Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht-
erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück-
zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten
des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein
der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann
gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch
eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö-
riger Fähigkeit der Ueberlegung -- überhaupt und in dem Mo-
ment der Erklärung -- und mit freier Beschliessung handelte.
Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so
ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber-
legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene
Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich-
keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche
der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent-
steht also die zweite Verbindlichkeit des Staats, rechts widrigen
Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und
auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare
Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un-
überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege,
welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten.
Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung
überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö-
rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben,
bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor-
hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die
Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände
ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all-
gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren
Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht-
fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich
nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs-
recht übertragen kann, ohne sich selbst blos zu einem Mittel

Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht-
erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück-
zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten
des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein
der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann
gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch
eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö-
riger Fähigkeit der Ueberlegung — überhaupt und in dem Mo-
ment der Erklärung — und mit freier Beschliessung handelte.
Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so
ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber-
legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene
Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich-
keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche
der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent-
steht also die zweite Verbindlichkeit des Staats, rechts widrigen
Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und
auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare
Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un-
überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege,
welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten.
Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung
überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö-
rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben,
bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor-
hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die
Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände
ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all-
gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren
Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht-
fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich
nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs-
recht übertragen kann, ohne sich selbst blos zu einem Mittel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="119"/>
Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht-<lb/>
erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück-<lb/>
zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten<lb/>
des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein<lb/>
der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann<lb/>
gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch<lb/>
eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö-<lb/>
riger Fähigkeit der Ueberlegung &#x2014; überhaupt und in dem Mo-<lb/>
ment der Erklärung &#x2014; und mit freier Beschliessung handelte.<lb/>
Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so<lb/>
ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber-<lb/>
legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene<lb/>
Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich-<lb/>
keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche<lb/>
der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent-<lb/>
steht also die zweite Verbindlichkeit des Staats, rechts widrigen<lb/>
Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und<lb/>
auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare<lb/>
Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un-<lb/>
überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege,<lb/>
welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten.<lb/>
Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung<lb/>
überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö-<lb/>
rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben,<lb/>
bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor-<lb/>
hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die<lb/>
Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände<lb/>
ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all-<lb/>
gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren<lb/>
Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht-<lb/>
fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich<lb/>
nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs-<lb/>
recht übertragen kann, ohne sich selbst blos zu einem Mittel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0155] Sicherheit wird gestört, wenn der Uebertragende durch Nicht- erfüllung des Versprechens das Uebertragene wiederum zurück- zunehmen sucht. Es ist daher eine der wichtigsten Pflichten des Staats, Willenserklärungen aufrecht zu erhalten. Allein der Zwang, welchen jede Willenserklärung auflegt, ist nur dann gerecht und heilsam, wenn einmal blos der Erklärende dadurch eingeschränkt wird, und zweitens dieser, wenigstens mit gehö- riger Fähigkeit der Ueberlegung — überhaupt und in dem Mo- ment der Erklärung — und mit freier Beschliessung handelte. Ueberall, wo dies nicht der Fall ist, ist der Zwang eben so ungerecht, als schädlich. Auch ist auf der einen Seite die Ueber- legung für die Zukunft nur immer auf eine sehr unvollkommene Weise möglich; und auf der andern sind manche Verbindlich- keiten von der Art, dass sie der Freiheit Fesseln anlegen, welche der ganzen Ausbildung des Menschen hinderlich sind. Es ent- steht also die zweite Verbindlichkeit des Staats, rechts widrigen Willenserklärungen den Beistand der Gesetze zu versagen, und auch alle, nur mit der Sicherheit des Eigenthums vereinbare Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass nicht die Un- überlegtheit Eines Moments dem Menschen Fesseln anlege, welche seine ganze Ausbildung hemmen oder zurückhalten. Was zur Gültigkeit eines Vertrags, oder einer Willenserklärung überhaupt erfordert wird, setzen die Theorien des Rechts gehö- rig auseinander. Nur in Absicht des Gegenstandes derselben, bleibt mir hier zu erinnern übrig, dass der Staat, dem, den vor- hin entwickelten Grundsätzen gemäss, schlechterdings blos die Erhaltung der Sicherheit obliegt, keine andern Gegenstände ausnehmen darf, als diejenigen, welche entweder schon die all- gemeinen Begriffe des Rechts selbst ausnehmen, oder deren Ausnahme gleichfalls durch die Sorge für die Sicherheit gerecht- fertigt wird. Als hieher gehörig aber zeichnen sich vorzüglich nur folgende Fälle aus: 1., wo der Versprechende kein Zwangs- recht übertragen kann, ohne sich selbst blos zu einem Mittel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/155
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/155>, abgerufen am 25.11.2024.