Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.XVI. Anwendung der vorgetragenen Theorie auf die Wirklichkeit. Verhältniss theoretischer Wahrheiten überhaupt zur Ausführung. -- Dabei noth- Jede Entwicklung von Wahrheiten, welche sich auf den 12
XVI. Anwendung der vorgetragenen Theorie auf die Wirklichkeit. Verhältniss theoretischer Wahrheiten überhaupt zur Ausführung. — Dabei noth- Jede Entwicklung von Wahrheiten, welche sich auf den 12
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0213" n="177"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">XVI.<lb/> Anwendung der vorgetragenen Theorie auf die Wirklichkeit.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <argument> <p>Verhältniss theoretischer Wahrheiten überhaupt zur Ausführung. — Dabei noth-<lb/> wendige Vorsicht. — Bei jeder Reform muss der neue Zustand mit dem vorher-<lb/> gehenden verknüpft werden. — Dies gelingt am besten, wenn man die Reform<lb/> bei den Ideen der Menschen anfängt. — Daraus herfliessende Grundsätze aller<lb/> Reformen. — Anwendung derselben auf die gegenwärtige Untersuchung. —<lb/> Vorzüglichste Eigenthümlichkeiten des aufgestellten Systems. Zu besorgende<lb/> Gefahren bei der Ausführung desselben. — Hieraus entspringende nothwendige<lb/> successive Schritte bei derselben. — Höchster dabei zu befolgender Grundsatz. —<lb/> Verbindung dieses Grundsatzes mit den Hauptgrundsätzen der vorgetragenen<lb/> Theorie. — Aus dieser Verbindung fliessendes Princip der Nothwendigkeit. —<lb/> Vorzüge dessselben. — Schluss.</p> </argument><lb/> <p>Jede Entwicklung von Wahrheiten, welche sich auf den<lb/> Menschen, und insbesondre auf den handlenden Menschen<lb/> beziehen, führt auf den Wunsch, dasjenige, was die Theorie als<lb/> richtig bewährt, auch in der Wirklichkeit ausgeführt zu sehen.<lb/> Dieser Wunsch ist der Natur des Menschen, dem so selten der<lb/> still wohlthätige Seegen blosser Ideen genügt, angemessen<lb/> und seine Lebhaftigkeit wächst mit der wohlwollenden Theil-<lb/> nahme an dem Glück der Gesellschaft. Allein wie natürlich<lb/> derselbe auch an sich, und wie edel in seinen Quellen er sein<lb/> mag, so hat er doch nicht selten schädliche Folgen hervorge-<lb/> bracht, und oft sogar schädlichere, als die kältere Gleichgül-<lb/> tigkeit oder — da auch gerade aus dem Gegentheil dieselbe<lb/> Wirkung entstehen kann — die glühende Wärme, welche,<lb/> minder bekümmert um die Wirklichkeit, sich nur an der reinen<lb/> Schönheit der Ideen ergötzt. Denn das Wahre, sobald es —<lb/> wäre es auch nur in Einem Menschen — tief eindringende Wur-<lb/> zeln fasst, verbreitet immer, nur langsamer und geräuschloser,<lb/> heilsame Folgen auf das wirkliche Leben; da hingegen das,<lb/> was unmittelbar auf dasselbe übergetragen wird, nicht selten,<lb/> bei der Uebertragung selbst, seine Gestalt verändert, und nicht<lb/> einmal auf die Ideen zurückwirkt. Daher giebt es auch Ideen,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">12</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [177/0213]
XVI.
Anwendung der vorgetragenen Theorie auf die Wirklichkeit.
Verhältniss theoretischer Wahrheiten überhaupt zur Ausführung. — Dabei noth-
wendige Vorsicht. — Bei jeder Reform muss der neue Zustand mit dem vorher-
gehenden verknüpft werden. — Dies gelingt am besten, wenn man die Reform
bei den Ideen der Menschen anfängt. — Daraus herfliessende Grundsätze aller
Reformen. — Anwendung derselben auf die gegenwärtige Untersuchung. —
Vorzüglichste Eigenthümlichkeiten des aufgestellten Systems. Zu besorgende
Gefahren bei der Ausführung desselben. — Hieraus entspringende nothwendige
successive Schritte bei derselben. — Höchster dabei zu befolgender Grundsatz. —
Verbindung dieses Grundsatzes mit den Hauptgrundsätzen der vorgetragenen
Theorie. — Aus dieser Verbindung fliessendes Princip der Nothwendigkeit. —
Vorzüge dessselben. — Schluss.
Jede Entwicklung von Wahrheiten, welche sich auf den
Menschen, und insbesondre auf den handlenden Menschen
beziehen, führt auf den Wunsch, dasjenige, was die Theorie als
richtig bewährt, auch in der Wirklichkeit ausgeführt zu sehen.
Dieser Wunsch ist der Natur des Menschen, dem so selten der
still wohlthätige Seegen blosser Ideen genügt, angemessen
und seine Lebhaftigkeit wächst mit der wohlwollenden Theil-
nahme an dem Glück der Gesellschaft. Allein wie natürlich
derselbe auch an sich, und wie edel in seinen Quellen er sein
mag, so hat er doch nicht selten schädliche Folgen hervorge-
bracht, und oft sogar schädlichere, als die kältere Gleichgül-
tigkeit oder — da auch gerade aus dem Gegentheil dieselbe
Wirkung entstehen kann — die glühende Wärme, welche,
minder bekümmert um die Wirklichkeit, sich nur an der reinen
Schönheit der Ideen ergötzt. Denn das Wahre, sobald es —
wäre es auch nur in Einem Menschen — tief eindringende Wur-
zeln fasst, verbreitet immer, nur langsamer und geräuschloser,
heilsame Folgen auf das wirkliche Leben; da hingegen das,
was unmittelbar auf dasselbe übergetragen wird, nicht selten,
bei der Uebertragung selbst, seine Gestalt verändert, und nicht
einmal auf die Ideen zurückwirkt. Daher giebt es auch Ideen,
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