Gesetze nicht der Ort, Tugenden zu empfehlen, sondern nur erzwingbare Pflichten vorzuschreiben, und nicht selten wird nur die Tugend, die jeder Mensch nur freiwillig auszuüben sich freut, dadurch verlieren. Dann ist jede Bitte eines Ge- setzes, und jeder Rath, den ein Vorgesetzter kraft desselben giebt, ein Befehl, dem die Menschen zwar in der Theorie nicht gehorchen müssen, aber in der Wirklichkeit immer gehorchen. Endlich muss man hiezu noch so viele Umstände rechnen, welche die Menschen nöthigen, und so viele Neigungen, welche sie bewegen können, einem solchen Rathe, auch gänzlich gegen ihre Ueberzeugung, zu folgen. Von dieser Art pflegt gewöhn- lich der Einfluss zu sein, welchen der Staat auf diejenigen hat, die der Verwaltung seiner Geschäfte vorgesetzt sind, und durch den er zugleich auf die übrigen Bürger zu wirken strebt. Da diese Personen durch besondre Verträge mit ihm verbunden sind; so ist es freilich unläugbar, dass er auch mehrere Rechte gegen sie, als gegen die übrigen Bürger, ausüben kann. Allein wenn er den Grundsätzen der höchsten gesetzmässigen Freiheit getreu bleibt; so wird er nicht mehr von ihnen zu fordern ver- suchen, als die Erfüllung der Bürgerpflichten im Allgemeinen, und derjenigen besondren, welche ihr besondres Amt nothwen- dig macht. Denn offenbar übt er einen zu mächtigen positiven Einfluss auf die Bürger überhaupt aus, wenn er von jenen, ver- möge ihres besondren Verhältnisses, etwas zu erhalten sucht, was er den Bürgern geradezu nicht aufzulegen berechtigt ist. Ohne dass er wirkliche positive Schritte thut, kommen ihm hierin schon von selbst nur zuviel die Leidenschaften der Men- schen zuvor, und das Bemühen, nur diesen, hieraus von selbst entspringenden Nachtheil zu verhüten, wird seinen Eifer und seinen Scharfsinn schon hinlänglich beschäftigen.
Eine nähere Veranlassung Verbrechen durch Unterdrückung der in dem Charakter liegenden Ursachen derselben zu verhü- ten, hat der Staat bei denjenigen, welche durch wirkliche Ueber-
Gesetze nicht der Ort, Tugenden zu empfehlen, sondern nur erzwingbare Pflichten vorzuschreiben, und nicht selten wird nur die Tugend, die jeder Mensch nur freiwillig auszuüben sich freut, dadurch verlieren. Dann ist jede Bitte eines Ge- setzes, und jeder Rath, den ein Vorgesetzter kraft desselben giebt, ein Befehl, dem die Menschen zwar in der Theorie nicht gehorchen müssen, aber in der Wirklichkeit immer gehorchen. Endlich muss man hiezu noch so viele Umstände rechnen, welche die Menschen nöthigen, und so viele Neigungen, welche sie bewegen können, einem solchen Rathe, auch gänzlich gegen ihre Ueberzeugung, zu folgen. Von dieser Art pflegt gewöhn- lich der Einfluss zu sein, welchen der Staat auf diejenigen hat, die der Verwaltung seiner Geschäfte vorgesetzt sind, und durch den er zugleich auf die übrigen Bürger zu wirken strebt. Da diese Personen durch besondre Verträge mit ihm verbunden sind; so ist es freilich unläugbar, dass er auch mehrere Rechte gegen sie, als gegen die übrigen Bürger, ausüben kann. Allein wenn er den Grundsätzen der höchsten gesetzmässigen Freiheit getreu bleibt; so wird er nicht mehr von ihnen zu fordern ver- suchen, als die Erfüllung der Bürgerpflichten im Allgemeinen, und derjenigen besondren, welche ihr besondres Amt nothwen- dig macht. Denn offenbar übt er einen zu mächtigen positiven Einfluss auf die Bürger überhaupt aus, wenn er von jenen, ver- möge ihres besondren Verhältnisses, etwas zu erhalten sucht, was er den Bürgern geradezu nicht aufzulegen berechtigt ist. Ohne dass er wirkliche positive Schritte thut, kommen ihm hierin schon von selbst nur zuviel die Leidenschaften der Men- schen zuvor, und das Bemühen, nur diesen, hieraus von selbst entspringenden Nachtheil zu verhüten, wird seinen Eifer und seinen Scharfsinn schon hinlänglich beschäftigen.
Eine nähere Veranlassung Verbrechen durch Unterdrückung der in dem Charakter liegenden Ursachen derselben zu verhü- ten, hat der Staat bei denjenigen, welche durch wirkliche Ueber-
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Gesetze nicht der Ort, Tugenden zu empfehlen, sondern nur
erzwingbare Pflichten vorzuschreiben, und nicht selten wird
nur die Tugend, die jeder Mensch nur freiwillig auszuüben
sich freut, dadurch verlieren. Dann ist jede Bitte eines Ge-
setzes, und jeder Rath, den ein Vorgesetzter kraft desselben
giebt, ein Befehl, dem die Menschen zwar in der Theorie nicht
gehorchen müssen, aber in der Wirklichkeit immer gehorchen.
Endlich muss man hiezu noch so viele Umstände rechnen,
welche die Menschen nöthigen, und so viele Neigungen, welche
sie bewegen können, einem solchen Rathe, auch gänzlich gegen
ihre Ueberzeugung, zu folgen. Von dieser Art pflegt gewöhn-
lich der Einfluss zu sein, welchen der Staat auf diejenigen hat,
die der Verwaltung seiner Geschäfte vorgesetzt sind, und durch
den er zugleich auf die übrigen Bürger zu wirken strebt. Da
diese Personen durch besondre Verträge mit ihm verbunden
sind; so ist es freilich unläugbar, dass er auch mehrere Rechte
gegen sie, als gegen die übrigen Bürger, ausüben kann. Allein
wenn er den Grundsätzen der höchsten gesetzmässigen Freiheit
getreu bleibt; so wird er nicht mehr von ihnen zu fordern ver-
suchen, als die Erfüllung der Bürgerpflichten im Allgemeinen,
und derjenigen besondren, welche ihr besondres Amt nothwen-
dig macht. Denn offenbar übt er einen zu mächtigen positiven
Einfluss auf die Bürger überhaupt aus, wenn er von jenen, ver-
möge ihres besondren Verhältnisses, etwas zu erhalten sucht,
was er den Bürgern geradezu nicht aufzulegen berechtigt ist.
Ohne dass er wirkliche positive Schritte thut, kommen ihm
hierin schon von selbst nur zuviel die Leidenschaften der Men-
schen zuvor, und das Bemühen, nur diesen, hieraus von selbst
entspringenden Nachtheil zu verhüten, wird seinen Eifer und
seinen Scharfsinn schon hinlänglich beschäftigen.
Eine nähere Veranlassung Verbrechen durch Unterdrückung
der in dem Charakter liegenden Ursachen derselben zu verhü-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/191>, abgerufen am 27.07.2024.
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