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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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sition, welcher Art sie sei. Alles Recht kann sich unmittelbar
nur immer auf die Person beziehn; auf Sachen ist es nicht
anders denkbar, als insofern die Sachen durch Handlungen mit
der Person verknüpft sind. Mit dem Aufhören der Person fällt
daher auch dies Recht weg. Der Mensch darf daher zwar, bei
seinem Leben mit seinen Sachen nach Gefallen schalten, sie
ganz oder zum Theil, ihre Substanz, oder ihre Benutzung, oder
ihren Besitz veräussern, auch seine Handlungen, seine Dispo-
sition über sein Vermögen, wie er es gut findet, im Voraus
beschränken. Keinesweges aber steht ihm die Befugniss zu,
auf eine, für andre verbindliche Weise zu bestimmen, wie es mit
seinem Vermögen nach seinem Tode gehalten werden, oder wie
der künftige Besitzer desselben handlen oder nicht handlen
solle? Ich verweile nicht bei den Einwürfen, welche sich gegen
diese Sätze erheben lassen. Die Gründe und Gegengründe sind
schon hinlänglich in der bekannten Streitfrage über die Gültig-
keit der Testamente nach dem Naturrecht auseinandergesetzt
worden, und der Gesichtspunkt des Rechts ist hier überhaupt
minder wichtig, da freilich der ganzen Gesellschaft die Befug-
niss nicht bestritten werden kann, letztwilligen Erklärungen
die, ihnen sonst mangelnde Gültigkeit positiv beizulegen. Allein
wenigstens in der Ausdehnung, welche ihnen die meisten unsrer
Gesetzgebungen beilegen, nach dem System unsres gemeinen
Rechts, in welchem sich hier die Spitzfindigkeit Römischer
Rechtsgelehrten, mit der, eigentlich auf die Trennung aller Ge-
sellschaft hinauslaufenden Herrschsucht des Lehnwesens ver-
eint, hemmen sie die Freiheit, deren die Ausbildung des Men-
schen nothwendig bedarf, und streiten gegen alle, in diesem
ganzen Aufsatz entwickelte Grundsätze. Denn sie sind das
vorzüglichste Mittel, wodurch eine Generation der andern Ge-
setze vorschreibt, wodurch Missbräuche und Vorurtheile, die
sonst nicht leicht die Gründe überleben würden, welche ihr Ent-
stehen unvermeidlich, oder ihr Dasein unentbehrlich machen,

sition, welcher Art sie sei. Alles Recht kann sich unmittelbar
nur immer auf die Person beziehn; auf Sachen ist es nicht
anders denkbar, als insofern die Sachen durch Handlungen mit
der Person verknüpft sind. Mit dem Aufhören der Person fällt
daher auch dies Recht weg. Der Mensch darf daher zwar, bei
seinem Leben mit seinen Sachen nach Gefallen schalten, sie
ganz oder zum Theil, ihre Substanz, oder ihre Benutzung, oder
ihren Besitz veräussern, auch seine Handlungen, seine Dispo-
sition über sein Vermögen, wie er es gut findet, im Voraus
beschränken. Keinesweges aber steht ihm die Befugniss zu,
auf eine, für andre verbindliche Weise zu bestimmen, wie es mit
seinem Vermögen nach seinem Tode gehalten werden, oder wie
der künftige Besitzer desselben handlen oder nicht handlen
solle? Ich verweile nicht bei den Einwürfen, welche sich gegen
diese Sätze erheben lassen. Die Gründe und Gegengründe sind
schon hinlänglich in der bekannten Streitfrage über die Gültig-
keit der Testamente nach dem Naturrecht auseinandergesetzt
worden, und der Gesichtspunkt des Rechts ist hier überhaupt
minder wichtig, da freilich der ganzen Gesellschaft die Befug-
niss nicht bestritten werden kann, letztwilligen Erklärungen
die, ihnen sonst mangelnde Gültigkeit positiv beizulegen. Allein
wenigstens in der Ausdehnung, welche ihnen die meisten unsrer
Gesetzgebungen beilegen, nach dem System unsres gemeinen
Rechts, in welchem sich hier die Spitzfindigkeit Römischer
Rechtsgelehrten, mit der, eigentlich auf die Trennung aller Ge-
sellschaft hinauslaufenden Herrschsucht des Lehnwesens ver-
eint, hemmen sie die Freiheit, deren die Ausbildung des Men-
schen nothwendig bedarf, und streiten gegen alle, in diesem
ganzen Aufsatz entwickelte Grundsätze. Denn sie sind das
vorzüglichste Mittel, wodurch eine Generation der andern Ge-
setze vorschreibt, wodurch Missbräuche und Vorurtheile, die
sonst nicht leicht die Gründe überleben würden, welche ihr Ent-
stehen unvermeidlich, oder ihr Dasein unentbehrlich machen,

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[123/0159] sition, welcher Art sie sei. Alles Recht kann sich unmittelbar nur immer auf die Person beziehn; auf Sachen ist es nicht anders denkbar, als insofern die Sachen durch Handlungen mit der Person verknüpft sind. Mit dem Aufhören der Person fällt daher auch dies Recht weg. Der Mensch darf daher zwar, bei seinem Leben mit seinen Sachen nach Gefallen schalten, sie ganz oder zum Theil, ihre Substanz, oder ihre Benutzung, oder ihren Besitz veräussern, auch seine Handlungen, seine Dispo- sition über sein Vermögen, wie er es gut findet, im Voraus beschränken. Keinesweges aber steht ihm die Befugniss zu, auf eine, für andre verbindliche Weise zu bestimmen, wie es mit seinem Vermögen nach seinem Tode gehalten werden, oder wie der künftige Besitzer desselben handlen oder nicht handlen solle? Ich verweile nicht bei den Einwürfen, welche sich gegen diese Sätze erheben lassen. Die Gründe und Gegengründe sind schon hinlänglich in der bekannten Streitfrage über die Gültig- keit der Testamente nach dem Naturrecht auseinandergesetzt worden, und der Gesichtspunkt des Rechts ist hier überhaupt minder wichtig, da freilich der ganzen Gesellschaft die Befug- niss nicht bestritten werden kann, letztwilligen Erklärungen die, ihnen sonst mangelnde Gültigkeit positiv beizulegen. Allein wenigstens in der Ausdehnung, welche ihnen die meisten unsrer Gesetzgebungen beilegen, nach dem System unsres gemeinen Rechts, in welchem sich hier die Spitzfindigkeit Römischer Rechtsgelehrten, mit der, eigentlich auf die Trennung aller Ge- sellschaft hinauslaufenden Herrschsucht des Lehnwesens ver- eint, hemmen sie die Freiheit, deren die Ausbildung des Men- schen nothwendig bedarf, und streiten gegen alle, in diesem ganzen Aufsatz entwickelte Grundsätze. Denn sie sind das vorzüglichste Mittel, wodurch eine Generation der andern Ge- setze vorschreibt, wodurch Missbräuche und Vorurtheile, die sonst nicht leicht die Gründe überleben würden, welche ihr Ent- stehen unvermeidlich, oder ihr Dasein unentbehrlich machen,

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/159>, abgerufen am 25.11.2024.