gegen wird zwar bei uns der Mensch selbst unmittelbar weniger beschränkt, als vielmehr die Dinge um ihn her eine einengende Form erhalten, und es scheint daher möglich, den Kampf gegen diese äusseren Fesseln mit innerer Kraft zu beginnen. Allein schon die Natur der Freiheitsbeschränkungen unserer Staaten, dass ihre Absicht bei weitem mehr auf das geht, was der Mensch besitzt, als auf das, was er ist, und dass selbst in diesem Fall sie nicht -- wie die Alten -- die physi- sche, intellektuelle und moralische Kraft nur, wenn gleich ein- seitig, üben, sondern vielmehr ihr bestimmende Ideen, als Gesetze, aufdringen, unterdrückt die Energie, welche gleich- sam die Quelle jeder thätigen Tugend, und die nothwendige Bedingung zu einer höheren und vielseitigeren Ausbildung ist. Wenn also bei den älteren Nationen grössere Kraft für die Ein- seitigkeit schadlos hielt; so wird in den neueren der Nachtheil der geringeren Kraft noch durch Einseitigkeit erhöht. Ueber- haupt ist dieser Unterschied zwischen den Alten und Neueren überall unverkennbar. Wenn in den letzteren Jahrhunderten die Schnelligkeit der gemachten Fortschritte, die Menge und Ausbreitung künstlicher Erfindungen, die Grösse der gegrün- deten Werke am meisten unsere Aufmerksamkeit an sich zieht; so fesselt uns in dem Alterthum vor Allem die Grösse, welche immer mit dem Leben Eines Menschen dahin ist, die Blüthe der Phantasie, die Tiefe des Geistes, die Stärke des Willens, die Einheit des ganzen Wesens, welche allein dem Menschen wahren Werth giebt. Der Mensch und zwar seine Kraft und seine Bildung war es, welche jede Thätigkeit rege machte; bei uns ist es nur zu oft ein ideelles Ganze, bei dem man die Individuen beinah zu vergessen scheint, oder wenigstens nicht ihr inneres Wesen, sondern ihre Ruhe, ihr Wohlstand, ihre Glückseligkeit. Die Alten suchten ihre Glückseligkeit in der Tugend, die Neueren sind nur zu lange diese aus jener zu entwickeln bemüht
gegen wird zwar bei uns der Mensch selbst unmittelbar weniger beschränkt, als vielmehr die Dinge um ihn her eine einengende Form erhalten, und es scheint daher möglich, den Kampf gegen diese äusseren Fesseln mit innerer Kraft zu beginnen. Allein schon die Natur der Freiheitsbeschränkungen unserer Staaten, dass ihre Absicht bei weitem mehr auf das geht, was der Mensch besitzt, als auf das, was er ist, und dass selbst in diesem Fall sie nicht — wie die Alten — die physi- sche, intellektuelle und moralische Kraft nur, wenn gleich ein- seitig, üben, sondern vielmehr ihr bestimmende Ideen, als Gesetze, aufdringen, unterdrückt die Energie, welche gleich- sam die Quelle jeder thätigen Tugend, und die nothwendige Bedingung zu einer höheren und vielseitigeren Ausbildung ist. Wenn also bei den älteren Nationen grössere Kraft für die Ein- seitigkeit schadlos hielt; so wird in den neueren der Nachtheil der geringeren Kraft noch durch Einseitigkeit erhöht. Ueber- haupt ist dieser Unterschied zwischen den Alten und Neueren überall unverkennbar. Wenn in den letzteren Jahrhunderten die Schnelligkeit der gemachten Fortschritte, die Menge und Ausbreitung künstlicher Erfindungen, die Grösse der gegrün- deten Werke am meisten unsere Aufmerksamkeit an sich zieht; so fesselt uns in dem Alterthum vor Allem die Grösse, welche immer mit dem Leben Eines Menschen dahin ist, die Blüthe der Phantasie, die Tiefe des Geistes, die Stärke des Willens, die Einheit des ganzen Wesens, welche allein dem Menschen wahren Werth giebt. Der Mensch und zwar seine Kraft und seine Bildung war es, welche jede Thätigkeit rege machte; bei uns ist es nur zu oft ein ideelles Ganze, bei dem man die Individuen beinah zu vergessen scheint, oder wenigstens nicht ihr inneres Wesen, sondern ihre Ruhe, ihr Wohlstand, ihre Glückseligkeit. Die Alten suchten ihre Glückseligkeit in der Tugend, die Neueren sind nur zu lange diese aus jener zu entwickeln bemüht
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gegen wird zwar bei uns der Mensch selbst unmittelbar
weniger beschränkt, als vielmehr die Dinge um ihn her eine
einengende Form erhalten, und es scheint daher möglich, den
Kampf gegen diese äusseren Fesseln mit innerer Kraft zu
beginnen. Allein schon die Natur der Freiheitsbeschränkungen
unserer Staaten, dass ihre Absicht bei weitem mehr auf das
geht, was der Mensch besitzt, als auf das, was er ist, und dass
selbst in diesem Fall sie nicht — wie die Alten — die physi-
sche, intellektuelle und moralische Kraft nur, wenn gleich ein-
seitig, üben, sondern vielmehr ihr bestimmende Ideen, als
Gesetze, aufdringen, unterdrückt die Energie, welche gleich-
sam die Quelle jeder thätigen Tugend, und die nothwendige
Bedingung zu einer höheren und vielseitigeren Ausbildung ist.
Wenn also bei den älteren Nationen grössere Kraft für die Ein-
seitigkeit schadlos hielt; so wird in den neueren der Nachtheil
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haupt ist dieser Unterschied zwischen den Alten und Neueren
überall unverkennbar. Wenn in den letzteren Jahrhunderten
die Schnelligkeit der gemachten Fortschritte, die Menge und
Ausbreitung künstlicher Erfindungen, die Grösse der gegrün-
deten Werke am meisten unsere Aufmerksamkeit an sich
zieht; so fesselt uns in dem Alterthum vor Allem die Grösse,
welche immer mit dem Leben Eines Menschen dahin ist, die
Blüthe der Phantasie, die Tiefe des Geistes, die Stärke des
Willens, die Einheit des ganzen Wesens, welche allein dem
Menschen wahren Werth giebt. Der Mensch und zwar seine
Kraft und seine Bildung war es, welche jede Thätigkeit rege
machte; bei uns ist es nur zu oft ein ideelles Ganze, bei
dem man die Individuen beinah zu vergessen scheint,
oder wenigstens nicht ihr inneres Wesen, sondern ihre
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/43>, abgerufen am 16.07.2024.
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