auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken, diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen, versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge- schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit- telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten, nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her- stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich- tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner- halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der, gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,
auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken, diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen, versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge- schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit- telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten, nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her- stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich- tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner- halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der, gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0137"n="101"/>
auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken,<lb/>
diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen,<lb/>
versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die<lb/>
Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit<lb/>
halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem<lb/>
diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in<lb/>
Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge-<lb/>
schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu<lb/>
den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr<lb/>
ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur<lb/>
negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener<lb/>
Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der<lb/>
Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit-<lb/>
telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten,<lb/>
nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her-<lb/>
stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff<lb/>
der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts<lb/>
andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen<lb/>
Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die<lb/>
Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren<lb/>
Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der<lb/>
einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich-<lb/>
tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um<lb/>
nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die<lb/>
Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner-<lb/>
halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem<lb/>
andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der,<lb/>
gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber<lb/>
den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder<lb/>
immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff<lb/>
in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der<lb/>
Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter<lb/>
Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[101/0137]
auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken,
diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen,
versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die
Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit
halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem
diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in
Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge-
schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu
den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr
ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur
negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener
Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der
Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit-
telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten,
nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her-
stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff
der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts
andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen
Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die
Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren
Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der
einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich-
tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um
nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die
Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner-
halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem
andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der,
gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber
den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder
immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff
in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der
Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter
Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/137>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.