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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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schädlich sein würden. Er muss dadurch verhindern, dass nicht
eigennützige Absichten andrer sie täuschen, oder ihren Ent-
schluss überraschen. Wo dies geschieht, muss er nicht nur zu
Ersetzung des Schadens anhalten, sondern auch die Thäter be-
strafen; und so können aus diesem Gesichtspunkt Handlungen
strafbar werden, welche sonst ausserhalb des Wirkungskreises
des Gesetzes liegen würden. Ich führe hier als ein Beispiel
den unehelichen Beischlaf an, den, diesen Grundsätzen zufolge,
der Staat an dem Thäter bestrafen müsste, wenn er mit einer
unmündigen Person begangen würde. Da aber die mensch-
lichen Handlungen einen sehr mannigfaltig verschiednen Grad
der Beurtheilungskraft erfordern, und die Reife der letztern
gleichsam nach und nach zunimmt; so ist es gut, zum Behuf
der Gültigkeit dieser verschiedenen Handlungen gleichfalls ver-
schiedene Epochen und Stufen der Unmündigkeit zu bestimmen.

Was hier von Unmündigen gesagt worden ist, findet auch
auf Verrückte und Blödsinnige Anwendung. Der Unterschied
besteht nur darin, dass sie nicht einer Erziehung und Bildung
(man müsste denn die Bemühungen, sie zu heilen, mit diesem
Namen belegen), sondern nur der Sorgfalt und Aufsicht bedür-
fen; dass bei ihnen noch vorzüglich der Schaden verhütet wer-
den muss, den sie andren zufügen könnten; und dass sie ge-
wöhnlich in einem Zustande sind, in welchem sie weder ihrer
persönlichen Kräfte, noch ihres Vermögens geniessen können,
wobei jedoch nicht vergessen werden muss, dass, da eine Rück-
kehr der Vernunft bei ihnen immer noch möglich ist, ihnen nur
die temporelle Ausübung ihrer Rechte, nicht aber diese Rechte
selbst genommen werden können. Dies noch weiter auszu-
führen, erlaubt meine gegenwärtige Absicht nicht, und ich kann
daher diese ganze Materie mit folgenden allgemeinen Grund-
sätzen beschliessen.

1. Diejenigen Personen, welche entweder überhaupt
nicht den Gebrauch ihrer Verstandeskräfte besitzen, oder

schädlich sein würden. Er muss dadurch verhindern, dass nicht
eigennützige Absichten andrer sie täuschen, oder ihren Ent-
schluss überraschen. Wo dies geschieht, muss er nicht nur zu
Ersetzung des Schadens anhalten, sondern auch die Thäter be-
strafen; und so können aus diesem Gesichtspunkt Handlungen
strafbar werden, welche sonst ausserhalb des Wirkungskreises
des Gesetzes liegen würden. Ich führe hier als ein Beispiel
den unehelichen Beischlaf an, den, diesen Grundsätzen zufolge,
der Staat an dem Thäter bestrafen müsste, wenn er mit einer
unmündigen Person begangen würde. Da aber die mensch-
lichen Handlungen einen sehr mannigfaltig verschiednen Grad
der Beurtheilungskraft erfordern, und die Reife der letztern
gleichsam nach und nach zunimmt; so ist es gut, zum Behuf
der Gültigkeit dieser verschiedenen Handlungen gleichfalls ver-
schiedene Epochen und Stufen der Unmündigkeit zu bestimmen.

Was hier von Unmündigen gesagt worden ist, findet auch
auf Verrückte und Blödsinnige Anwendung. Der Unterschied
besteht nur darin, dass sie nicht einer Erziehung und Bildung
(man müsste denn die Bemühungen, sie zu heilen, mit diesem
Namen belegen), sondern nur der Sorgfalt und Aufsicht bedür-
fen; dass bei ihnen noch vorzüglich der Schaden verhütet wer-
den muss, den sie andren zufügen könnten; und dass sie ge-
wöhnlich in einem Zustande sind, in welchem sie weder ihrer
persönlichen Kräfte, noch ihres Vermögens geniessen können,
wobei jedoch nicht vergessen werden muss, dass, da eine Rück-
kehr der Vernunft bei ihnen immer noch möglich ist, ihnen nur
die temporelle Ausübung ihrer Rechte, nicht aber diese Rechte
selbst genommen werden können. Dies noch weiter auszu-
führen, erlaubt meine gegenwärtige Absicht nicht, und ich kann
daher diese ganze Materie mit folgenden allgemeinen Grund-
sätzen beschliessen.

1. Diejenigen Personen, welche entweder überhaupt
nicht den Gebrauch ihrer Verstandeskräfte besitzen, oder

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[166/0202] schädlich sein würden. Er muss dadurch verhindern, dass nicht eigennützige Absichten andrer sie täuschen, oder ihren Ent- schluss überraschen. Wo dies geschieht, muss er nicht nur zu Ersetzung des Schadens anhalten, sondern auch die Thäter be- strafen; und so können aus diesem Gesichtspunkt Handlungen strafbar werden, welche sonst ausserhalb des Wirkungskreises des Gesetzes liegen würden. Ich führe hier als ein Beispiel den unehelichen Beischlaf an, den, diesen Grundsätzen zufolge, der Staat an dem Thäter bestrafen müsste, wenn er mit einer unmündigen Person begangen würde. Da aber die mensch- lichen Handlungen einen sehr mannigfaltig verschiednen Grad der Beurtheilungskraft erfordern, und die Reife der letztern gleichsam nach und nach zunimmt; so ist es gut, zum Behuf der Gültigkeit dieser verschiedenen Handlungen gleichfalls ver- schiedene Epochen und Stufen der Unmündigkeit zu bestimmen. Was hier von Unmündigen gesagt worden ist, findet auch auf Verrückte und Blödsinnige Anwendung. Der Unterschied besteht nur darin, dass sie nicht einer Erziehung und Bildung (man müsste denn die Bemühungen, sie zu heilen, mit diesem Namen belegen), sondern nur der Sorgfalt und Aufsicht bedür- fen; dass bei ihnen noch vorzüglich der Schaden verhütet wer- den muss, den sie andren zufügen könnten; und dass sie ge- wöhnlich in einem Zustande sind, in welchem sie weder ihrer persönlichen Kräfte, noch ihres Vermögens geniessen können, wobei jedoch nicht vergessen werden muss, dass, da eine Rück- kehr der Vernunft bei ihnen immer noch möglich ist, ihnen nur die temporelle Ausübung ihrer Rechte, nicht aber diese Rechte selbst genommen werden können. Dies noch weiter auszu- führen, erlaubt meine gegenwärtige Absicht nicht, und ich kann daher diese ganze Materie mit folgenden allgemeinen Grund- sätzen beschliessen. 1. Diejenigen Personen, welche entweder überhaupt nicht den Gebrauch ihrer Verstandeskräfte besitzen, oder

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/202>, abgerufen am 29.11.2024.