auch nicht hart und unempfindlich gegen andre Wesen machen, sein Herz nicht der theilnehmenden Liebe und jeder wohl- wollenden Neigung verschliessen. Eben diese Idee der Voll- kommenheit, die warlich nicht blos kalte Idee des Verstandes ist, sondern warmes Gefühl des Herzens sein kann, auf die sich seine ganze Wirksamkeit bezieht, trägt sein Dasein in das Dasein andrer über. Es liegt ja in ihnen gleiche Fähigkeit zu grösserer Vollkommenheit, diese Vollkommenheit kann er her- vorbringen oder erhöhen. Er ist noch nicht ganz von dem höchsten Ideale aller Moralität durchdrungen, so lange er noch sich oder andre einzeln zu betrachten vermag, so lange nicht alle geistige Wesen in der Summe der in ihnen einzeln zer- streut liegenden Vollkommenheit in seiner Vorstellung zusam- menfliessen. Vielleicht ist seine Vereinigung mit den übrigen, ihm gleichartigen Wesen noch inniger, seine Theilnahme an ihrem Schicksale noch wärmer, je mehr sein und ihr Schicksal, seiner Vorstellung nach, allein von ihm und von ihnen abhängt.
Setzt man vielleicht, und nicht mit Unrecht dieser Schil- derung den Einwurf entgegen, dass sie, um Realität zu erhal- ten, eine ausserordentliche, nicht blos gewöhnliche Stärke des Geistes und des Charakters erfordert; so darf man wiederum nicht vergessen, dass dies in gleichem Grade da der Fall ist, wo religiöse Gefühle ein wahrhaft schönes, von Kälte und Schwärmerei gleich fernes Dasein hervorbringen sollen. Auch würde dieser Einwurf überhaupt nur passend sein, wenn ich die Beförderung der zuletzt geschilderten Stimmung vorzugs- weise empfohlen hätte. Allein so geht meine Absicht schlech- terdings allein dahin, zu zeigen, dass die Moralität, auch bei der höchsten Konsequenz des Menschen, schlechterdings nicht von der Religion abhängig, oder überhaupt nothwendig mit ihr verbunden ist, und dadurch auch an meinem Theile zu der Ent- fernung auch des mindesten Schattens von Intoleranz, und der Beförderung derjenigen Achtung beizutragen, welche den
auch nicht hart und unempfindlich gegen andre Wesen machen, sein Herz nicht der theilnehmenden Liebe und jeder wohl- wollenden Neigung verschliessen. Eben diese Idee der Voll- kommenheit, die warlich nicht blos kalte Idee des Verstandes ist, sondern warmes Gefühl des Herzens sein kann, auf die sich seine ganze Wirksamkeit bezieht, trägt sein Dasein in das Dasein andrer über. Es liegt ja in ihnen gleiche Fähigkeit zu grösserer Vollkommenheit, diese Vollkommenheit kann er her- vorbringen oder erhöhen. Er ist noch nicht ganz von dem höchsten Ideale aller Moralität durchdrungen, so lange er noch sich oder andre einzeln zu betrachten vermag, so lange nicht alle geistige Wesen in der Summe der in ihnen einzeln zer- streut liegenden Vollkommenheit in seiner Vorstellung zusam- menfliessen. Vielleicht ist seine Vereinigung mit den übrigen, ihm gleichartigen Wesen noch inniger, seine Theilnahme an ihrem Schicksale noch wärmer, je mehr sein und ihr Schicksal, seiner Vorstellung nach, allein von ihm und von ihnen abhängt.
Setzt man vielleicht, und nicht mit Unrecht dieser Schil- derung den Einwurf entgegen, dass sie, um Realität zu erhal- ten, eine ausserordentliche, nicht blos gewöhnliche Stärke des Geistes und des Charakters erfordert; so darf man wiederum nicht vergessen, dass dies in gleichem Grade da der Fall ist, wo religiöse Gefühle ein wahrhaft schönes, von Kälte und Schwärmerei gleich fernes Dasein hervorbringen sollen. Auch würde dieser Einwurf überhaupt nur passend sein, wenn ich die Beförderung der zuletzt geschilderten Stimmung vorzugs- weise empfohlen hätte. Allein so geht meine Absicht schlech- terdings allein dahin, zu zeigen, dass die Moralität, auch bei der höchsten Konsequenz des Menschen, schlechterdings nicht von der Religion abhängig, oder überhaupt nothwendig mit ihr verbunden ist, und dadurch auch an meinem Theile zu der Ent- fernung auch des mindesten Schattens von Intoleranz, und der Beförderung derjenigen Achtung beizutragen, welche den
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auch nicht hart und unempfindlich gegen andre Wesen machen,
sein Herz nicht der theilnehmenden Liebe und jeder wohl-
wollenden Neigung verschliessen. Eben diese Idee der Voll-
kommenheit, die warlich nicht blos kalte Idee des Verstandes
ist, sondern warmes Gefühl des Herzens sein kann, auf die sich
seine ganze Wirksamkeit bezieht, trägt sein Dasein in das
Dasein andrer über. Es liegt ja in ihnen gleiche Fähigkeit zu
grösserer Vollkommenheit, diese Vollkommenheit kann er her-
vorbringen oder erhöhen. Er ist noch nicht ganz von dem
höchsten Ideale aller Moralität durchdrungen, so lange er noch
sich oder andre einzeln zu betrachten vermag, so lange nicht
alle geistige Wesen in der Summe der in ihnen einzeln zer-
streut liegenden Vollkommenheit in seiner Vorstellung zusam-
menfliessen. Vielleicht ist seine Vereinigung mit den übrigen,
ihm gleichartigen Wesen noch inniger, seine Theilnahme an
ihrem Schicksale noch wärmer, je mehr sein und ihr Schicksal,
seiner Vorstellung nach, allein von ihm und von ihnen abhängt.
Setzt man vielleicht, und nicht mit Unrecht dieser Schil-
derung den Einwurf entgegen, dass sie, um Realität zu erhal-
ten, eine ausserordentliche, nicht blos gewöhnliche Stärke des
Geistes und des Charakters erfordert; so darf man wiederum
nicht vergessen, dass dies in gleichem Grade da der Fall ist,
wo religiöse Gefühle ein wahrhaft schönes, von Kälte und
Schwärmerei gleich fernes Dasein hervorbringen sollen. Auch
würde dieser Einwurf überhaupt nur passend sein, wenn ich
die Beförderung der zuletzt geschilderten Stimmung vorzugs-
weise empfohlen hätte. Allein so geht meine Absicht schlech-
terdings allein dahin, zu zeigen, dass die Moralität, auch bei
der höchsten Konsequenz des Menschen, schlechterdings nicht
von der Religion abhängig, oder überhaupt nothwendig mit ihr
verbunden ist, und dadurch auch an meinem Theile zu der Ent-
fernung auch des mindesten Schattens von Intoleranz, und der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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