kann dies gleichfalls ungestraft zu thun. So wenig ihm nun auch die Befugniss abgesprochen werden darf, sich dieses Rechts, wo er es für nothwendig hält, zu bedienen, und so sehr sogar seine Pflicht es erfordern kann; so halte ich dennoch eine allgemeine Erklärung, dass er es thun wolle, keinesweges für rathsam. Denn einmal setzt dieselbe eine gewisse Konsequenz im Unrechthandlen bei dem Bestraften voraus, die sich doch in der That in der Erfahrung wenigstens nur selten findet; dann ist sie auch, selbst bei der gelindesten Art der Abfassung, selbst wenn sie blos als eine Erklärung des gerechten Miss- trauens des Staats ausgedrückt wird, immer zu unbestimmt, um nicht an sich manchem Missbrauch Raum zu geben, und um nicht wenigstens oft, schon der Konsequenz der Grundsätze wegen, mehr Fälle unter sich zu begreifen, als der Sache selbst wegen nöthig wäre. Denn die Gattungen des Vertrauens, welches man zu einem Menschen fassen kann, sind, der Ver- schiedenheit der Fälle nach, so unendlich mannigfaltig, dass ich kaum unter allen Verbrechen ein Einziges weiss, welches den Verbrecher zu allen auf Einmal unfähig machte. Dazu führt indess doch immer ein allgemeiner Ausdruck, und der Mensch, bei dem man sich sonst nur, bei dahin passenden Gelegen- heiten, erinnern würde, dass er dieses oder jenes Gesetz über- treten habe, trägt nun überall ein Zeichen der Unwürdigkeit mit sich herum. Wie hart aber diese Strafe sei, sagt das, gewiss keinem Menschen fremde Gefühl, dass, ohne das Ver- trauen seiner Mitmenschen, das Leben selbst wünschenswerth zu sein aufhört. Mehrere Schwierigkeiten zeigen sich nun noch bei der näheren Anwendung dieser Strafe. Misstrauen gegen die Rechtschaffenheit muss eigentlich überall da die Folge sein, wo sich Mangel derselben gezeigt hat. Auf wie viele Fälle aber alsdann diese Strafe ausgedehnt werde, sieht man von selbst. Nicht minder gross ist die Schwierigkeit bei der Frage: wie lange die Strafe dauern solle? Unstreitig wird jeder Billig-
kann dies gleichfalls ungestraft zu thun. So wenig ihm nun auch die Befugniss abgesprochen werden darf, sich dieses Rechts, wo er es für nothwendig hält, zu bedienen, und so sehr sogar seine Pflicht es erfordern kann; so halte ich dennoch eine allgemeine Erklärung, dass er es thun wolle, keinesweges für rathsam. Denn einmal setzt dieselbe eine gewisse Konsequenz im Unrechthandlen bei dem Bestraften voraus, die sich doch in der That in der Erfahrung wenigstens nur selten findet; dann ist sie auch, selbst bei der gelindesten Art der Abfassung, selbst wenn sie blos als eine Erklärung des gerechten Miss- trauens des Staats ausgedrückt wird, immer zu unbestimmt, um nicht an sich manchem Missbrauch Raum zu geben, und um nicht wenigstens oft, schon der Konsequenz der Grundsätze wegen, mehr Fälle unter sich zu begreifen, als der Sache selbst wegen nöthig wäre. Denn die Gattungen des Vertrauens, welches man zu einem Menschen fassen kann, sind, der Ver- schiedenheit der Fälle nach, so unendlich mannigfaltig, dass ich kaum unter allen Verbrechen ein Einziges weiss, welches den Verbrecher zu allen auf Einmal unfähig machte. Dazu führt indess doch immer ein allgemeiner Ausdruck, und der Mensch, bei dem man sich sonst nur, bei dahin passenden Gelegen- heiten, erinnern würde, dass er dieses oder jenes Gesetz über- treten habe, trägt nun überall ein Zeichen der Unwürdigkeit mit sich herum. Wie hart aber diese Strafe sei, sagt das, gewiss keinem Menschen fremde Gefühl, dass, ohne das Ver- trauen seiner Mitmenschen, das Leben selbst wünschenswerth zu sein aufhört. Mehrere Schwierigkeiten zeigen sich nun noch bei der näheren Anwendung dieser Strafe. Misstrauen gegen die Rechtschaffenheit muss eigentlich überall da die Folge sein, wo sich Mangel derselben gezeigt hat. Auf wie viele Fälle aber alsdann diese Strafe ausgedehnt werde, sieht man von selbst. Nicht minder gross ist die Schwierigkeit bei der Frage: wie lange die Strafe dauern solle? Unstreitig wird jeder Billig-
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kann dies gleichfalls ungestraft zu thun. So wenig ihm nun
auch die Befugniss abgesprochen werden darf, sich dieses
Rechts, wo er es für nothwendig hält, zu bedienen, und so sehr
sogar seine Pflicht es erfordern kann; so halte ich dennoch eine
allgemeine Erklärung, dass er es thun wolle, keinesweges für
rathsam. Denn einmal setzt dieselbe eine gewisse Konsequenz
im Unrechthandlen bei dem Bestraften voraus, die sich doch in
der That in der Erfahrung wenigstens nur selten findet; dann
ist sie auch, selbst bei der gelindesten Art der Abfassung,
selbst wenn sie blos als eine Erklärung des gerechten Miss-
trauens des Staats ausgedrückt wird, immer zu unbestimmt,
um nicht an sich manchem Missbrauch Raum zu geben, und um
nicht wenigstens oft, schon der Konsequenz der Grundsätze
wegen, mehr Fälle unter sich zu begreifen, als der Sache selbst
wegen nöthig wäre. Denn die Gattungen des Vertrauens,
welches man zu einem Menschen fassen kann, sind, der Ver-
schiedenheit der Fälle nach, so unendlich mannigfaltig, dass ich
kaum unter allen Verbrechen ein Einziges weiss, welches den
Verbrecher zu allen auf Einmal unfähig machte. Dazu führt
indess doch immer ein allgemeiner Ausdruck, und der Mensch,
bei dem man sich sonst nur, bei dahin passenden Gelegen-
heiten, erinnern würde, dass er dieses oder jenes Gesetz über-
treten habe, trägt nun überall ein Zeichen der Unwürdigkeit
mit sich herum. Wie hart aber diese Strafe sei, sagt das,
gewiss keinem Menschen fremde Gefühl, dass, ohne das Ver-
trauen seiner Mitmenschen, das Leben selbst wünschenswerth
zu sein aufhört. Mehrere Schwierigkeiten zeigen sich nun noch
bei der näheren Anwendung dieser Strafe. Misstrauen gegen
die Rechtschaffenheit muss eigentlich überall da die Folge sein,
wo sich Mangel derselben gezeigt hat. Auf wie viele Fälle
aber alsdann diese Strafe ausgedehnt werde, sieht man von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/178>, abgerufen am 27.07.2024.
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