Die letzte Art, Verbrechen zu verhüten, ist diejenige, welche, ohne auf ihre Ursachen wirken zu wollen, nur ihre wirkliche Begehung zu verhindern bemüht ist. Diese ist der Freiheit am wenigsten nachtheilig, da sie am wenigsten einen positiven Ein- fluss auf die Bürger hervorbringt. Indess lässt auch sie mehr oder minder weite Schranken zu. Der Staat kann sich nämlich begnügen, die strengste Wachsamkeit auf jedes gesetzwidrige Vorhaben auszuüben, und dasselbe vor seiner Ausführung zu verhindern; oder er kann weiter gehen, und solche an sich un- schädliche Handlungen untersagen, bei welchen leicht Verbre- chen entweder nur ausgeführt, oder auch beschlossen zu werden pflegen. Dies Letztere greift abermals in die Freiheit der Bür- ger ein; zeigt ein Misstrauen des Staats gegen sie, das nicht blos auf ihren Charakter, sondern auch für den Zweck selbst, der beabsichtet wird, nachtheilige Folgen hat; und ist aus eben den Gründen nicht rathsam, welche mir die vorhin erwähn- ten Arten, Verbrechen zu verhüten, zu missbilligen schienen. Alles, was der Staat thun darf, und mit Erfolg für seinen End- zweck, und ohne Nachtheil für die Freiheit der Bürger, thun kann, beschränkt sich daher auf das Erstere, auf die strengste Aufsicht auf jede, entweder wirklich schon begangene, oder erst beschlossene Uebertretung der Gesetze; und da dies nur uneigent- lich den Verbrechen zuvorkommen genannt werden kann; so glaube ich behaupten zu dürfen, dass ein solches Zuvorkommen gänzlich ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit des Staats liegt. Desto emsiger aber muss derselbe darauf bedacht sein, kein begangenes Verbrechen unentdeckt, kein entdecktes unbe- straft, ja nur gelinder bestraft zu lassen, als das Gesetz es ver- langt. Denn die durch eine ununterbrochene Erfahrung be- stätigte Ueberzeugung der Bürger, dass es ihnen nicht möglich ist, in fremdes Recht einzugreifen, ohne eine, gerade verhältniss- mässige Schmälerung des eignen zu erdulden, scheint mir zugleich die einzige Schutzmauer der Sicherheit der Bürger, und das
Die letzte Art, Verbrechen zu verhüten, ist diejenige, welche, ohne auf ihre Ursachen wirken zu wollen, nur ihre wirkliche Begehung zu verhindern bemüht ist. Diese ist der Freiheit am wenigsten nachtheilig, da sie am wenigsten einen positiven Ein- fluss auf die Bürger hervorbringt. Indess lässt auch sie mehr oder minder weite Schranken zu. Der Staat kann sich nämlich begnügen, die strengste Wachsamkeit auf jedes gesetzwidrige Vorhaben auszuüben, und dasselbe vor seiner Ausführung zu verhindern; oder er kann weiter gehen, und solche an sich un- schädliche Handlungen untersagen, bei welchen leicht Verbre- chen entweder nur ausgeführt, oder auch beschlossen zu werden pflegen. Dies Letztere greift abermals in die Freiheit der Bür- ger ein; zeigt ein Misstrauen des Staats gegen sie, das nicht blos auf ihren Charakter, sondern auch für den Zweck selbst, der beabsichtet wird, nachtheilige Folgen hat; und ist aus eben den Gründen nicht rathsam, welche mir die vorhin erwähn- ten Arten, Verbrechen zu verhüten, zu missbilligen schienen. Alles, was der Staat thun darf, und mit Erfolg für seinen End- zweck, und ohne Nachtheil für die Freiheit der Bürger, thun kann, beschränkt sich daher auf das Erstere, auf die strengste Aufsicht auf jede, entweder wirklich schon begangene, oder erst beschlossene Uebertretung der Gesetze; und da dies nur uneigent- lich den Verbrechen zuvorkommen genannt werden kann; so glaube ich behaupten zu dürfen, dass ein solches Zuvorkommen gänzlich ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit des Staats liegt. Desto emsiger aber muss derselbe darauf bedacht sein, kein begangenes Verbrechen unentdeckt, kein entdecktes unbe- straft, ja nur gelinder bestraft zu lassen, als das Gesetz es ver- langt. Denn die durch eine ununterbrochene Erfahrung be- stätigte Ueberzeugung der Bürger, dass es ihnen nicht möglich ist, in fremdes Recht einzugreifen, ohne eine, gerade verhältniss- mässige Schmälerung des eignen zu erdulden, scheint mir zugleich die einzige Schutzmauer der Sicherheit der Bürger, und das
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0193"n="157"/><p>Die letzte Art, Verbrechen zu verhüten, ist diejenige, welche,<lb/>
ohne auf ihre Ursachen wirken zu wollen, nur ihre wirkliche<lb/>
Begehung zu verhindern bemüht ist. Diese ist der Freiheit am<lb/>
wenigsten nachtheilig, da sie am wenigsten einen positiven Ein-<lb/>
fluss auf die Bürger hervorbringt. Indess lässt auch sie mehr<lb/>
oder minder weite Schranken zu. Der Staat kann sich nämlich<lb/>
begnügen, die strengste Wachsamkeit auf jedes gesetzwidrige<lb/>
Vorhaben auszuüben, und dasselbe vor seiner Ausführung zu<lb/>
verhindern; oder er kann weiter gehen, und solche an sich un-<lb/>
schädliche Handlungen untersagen, bei welchen leicht Verbre-<lb/>
chen entweder nur ausgeführt, oder auch beschlossen zu werden<lb/>
pflegen. Dies Letztere greift abermals in die Freiheit der Bür-<lb/>
ger ein; zeigt ein Misstrauen des Staats gegen sie, das nicht<lb/>
blos auf ihren Charakter, sondern auch für den Zweck selbst,<lb/>
der beabsichtet wird, nachtheilige Folgen hat; und ist aus<lb/>
eben den Gründen nicht rathsam, welche mir die vorhin erwähn-<lb/>
ten Arten, Verbrechen zu verhüten, zu missbilligen schienen.<lb/>
Alles, was der Staat thun darf, und mit Erfolg für seinen End-<lb/>
zweck, und ohne Nachtheil für die Freiheit der Bürger, thun<lb/>
kann, beschränkt sich daher auf das Erstere, auf die strengste<lb/>
Aufsicht auf jede, entweder wirklich schon begangene, oder erst<lb/>
beschlossene Uebertretung der Gesetze; und da dies nur uneigent-<lb/>
lich den Verbrechen zuvorkommen genannt werden kann; so<lb/>
glaube ich behaupten zu dürfen, dass ein solches Zuvorkommen<lb/>
gänzlich ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit des Staats<lb/>
liegt. Desto emsiger aber muss derselbe darauf bedacht sein,<lb/>
kein begangenes Verbrechen unentdeckt, kein entdecktes unbe-<lb/>
straft, ja nur gelinder bestraft zu lassen, als das Gesetz es ver-<lb/>
langt. Denn die durch eine ununterbrochene Erfahrung be-<lb/>
stätigte Ueberzeugung der Bürger, dass es ihnen nicht möglich<lb/>
ist, in fremdes Recht einzugreifen, ohne eine, gerade verhältniss-<lb/>
mässige Schmälerung des eignen zu erdulden, scheint mir zugleich<lb/>
die einzige Schutzmauer der Sicherheit der Bürger, und das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[157/0193]
Die letzte Art, Verbrechen zu verhüten, ist diejenige, welche,
ohne auf ihre Ursachen wirken zu wollen, nur ihre wirkliche
Begehung zu verhindern bemüht ist. Diese ist der Freiheit am
wenigsten nachtheilig, da sie am wenigsten einen positiven Ein-
fluss auf die Bürger hervorbringt. Indess lässt auch sie mehr
oder minder weite Schranken zu. Der Staat kann sich nämlich
begnügen, die strengste Wachsamkeit auf jedes gesetzwidrige
Vorhaben auszuüben, und dasselbe vor seiner Ausführung zu
verhindern; oder er kann weiter gehen, und solche an sich un-
schädliche Handlungen untersagen, bei welchen leicht Verbre-
chen entweder nur ausgeführt, oder auch beschlossen zu werden
pflegen. Dies Letztere greift abermals in die Freiheit der Bür-
ger ein; zeigt ein Misstrauen des Staats gegen sie, das nicht
blos auf ihren Charakter, sondern auch für den Zweck selbst,
der beabsichtet wird, nachtheilige Folgen hat; und ist aus
eben den Gründen nicht rathsam, welche mir die vorhin erwähn-
ten Arten, Verbrechen zu verhüten, zu missbilligen schienen.
Alles, was der Staat thun darf, und mit Erfolg für seinen End-
zweck, und ohne Nachtheil für die Freiheit der Bürger, thun
kann, beschränkt sich daher auf das Erstere, auf die strengste
Aufsicht auf jede, entweder wirklich schon begangene, oder erst
beschlossene Uebertretung der Gesetze; und da dies nur uneigent-
lich den Verbrechen zuvorkommen genannt werden kann; so
glaube ich behaupten zu dürfen, dass ein solches Zuvorkommen
gänzlich ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit des Staats
liegt. Desto emsiger aber muss derselbe darauf bedacht sein,
kein begangenes Verbrechen unentdeckt, kein entdecktes unbe-
straft, ja nur gelinder bestraft zu lassen, als das Gesetz es ver-
langt. Denn die durch eine ununterbrochene Erfahrung be-
stätigte Ueberzeugung der Bürger, dass es ihnen nicht möglich
ist, in fremdes Recht einzugreifen, ohne eine, gerade verhältniss-
mässige Schmälerung des eignen zu erdulden, scheint mir zugleich
die einzige Schutzmauer der Sicherheit der Bürger, und das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/193>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.