zuletzt beruht, wonach der einzelne
Mensch ewig ringen muss, und was der, welcher auf Menschen
wirken will, nie aus den Augen verlieren darf, ist Eigen-
thümlichkeit der Kraft und der Bildung. Wie diese
Eigenthümlichkeit durch Freiheit des Handelns und Mannig-
faltigkeit des Handelnden gewirkt wird; so bringt sie beides
wiederum hervor. Selbst die leblose Natur, welche nach ewig
unveränderlichen Gesetzen einen immer gleichmässigen Schritt
hält, erscheint dem eigengebildeten Menschen eigenthümlicher.
Er trägt gleichsam sich selbst in sie hinüber, und so ist es im
höchsten Verstande wahr, dass jeder immer in eben dem Grade
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/47>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.