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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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denkende sie nur auf eine gewisse Zeit hin erstrecken wollen.
Aber wird der Richter bewirken können, dass der, so lange mit
dem Misstrauen seiner Mitbürger Beladene, nach Verlauf eines
bestimmten Tages, auf einmal ihr Vertrauen wieder gewinne?
Endlich ist es den, in diesem ganzen Aufsatz vorgetragenen
Grundsätzen nicht gemäss, dass der Staat der Meinung der
Bürger, auch nur auf irgend eine Art, eine gewisse Richtung
geben wolle. Meines Erachtens wäre es daher rathsamer,
dass der Staat sich allein in den Gränzen der Pflicht hielte,
welche ihm allerdings obliegt, die Bürger gegen verdächtige
Personen zu sichern, und dass er daher überall, wo dies noth-
wendig sein kann, z. B. bei Besetzung von Stellen, Gültigkeit
der Zeugen, Fähigkeit der Vormünder u. s. f. durch ausdrück-
liche Gesetze verordnete, dass, wer dies oder jenes Verbrechen
begangen, diese oder jene Strafe erlitten hätte, davon ausge-
schlossen sein solle; übrigens aber sich aller weiteren, allge-
meinen Erklärung des Misstrauens, oder gar des Verlustes der
Ehre gänzlich enthielte. Alsdann wäre es auch sehr leicht,
eine Zeit zu bestimmen, nach Verlauf welcher ein solcher Ein-
wand nicht mehr gültig sein solle. Dass es übrigens dem Staat
immer erlaubt bleibe, durch beschimpfende Strafen auf das
Ehrgefühl zu wirken, bedarf von selbst keiner Erinnerung.
Ebensowenig brauche ich noch zu wiederholen, dass schlechter-
dings keine Strafe geduldet werden muss, die sich über die
Person des Verbrechers hinaus, auf seine Kinder, oder Ver-
wandte erstreckt. Gerechtigkeit und Billigkeit sprechen mit
gleich starken Stimmen gegen sie; und selbst die Vorsichtig-
keit, mit welcher sich, bei Gelegenheit einer solchen Strafe, das,
übrigens gewiss in jeder Rücksicht vortreffliche Preussische
Gesetzbuch ausdrückt, vermag nicht, die, in der Sache selbst
allemal liegende Härte zu mindern 1).

1) Thl. 2. Tit. 20. §. 95.

denkende sie nur auf eine gewisse Zeit hin erstrecken wollen.
Aber wird der Richter bewirken können, dass der, so lange mit
dem Misstrauen seiner Mitbürger Beladene, nach Verlauf eines
bestimmten Tages, auf einmal ihr Vertrauen wieder gewinne?
Endlich ist es den, in diesem ganzen Aufsatz vorgetragenen
Grundsätzen nicht gemäss, dass der Staat der Meinung der
Bürger, auch nur auf irgend eine Art, eine gewisse Richtung
geben wolle. Meines Erachtens wäre es daher rathsamer,
dass der Staat sich allein in den Gränzen der Pflicht hielte,
welche ihm allerdings obliegt, die Bürger gegen verdächtige
Personen zu sichern, und dass er daher überall, wo dies noth-
wendig sein kann, z. B. bei Besetzung von Stellen, Gültigkeit
der Zeugen, Fähigkeit der Vormünder u. s. f. durch ausdrück-
liche Gesetze verordnete, dass, wer dies oder jenes Verbrechen
begangen, diese oder jene Strafe erlitten hätte, davon ausge-
schlossen sein solle; übrigens aber sich aller weiteren, allge-
meinen Erklärung des Misstrauens, oder gar des Verlustes der
Ehre gänzlich enthielte. Alsdann wäre es auch sehr leicht,
eine Zeit zu bestimmen, nach Verlauf welcher ein solcher Ein-
wand nicht mehr gültig sein solle. Dass es übrigens dem Staat
immer erlaubt bleibe, durch beschimpfende Strafen auf das
Ehrgefühl zu wirken, bedarf von selbst keiner Erinnerung.
Ebensowenig brauche ich noch zu wiederholen, dass schlechter-
dings keine Strafe geduldet werden muss, die sich über die
Person des Verbrechers hinaus, auf seine Kinder, oder Ver-
wandte erstreckt. Gerechtigkeit und Billigkeit sprechen mit
gleich starken Stimmen gegen sie; und selbst die Vorsichtig-
keit, mit welcher sich, bei Gelegenheit einer solchen Strafe, das,
übrigens gewiss in jeder Rücksicht vortreffliche Preussische
Gesetzbuch ausdrückt, vermag nicht, die, in der Sache selbst
allemal liegende Härte zu mindern 1).

1) Thl. 2. Tit. 20. §. 95.
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[143/0179] denkende sie nur auf eine gewisse Zeit hin erstrecken wollen. Aber wird der Richter bewirken können, dass der, so lange mit dem Misstrauen seiner Mitbürger Beladene, nach Verlauf eines bestimmten Tages, auf einmal ihr Vertrauen wieder gewinne? Endlich ist es den, in diesem ganzen Aufsatz vorgetragenen Grundsätzen nicht gemäss, dass der Staat der Meinung der Bürger, auch nur auf irgend eine Art, eine gewisse Richtung geben wolle. Meines Erachtens wäre es daher rathsamer, dass der Staat sich allein in den Gränzen der Pflicht hielte, welche ihm allerdings obliegt, die Bürger gegen verdächtige Personen zu sichern, und dass er daher überall, wo dies noth- wendig sein kann, z. B. bei Besetzung von Stellen, Gültigkeit der Zeugen, Fähigkeit der Vormünder u. s. f. durch ausdrück- liche Gesetze verordnete, dass, wer dies oder jenes Verbrechen begangen, diese oder jene Strafe erlitten hätte, davon ausge- schlossen sein solle; übrigens aber sich aller weiteren, allge- meinen Erklärung des Misstrauens, oder gar des Verlustes der Ehre gänzlich enthielte. Alsdann wäre es auch sehr leicht, eine Zeit zu bestimmen, nach Verlauf welcher ein solcher Ein- wand nicht mehr gültig sein solle. Dass es übrigens dem Staat immer erlaubt bleibe, durch beschimpfende Strafen auf das Ehrgefühl zu wirken, bedarf von selbst keiner Erinnerung. Ebensowenig brauche ich noch zu wiederholen, dass schlechter- dings keine Strafe geduldet werden muss, die sich über die Person des Verbrechers hinaus, auf seine Kinder, oder Ver- wandte erstreckt. Gerechtigkeit und Billigkeit sprechen mit gleich starken Stimmen gegen sie; und selbst die Vorsichtig- keit, mit welcher sich, bei Gelegenheit einer solchen Strafe, das, übrigens gewiss in jeder Rücksicht vortreffliche Preussische Gesetzbuch ausdrückt, vermag nicht, die, in der Sache selbst allemal liegende Härte zu mindern 1). 1) Thl. 2. Tit. 20. §. 95.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/179>, abgerufen am 27.11.2024.