nicht in der Untersuchung selbst liegen. Untersuchung und Ueberzeugung, die aus der Untersuchung entspringt, ist Selbst- thätigkeit; Glaube Vertrauen auf fremde Kraft, fremde intel- lektuelle oder moralische Vollkommenheit. Daher entsteht in dem untersuchenden Denker mehr Selbstständigkeit, mehr Festigkeit; in dem vertrauenden Gläubigen mehr Schwäche, mehr Unthätigkeit. Es ist wahr, dass der Glaube, wo er ganz herrscht, und jeden Zweifel erstickt, sogar einen noch unüber- windlicheren Muth, eine noch ausdauerndere Stärke hervor- bringt, die Geschichte aller Schwärmer lehrt es. Allein diese Stärke ist nur da wünschenswerth, wo es auf einen äussern bestimmten Erfolg ankommt, zu welchem blos maschinenmäs- siges Wirken erfordert wird; nicht da, wo man eignes Be- schliessen, durchdachte, auf Gründen der Vernunft beruhende Handlungen, oder gar innere Vollkommenheit erwartet. Denn diese Stärke selbst beruht nur auf der Unterdrückung aller eig- nen Thätigkeit der Vernunft. Zweifel sind nur dem quälend, welcher glaubt, nie dem, welcher blos der eignen Untersuchung folgt. Denn überhaupt sind diesem die Resultate weit weniger wichtig, als jenem. Er ist sich, während der Untersuchung, der Thätigkeit, der Stärke seiner Seele bewusst, er fühlt, dass seine wahre Vollkommenheit, seine Glückseligkeit eigentlich auf dieser Stärke beruht; statt dass Zweifel an den Sätzen, die er bisher für wahr hielt, ihn drücken sollten, freut es ihn, dass seine Denkkraft so viel gewonnen hat, Irrthümer einzusehen, die ihm vorher verborgen blieben. Der Glaube hingegen kann nur Interesse an dem Resultat selbst finden, denn für ihn liegt in der erkannten Wahrheit nichts mehr. Zweifel, die seine Vernunft erregt, peinigen ihn. Denn sie sind nicht, wie in dem selbstdenkenden Kopfe, neue Mittel zur Wahrheit zu gelangen; sie nehmen ihm blos die Gewissheit, ohne ihm ein Mittel anzu- zeigen, dieselbe auf eine andre Weise wieder zu erhalten. Diese Betrachtung, weiter verfolgt, führt auf die Bemerkung, dass es
nicht in der Untersuchung selbst liegen. Untersuchung und Ueberzeugung, die aus der Untersuchung entspringt, ist Selbst- thätigkeit; Glaube Vertrauen auf fremde Kraft, fremde intel- lektuelle oder moralische Vollkommenheit. Daher entsteht in dem untersuchenden Denker mehr Selbstständigkeit, mehr Festigkeit; in dem vertrauenden Gläubigen mehr Schwäche, mehr Unthätigkeit. Es ist wahr, dass der Glaube, wo er ganz herrscht, und jeden Zweifel erstickt, sogar einen noch unüber- windlicheren Muth, eine noch ausdauerndere Stärke hervor- bringt, die Geschichte aller Schwärmer lehrt es. Allein diese Stärke ist nur da wünschenswerth, wo es auf einen äussern bestimmten Erfolg ankommt, zu welchem blos maschinenmäs- siges Wirken erfordert wird; nicht da, wo man eignes Be- schliessen, durchdachte, auf Gründen der Vernunft beruhende Handlungen, oder gar innere Vollkommenheit erwartet. Denn diese Stärke selbst beruht nur auf der Unterdrückung aller eig- nen Thätigkeit der Vernunft. Zweifel sind nur dem quälend, welcher glaubt, nie dem, welcher blos der eignen Untersuchung folgt. Denn überhaupt sind diesem die Resultate weit weniger wichtig, als jenem. Er ist sich, während der Untersuchung, der Thätigkeit, der Stärke seiner Seele bewusst, er fühlt, dass seine wahre Vollkommenheit, seine Glückseligkeit eigentlich auf dieser Stärke beruht; statt dass Zweifel an den Sätzen, die er bisher für wahr hielt, ihn drücken sollten, freut es ihn, dass seine Denkkraft so viel gewonnen hat, Irrthümer einzusehen, die ihm vorher verborgen blieben. Der Glaube hingegen kann nur Interesse an dem Resultat selbst finden, denn für ihn liegt in der erkannten Wahrheit nichts mehr. Zweifel, die seine Vernunft erregt, peinigen ihn. Denn sie sind nicht, wie in dem selbstdenkenden Kopfe, neue Mittel zur Wahrheit zu gelangen; sie nehmen ihm blos die Gewissheit, ohne ihm ein Mittel anzu- zeigen, dieselbe auf eine andre Weise wieder zu erhalten. Diese Betrachtung, weiter verfolgt, führt auf die Bemerkung, dass es
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nicht in der Untersuchung selbst liegen. Untersuchung und
Ueberzeugung, die aus der Untersuchung entspringt, ist Selbst-
thätigkeit; Glaube Vertrauen auf fremde Kraft, fremde intel-
lektuelle oder moralische Vollkommenheit. Daher entsteht in
dem untersuchenden Denker mehr Selbstständigkeit, mehr
Festigkeit; in dem vertrauenden Gläubigen mehr Schwäche,
mehr Unthätigkeit. Es ist wahr, dass der Glaube, wo er ganz
herrscht, und jeden Zweifel erstickt, sogar einen noch unüber-
windlicheren Muth, eine noch ausdauerndere Stärke hervor-
bringt, die Geschichte aller Schwärmer lehrt es. Allein diese
Stärke ist nur da wünschenswerth, wo es auf einen äussern
bestimmten Erfolg ankommt, zu welchem blos maschinenmäs-
siges Wirken erfordert wird; nicht da, wo man eignes Be-
schliessen, durchdachte, auf Gründen der Vernunft beruhende
Handlungen, oder gar innere Vollkommenheit erwartet. Denn
diese Stärke selbst beruht nur auf der Unterdrückung aller eig-
nen Thätigkeit der Vernunft. Zweifel sind nur dem quälend,
welcher glaubt, nie dem, welcher blos der eignen Untersuchung
folgt. Denn überhaupt sind diesem die Resultate weit weniger
wichtig, als jenem. Er ist sich, während der Untersuchung,
der Thätigkeit, der Stärke seiner Seele bewusst, er fühlt, dass
seine wahre Vollkommenheit, seine Glückseligkeit eigentlich
auf dieser Stärke beruht; statt dass Zweifel an den Sätzen, die
er bisher für wahr hielt, ihn drücken sollten, freut es ihn, dass
seine Denkkraft so viel gewonnen hat, Irrthümer einzusehen,
die ihm vorher verborgen blieben. Der Glaube hingegen kann
nur Interesse an dem Resultat selbst finden, denn für ihn liegt
in der erkannten Wahrheit nichts mehr. Zweifel, die seine
Vernunft erregt, peinigen ihn. Denn sie sind nicht, wie in dem
selbstdenkenden Kopfe, neue Mittel zur Wahrheit zu gelangen;
sie nehmen ihm blos die Gewissheit, ohne ihm ein Mittel anzu-
zeigen, dieselbe auf eine andre Weise wieder zu erhalten. Diese
Betrachtung, weiter verfolgt, führt auf die Bemerkung, dass es
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/115>, abgerufen am 16.02.2025.
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