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Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120.

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Über die Chinawälder
nicht der, welcher eine Entdeckung selbst macht, sondern der, welcher
eine fremde Entdeckung als die seinige mit einer gewissen Keckheit ver-
breitet, für den ersten Entdecker gilt. Mutis, ein Mann von einem li-
beralen, etwas neugierigen Charakter, hatte keine Belohnung von dem
Gouvernement gefordert. Er beschäftigte sich in der Stille mit botani-
schen Untersuchungen der neuen China-Arten, die er auffand, und mit
Anwendung der Fieberrinden in ausgebreiteter medizinischer Praxis. Erst
im Jahr 1783 erhielt er eine königliche Besoldung, als die botanische
Expedition von Santa Fe durch Gongora, der zugleich Erzbischof und
Vicekönig war, organisirt ward.

Vier Jahre nach der Entdeckung des Doctor Mutis, 1776, wusste
ein verschlagener und zanksüchtiger Arzt zu S. Fe, Don Sebastian Jose
Lopez Ruiz
aus Ganama gebürtig, die spanische Regierung zu überre-
den, dass er die ersten Fieberrindenbäume in Neu-Grenada entdeckt
habe. Er sandte Proben der neuen China nach Madrid, sprach viel von
der Wichtigkeit des neuen Handelsartikels und erhielt eine jährliche Pen-
sion von 2000 Piaster zur Belohnung. Aus Aktenstücken, welche Herr
Lopez mir im Januar 1802 durch seinen Bruder, einen Kanonikus in
Quito, zustellen liess, um mir die Priorität seiner Entdeckung zu bewei-
sen, habe ich ersehen, dass er erst 1774 die Cinchona um Honda er-
kannte, und 1775 den ersten medizinischen Versuch damit machte. Herr
Lopez genoss nicht lange seines vollen Jahrgehalts. Der Vicekönig Gon-
gora,
der ohnedies Herrn Mutis sehr schätzte, und dessen erster Sekre-
tair, Don Zenon de Alonzo, der ein eifriger Beförderer der Wissenschaften
war, stellte dem Hofe vor, dass Lopez nicht der frühere Entdecker der
neugrenadischen Fieberrinde sei. Man strich sogleich die Hälfte der kö-
niglichen Pension, befahl Herrn Lopez nach den Darien zu reisen, wo
man ebenfalls vorgab Cinchona entdeckt zu haben, und da er sich wei-
gerte die Reise in ein so verpestetes Klima zu unternehmen, so zog der
Vicekönig auch die letzte Hälfte des Jahrgehalts ein. Seit dieser Epoche
entstand ein heftiger Streit über die Priorität der Entdeckung. Lopez
machte eine Reise nach Europa und wusste sich 1000 Piaster Gehalt
wieder zu verschaffen. Er schmeichelte sich bei Herrn Mutis botani-
schen Widersachern ein, und diese erwähnten seitdem oft seiner als Mit-
entdecker. Noch auffallender ist es, dass der Obrist Don Antonio de
la Torre Miranda
in seiner Topographie der Provinz Carthagena (No-
ticia individual de los Poblaciones nuevas fundadas en la Provincia
de Carthagena)
durch Zeugnisse beweisen will, dass ihm die Ehre des
Auffindens der Chinarinde in Neu-Grenada gehöre, weil er sie 1783 (also
11 Jahr nach Mutis) zuerst bei Fusagasuga entdeckt habe. Herr Mutis
hatte in Mariquita eine Pflanzung von Cinchona und von Kanell-Lorbeer

der

Über die Chinawälder
nicht der, welcher eine Entdeckung selbst macht, sondern der, welcher
eine fremde Entdeckung als die seinige mit einer gewissen Keckheit ver-
breitet, für den ersten Entdecker gilt. Mutis, ein Mann von einem li-
beralen, etwas neugierigen Charakter, hatte keine Belohnung von dem
Gouvernement gefordert. Er beschäftigte sich in der Stille mit botani-
schen Untersuchungen der neuen China-Arten, die er auffand, und mit
Anwendung der Fieberrinden in ausgebreiteter medizinischer Praxis. Erst
im Jahr 1783 erhielt er eine königliche Besoldung, als die botanische
Expedition von Santa Fe durch Gongora, der zugleich Erzbischof und
Vicekönig war, organisirt ward.

Vier Jahre nach der Entdeckung des Doctor Mutis, 1776, wuſste
ein verschlagener und zanksüchtiger Arzt zu S. Fe, Don Sebastian Jose
Lopez Ruiz
aus Ganama gebürtig, die spanische Regierung zu überre-
den, daſs er die ersten Fieberrindenbäume in Neu-Grenada entdeckt
habe. Er sandte Proben der neuen China nach Madrid, sprach viel von
der Wichtigkeit des neuen Handelsartikels und erhielt eine jährliche Pen-
sion von 2000 Piaster zur Belohnung. Aus Aktenstücken, welche Herr
Lopez mir im Januar 1802 durch seinen Bruder, einen Kanonikus in
Quito, zustellen lieſs, um mir die Priorität seiner Entdeckung zu bewei-
sen, habe ich ersehen, daſs er erst 1774 die Cinchona um Honda er-
kannte, und 1775 den ersten medizinischen Versuch damit machte. Herr
Lopez genoſs nicht lange seines vollen Jahrgehalts. Der Vicekönig Gon-
gora,
der ohnedies Herrn Mutis sehr schätzte, und dessen erster Sekre-
tair, Don Zenon de Alonzo, der ein eifriger Beförderer der Wissenschaften
war, stellte dem Hofe vor, daſs Lopez nicht der frühere Entdecker der
neugrenadischen Fieberrinde sei. Man strich sogleich die Hälfte der kö-
niglichen Pension, befahl Herrn Lopez nach den Darien zu reisen, wo
man ebenfalls vorgab Cinchona entdeckt zu haben, und da er sich wei-
gerte die Reise in ein so verpestetes Klima zu unternehmen, so zog der
Vicekönig auch die letzte Hälfte des Jahrgehalts ein. Seit dieser Epoche
entstand ein heftiger Streit über die Priorität der Entdeckung. Lopez
machte eine Reise nach Europa und wuſste sich 1000 Piaster Gehalt
wieder zu verschaffen. Er schmeichelte sich bei Herrn Mutis botani-
schen Widersachern ein, und diese erwähnten seitdem oft seiner als Mit-
entdecker. Noch auffallender ist es, daſs der Obrist Don Antonio de
la Torre Miranda
in seiner Topographie der Provinz Carthagena (No-
ticia individual de los Poblaciones nuevas fundadas en la Provincia
de Carthagena)
durch Zeugnisse beweisen will, daſs ihm die Ehre des
Auffindens der Chinarinde in Neu-Grenada gehöre, weil er sie 1783 (also
11 Jahr nach Mutis) zuerst bei Fusagasuga entdeckt habe. Herr Mutis
hatte in Mariquita eine Pflanzung von Cinchona und von Kanell-Lorbeer

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[64/0009] Über die Chinawälder nicht der, welcher eine Entdeckung selbst macht, sondern der, welcher eine fremde Entdeckung als die seinige mit einer gewissen Keckheit ver- breitet, für den ersten Entdecker gilt. Mutis, ein Mann von einem li- beralen, etwas neugierigen Charakter, hatte keine Belohnung von dem Gouvernement gefordert. Er beschäftigte sich in der Stille mit botani- schen Untersuchungen der neuen China-Arten, die er auffand, und mit Anwendung der Fieberrinden in ausgebreiteter medizinischer Praxis. Erst im Jahr 1783 erhielt er eine königliche Besoldung, als die botanische Expedition von Santa Fe durch Gongora, der zugleich Erzbischof und Vicekönig war, organisirt ward. Vier Jahre nach der Entdeckung des Doctor Mutis, 1776, wuſste ein verschlagener und zanksüchtiger Arzt zu S. Fe, Don Sebastian Jose Lopez Ruiz aus Ganama gebürtig, die spanische Regierung zu überre- den, daſs er die ersten Fieberrindenbäume in Neu-Grenada entdeckt habe. Er sandte Proben der neuen China nach Madrid, sprach viel von der Wichtigkeit des neuen Handelsartikels und erhielt eine jährliche Pen- sion von 2000 Piaster zur Belohnung. Aus Aktenstücken, welche Herr Lopez mir im Januar 1802 durch seinen Bruder, einen Kanonikus in Quito, zustellen lieſs, um mir die Priorität seiner Entdeckung zu bewei- sen, habe ich ersehen, daſs er erst 1774 die Cinchona um Honda er- kannte, und 1775 den ersten medizinischen Versuch damit machte. Herr Lopez genoſs nicht lange seines vollen Jahrgehalts. Der Vicekönig Gon- gora, der ohnedies Herrn Mutis sehr schätzte, und dessen erster Sekre- tair, Don Zenon de Alonzo, der ein eifriger Beförderer der Wissenschaften war, stellte dem Hofe vor, daſs Lopez nicht der frühere Entdecker der neugrenadischen Fieberrinde sei. Man strich sogleich die Hälfte der kö- niglichen Pension, befahl Herrn Lopez nach den Darien zu reisen, wo man ebenfalls vorgab Cinchona entdeckt zu haben, und da er sich wei- gerte die Reise in ein so verpestetes Klima zu unternehmen, so zog der Vicekönig auch die letzte Hälfte des Jahrgehalts ein. Seit dieser Epoche entstand ein heftiger Streit über die Priorität der Entdeckung. Lopez machte eine Reise nach Europa und wuſste sich 1000 Piaster Gehalt wieder zu verschaffen. Er schmeichelte sich bei Herrn Mutis botani- schen Widersachern ein, und diese erwähnten seitdem oft seiner als Mit- entdecker. Noch auffallender ist es, daſs der Obrist Don Antonio de la Torre Miranda in seiner Topographie der Provinz Carthagena (No- ticia individual de los Poblaciones nuevas fundadas en la Provincia de Carthagena) durch Zeugnisse beweisen will, daſs ihm die Ehre des Auffindens der Chinarinde in Neu-Grenada gehöre, weil er sie 1783 (also 11 Jahr nach Mutis) zuerst bei Fusagasuga entdeckt habe. Herr Mutis hatte in Mariquita eine Pflanzung von Cinchona und von Kanell-Lorbeer der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_chinawaelder_1807/9>, abgerufen am 24.11.2024.