den ursprünglichen Neigungen des Menschen überein, die Ge- fühle der Liebe, der Verträglichkeit, der Gerechtigkeit haben so etwas Süsses, die der uneigennützigen Thätigkeit, der Auf- opferung für andre so etwas Erhebendes, die Verhältnisse, welche daraus im häuslichen und gesellschaftlichen Leben über- haupt entspringen, sind so beglückend, dass es weit weniger nothwendig ist, neue Triebfedern zu tugendhaften Handlungen hervorzusuchen, als nur denen, welche schon von selbst in der Seele liegen, freiere und ungehindertere Wirksamkeit zu ver- schaffen.
Wollte man aber auch weiter gehen, wollte man neue Beför- derungsmittel hinzufügen; so dürfte man doch nie einseitig vergessen, ihren Nutzen gegen ihren Schaden abzuwägen. Wie vielfach aber der Schade eingeschränkter Denkfreiheit ist, bedarf wohl, nachdem es so oft gesagt, und wieder gesagt ist, keiner weitläufigen Auseinandersetzung mehr; und ebenso enthält der Anfang dieses Aufsatzes schon alles, was ich über den Nach- theil jeder positiven Beförderung der Religiosität durch den Staat zu sagen für nothwendig halte. Erstreckte sich dieser Schade blos auf die Resultate der Untersuchungen, brächte er blos Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit in unsrer wissen- schaftlichen Erkenntniss hervor; so möchte es vielleicht einigen Schein haben, wenn man den Nutzen, den man von dem Cha- rakter davon erwartet -- auch erwarten darf? -- dagegen abwägen wollte. Allein so ist der Nachtheil bei weitem beträcht- licher. Der Nutzen freier Untersuchung dehnt sich auf unsre ganze Art, nicht blos zu denken, sondern zu handeln aus. In einem Manne, der gewohnt ist, Wahrheit und Irrthum, ohne Rücksicht auf äussere Verhältnisse für sich und gegen andre zu beurtheilen, und von andren beurtheilt zu hören, sind alle Prin- cipien des Handelns durchdachter, konsequenter, aus höheren Gesichtspunkten hergenommen, als in dem, dessen Unter- suchungen unaufhörlich von Umständen geleitet werden, die
den ursprünglichen Neigungen des Menschen überein, die Ge- fühle der Liebe, der Verträglichkeit, der Gerechtigkeit haben so etwas Süsses, die der uneigennützigen Thätigkeit, der Auf- opferung für andre so etwas Erhebendes, die Verhältnisse, welche daraus im häuslichen und gesellschaftlichen Leben über- haupt entspringen, sind so beglückend, dass es weit weniger nothwendig ist, neue Triebfedern zu tugendhaften Handlungen hervorzusuchen, als nur denen, welche schon von selbst in der Seele liegen, freiere und ungehindertere Wirksamkeit zu ver- schaffen.
Wollte man aber auch weiter gehen, wollte man neue Beför- derungsmittel hinzufügen; so dürfte man doch nie einseitig vergessen, ihren Nutzen gegen ihren Schaden abzuwägen. Wie vielfach aber der Schade eingeschränkter Denkfreiheit ist, bedarf wohl, nachdem es so oft gesagt, und wieder gesagt ist, keiner weitläufigen Auseinandersetzung mehr; und ebenso enthält der Anfang dieses Aufsatzes schon alles, was ich über den Nach- theil jeder positiven Beförderung der Religiosität durch den Staat zu sagen für nothwendig halte. Erstreckte sich dieser Schade blos auf die Resultate der Untersuchungen, brächte er blos Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit in unsrer wissen- schaftlichen Erkenntniss hervor; so möchte es vielleicht einigen Schein haben, wenn man den Nutzen, den man von dem Cha- rakter davon erwartet — auch erwarten darf? — dagegen abwägen wollte. Allein so ist der Nachtheil bei weitem beträcht- licher. Der Nutzen freier Untersuchung dehnt sich auf unsre ganze Art, nicht blos zu denken, sondern zu handeln aus. In einem Manne, der gewohnt ist, Wahrheit und Irrthum, ohne Rücksicht auf äussere Verhältnisse für sich und gegen andre zu beurtheilen, und von andren beurtheilt zu hören, sind alle Prin- cipien des Handelns durchdachter, konsequenter, aus höheren Gesichtspunkten hergenommen, als in dem, dessen Unter- suchungen unaufhörlich von Umständen geleitet werden, die
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den ursprünglichen Neigungen des Menschen überein, die Ge-
fühle der Liebe, der Verträglichkeit, der Gerechtigkeit haben
so etwas Süsses, die der uneigennützigen Thätigkeit, der Auf-
opferung für andre so etwas Erhebendes, die Verhältnisse,
welche daraus im häuslichen und gesellschaftlichen Leben über-
haupt entspringen, sind so beglückend, dass es weit weniger
nothwendig ist, neue Triebfedern zu tugendhaften Handlungen
hervorzusuchen, als nur denen, welche schon von selbst in der
Seele liegen, freiere und ungehindertere Wirksamkeit zu ver-
schaffen.
Wollte man aber auch weiter gehen, wollte man neue Beför-
derungsmittel hinzufügen; so dürfte man doch nie einseitig
vergessen, ihren Nutzen gegen ihren Schaden abzuwägen. Wie
vielfach aber der Schade eingeschränkter Denkfreiheit ist, bedarf
wohl, nachdem es so oft gesagt, und wieder gesagt ist, keiner
weitläufigen Auseinandersetzung mehr; und ebenso enthält der
Anfang dieses Aufsatzes schon alles, was ich über den Nach-
theil jeder positiven Beförderung der Religiosität durch den
Staat zu sagen für nothwendig halte. Erstreckte sich dieser
Schade blos auf die Resultate der Untersuchungen, brächte er
blos Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit in unsrer wissen-
schaftlichen Erkenntniss hervor; so möchte es vielleicht einigen
Schein haben, wenn man den Nutzen, den man von dem Cha-
rakter davon erwartet — auch erwarten darf? — dagegen
abwägen wollte. Allein so ist der Nachtheil bei weitem beträcht-
licher. Der Nutzen freier Untersuchung dehnt sich auf unsre
ganze Art, nicht blos zu denken, sondern zu handeln aus. In
einem Manne, der gewohnt ist, Wahrheit und Irrthum, ohne
Rücksicht auf äussere Verhältnisse für sich und gegen andre zu
beurtheilen, und von andren beurtheilt zu hören, sind alle Prin-
cipien des Handelns durchdachter, konsequenter, aus höheren
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/114>, abgerufen am 17.07.2024.
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