Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht- erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück- zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö- riger Fähigkeit der Ueberlegung -- überhaupt und in dem Mo- ment der Erklärung -- und mit freier Beschliessung handelte. Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber- legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich- keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent- steht also die zweite Verbindlichkeit des Staats, rechts widrigen Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un- überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege, welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten. Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö- rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben, bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor- hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all- gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht- fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs- recht übertragen kann, ohne sich selbst blos zu einem Mittel
Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht- erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück- zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö- riger Fähigkeit der Ueberlegung — überhaupt und in dem Mo- ment der Erklärung — und mit freier Beschliessung handelte. Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber- legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich- keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent- steht also die zweite Verbindlichkeit des Staats, rechts widrigen Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un- überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege, welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten. Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö- rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben, bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor- hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all- gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht- fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs- recht übertragen kann, ohne sich selbst blos zu einem Mittel
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Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht-
erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück-
zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten
des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein
der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann
gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch
eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö-
riger Fähigkeit der Ueberlegung — überhaupt und in dem Mo-
ment der Erklärung — und mit freier Beschliessung handelte.
Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so
ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber-
legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene
Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich-
keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche
der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent-
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Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und
auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare
Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un-
überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege,
welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten.
Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung
überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö-
rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben,
bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor-
hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die
Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände
ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all-
gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren
Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht-
fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich
nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/155>, abgerufen am 27.07.2024.
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