Sicherheit gestört werden kann, wenn jemand vorsätzlicher oder unbesonnener Weise die Unwissenheit andrer zu seinem Vortheile benutzt; so muss es den Bürgern frei stehen, in die- sen Fällen den Staat gleichsam um Rath zu fragen. Vorzüg- lich auffallende Beispiele hievon geben theils wegen der Häufig- keit des Bedürfnisses, theils wegen der Schwierigkeit der Be- urtheilung und endlich wegen der Grösse des zu besorgenden Nachtheils, Aerzte, und zum Dienst der Partheien bestimmte Rechtsgelehrte ab. Um nun in diesen Fällen dem Wunsche der Nation zuvorzukommen, ist es nicht blos rathsam, sondern sogar nothwendig, dass der Staat diejenigen, welche sich zu solchen Geschäften bestimmen -- insofern sie sich einer Prüfung unterwerfen wollen -- prüfe, und wenn die Prüfung gut aus- fällt, mit einem Zeichen der Geschicklichkeit versehe, und nun den Bürgern bekannt mache, dass sie ihr Vertrauen nur den- jenigen gewiss schenken können, welche auf diese Weise bewährt gefunden worden sind. Weiter aber dürfte er auch nie gehen, nie weder denen, welche entweder die Prüfung ausgeschlagen, oder in derselben unterlegen, die Uebung ihres Geschäfts, noch der Nation den Gebrauch derselben untersagen. Dann dürfte er dergleichen Veranstaltungen auch auf keine andre Geschäfte ausdehnen, als auf solche, wo einmal nicht auf das Innere, son- dern nur auf das Aeussere des Menschen gewirkt werden soll, wo dieser folglich nicht selbst mitwirkend, sondern nur folgsam und leidend zu sein braucht, und wo es demnach nur auf die Wahrheit oder Falschheit der Resultate ankommt; und wo zweitens die Beurtheilung Kenntnisse voraussetzt, die ein ganz abgesondertes Gebiet für sich ausmachen, nicht durch Uebung des Verstandes, und der praktischen Urtheilskraft erworben werden, und deren Seltenheit selbst das Rathfragen erschwert. Handelt der Staat gegen die letztere Bestimmung, so geräth er in Gefahr, die Nation träge, unthätig, immer vertrauend auf fremde Kenntniss und fremden Willen zu machen, da gerade
Sicherheit gestört werden kann, wenn jemand vorsätzlicher oder unbesonnener Weise die Unwissenheit andrer zu seinem Vortheile benutzt; so muss es den Bürgern frei stehen, in die- sen Fällen den Staat gleichsam um Rath zu fragen. Vorzüg- lich auffallende Beispiele hievon geben theils wegen der Häufig- keit des Bedürfnisses, theils wegen der Schwierigkeit der Be- urtheilung und endlich wegen der Grösse des zu besorgenden Nachtheils, Aerzte, und zum Dienst der Partheien bestimmte Rechtsgelehrte ab. Um nun in diesen Fällen dem Wunsche der Nation zuvorzukommen, ist es nicht blos rathsam, sondern sogar nothwendig, dass der Staat diejenigen, welche sich zu solchen Geschäften bestimmen — insofern sie sich einer Prüfung unterwerfen wollen — prüfe, und wenn die Prüfung gut aus- fällt, mit einem Zeichen der Geschicklichkeit versehe, und nun den Bürgern bekannt mache, dass sie ihr Vertrauen nur den- jenigen gewiss schenken können, welche auf diese Weise bewährt gefunden worden sind. Weiter aber dürfte er auch nie gehen, nie weder denen, welche entweder die Prüfung ausgeschlagen, oder in derselben unterlegen, die Uebung ihres Geschäfts, noch der Nation den Gebrauch derselben untersagen. Dann dürfte er dergleichen Veranstaltungen auch auf keine andre Geschäfte ausdehnen, als auf solche, wo einmal nicht auf das Innere, son- dern nur auf das Aeussere des Menschen gewirkt werden soll, wo dieser folglich nicht selbst mitwirkend, sondern nur folgsam und leidend zu sein braucht, und wo es demnach nur auf die Wahrheit oder Falschheit der Resultate ankommt; und wo zweitens die Beurtheilung Kenntnisse voraussetzt, die ein ganz abgesondertes Gebiet für sich ausmachen, nicht durch Uebung des Verstandes, und der praktischen Urtheilskraft erworben werden, und deren Seltenheit selbst das Rathfragen erschwert. Handelt der Staat gegen die letztere Bestimmung, so geräth er in Gefahr, die Nation träge, unthätig, immer vertrauend auf fremde Kenntniss und fremden Willen zu machen, da gerade
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Sicherheit gestört werden kann, wenn jemand vorsätzlicher
oder unbesonnener Weise die Unwissenheit andrer zu seinem
Vortheile benutzt; so muss es den Bürgern frei stehen, in die-
sen Fällen den Staat gleichsam um Rath zu fragen. Vorzüg-
lich auffallende Beispiele hievon geben theils wegen der Häufig-
keit des Bedürfnisses, theils wegen der Schwierigkeit der Be-
urtheilung und endlich wegen der Grösse des zu besorgenden
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Rechtsgelehrte ab. Um nun in diesen Fällen dem Wunsche
der Nation zuvorzukommen, ist es nicht blos rathsam, sondern
sogar nothwendig, dass der Staat diejenigen, welche sich zu
solchen Geschäften bestimmen — insofern sie sich einer Prüfung
unterwerfen wollen — prüfe, und wenn die Prüfung gut aus-
fällt, mit einem Zeichen der Geschicklichkeit versehe, und nun
den Bürgern bekannt mache, dass sie ihr Vertrauen nur den-
jenigen gewiss schenken können, welche auf diese Weise bewährt
gefunden worden sind. Weiter aber dürfte er auch nie gehen,
nie weder denen, welche entweder die Prüfung ausgeschlagen,
oder in derselben unterlegen, die Uebung ihres Geschäfts, noch
der Nation den Gebrauch derselben untersagen. Dann dürfte
er dergleichen Veranstaltungen auch auf keine andre Geschäfte
ausdehnen, als auf solche, wo einmal nicht auf das Innere, son-
dern nur auf das Aeussere des Menschen gewirkt werden soll,
wo dieser folglich nicht selbst mitwirkend, sondern nur folgsam
und leidend zu sein braucht, und wo es demnach nur auf die
Wahrheit oder Falschheit der Resultate ankommt; und wo
zweitens die Beurtheilung Kenntnisse voraussetzt, die ein ganz
abgesondertes Gebiet für sich ausmachen, nicht durch Uebung
des Verstandes, und der praktischen Urtheilskraft erworben
werden, und deren Seltenheit selbst das Rathfragen erschwert.
Handelt der Staat gegen die letztere Bestimmung, so geräth
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/145>, abgerufen am 16.02.2025.
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