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Humboldt, Alexander von: Mexicanische Alterthümer. In: Annalen der Erd-, Länder- und Völkerkunde. Bd. 11, H. 4 (1835), S. 321-325.

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Mexicanische Alterthümer.
befruchtendem Wechselverkehr mit einander steht, den Cultus (das reli-
giöse Leben der Völker) und das mehr oder minder glückliche Schaffen
eigenthümlicher Kunstformen; die traditionelle Symbolik und das end-
liche Erwachen einer freien, aus der innern Empfindungsweise hervor-
gerufenen, plastischen Thätigkeit. Jn den Bildwerken der Azteken
suchen wir nicht das Heitre und Erfreüliche, so wenig als in der Sculp-
tur der süd- und ostasiatischen Völker, die an Civilisation den amerikani-
schen weit überlegen sind. Klein erschien von jeher der Erdraum, in
dem das Erfreüliche, Edle, Jdeale der Form herrschend war. Wie
schwindet es rasch östlich vom Halys, gegen die Semitischen Stämme
hin, in den Sitzen alter Menschen-Cultur, unter den Babyloniern und
Phöniciern, dann in den Hochebenen und südlichen Thälern von Jran,
oder jenseits der Pentapotamie, wo Jndische Geistesbildung durch den
Buddhismus bis in die ferne Asiatische Jnselwelt gedrungen ist. Das
vergleichende Sprachstudium, eine der herrlichsten Bestrebungen
unseres Zeitalters, bietet, wie das allgemeine Studium der Kunst, ein
zwiefaches Jnteresse dar, ein inneres, das den organischen Bau der
Sprache umfaßt, und ein aüßeres historisches, welches die Abstammung
und früheren Wanderungen der Volksstämme berührt. Die Zeiten sind
vorüber, wo man die Jdiome roher Völker ohne Schrift und Literatur
(inculti sermonis horrorem), und die Bildwerke ungriechischer
Stämme einer gleichen Verachtung Preis gab.

Jn der Neüen Welt hat sich der Strom der Völker von Nord-
west gegen Süden bewegt. Man verfolgt diesen Strom von dem See
Timpanogos und von den Casas Grandes am Rio Gila bis zur Laguna
de Nicaragua hin. Die Tolteken erscheinen im siebenten, die Azteken
im eilften Jahrhunderte in Anahuac. Ob ein Nebenzweig des Tolteki-
schen Hauptstammes gegen Osten zog und dort, in der Oberen Luisiana,
zwischen dem Ohio und den großen Canadischen Seen (Breite 39° bis
44) jene polygonischen Umwallungen und conischen Grabhügel auf-
führte, die noch jetzt um so mehr in Erstaunen setzen, als sie Skelette
einer sehr kleinen Menschenrace enthalten, bleibt überaus zweifelhaft.
Die gegenseitige Abhangigkeit mehrerer Centralpuncte aufkeimender
Civilisation sind in Amerika, wie in Jnner-Asien, schwer zu bestimmen.
Diese dämmernden Lichtpuncte waren: Cibora und Quivira bei Neü-
Mexico, ein nördliches Dorado, in dem noch im 16ten Jahrhunderte
der Mönch Marcus von Nizza einen bärtigen, das Kreüz anbetenden,
König, Tatarax (eine Art Priester Johannes) suchte; Anahuac, oder
das tropische Gebirgsland der Tolteken und Azteken; das Cochenille-
reiche Oaxaca, wo sich der Trauer-Palast von Mitla (Miguitlan) er-
hebt; Teochiapan, Guatimala und Nicaragua, wo die berühmten Rui-
nen von Copan, Peten, Utatlan und Santo Domingo Palenque (einst

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Mexicaniſche Alterthümer.
befruchtendem Wechſelverkehr mit einander ſteht, den Cultus (das reli-
giöſe Leben der Völker) und das mehr oder minder glückliche Schaffen
eigenthümlicher Kunſtformen; die traditionelle Symbolik und das end-
liche Erwachen einer freien, aus der innern Empfindungsweiſe hervor-
gerufenen, plaſtiſchen Thätigkeit. Jn den Bildwerken der Azteken
ſuchen wir nicht das Heitre und Erfreüliche, ſo wenig als in der Sculp-
tur der ſüd- und oſtaſiatiſchen Völker, die an Civiliſation den amerikani-
ſchen weit überlegen ſind. Klein erſchien von jeher der Erdraum, in
dem das Erfreüliche, Edle, Jdeale der Form herrſchend war. Wie
ſchwindet es raſch öſtlich vom Halys, gegen die Semitiſchen Stämme
hin, in den Sitzen alter Menſchen-Cultur, unter den Babyloniern und
Phöniciern, dann in den Hochebenen und ſüdlichen Thälern von Jran,
oder jenſeits der Pentapotamie, wo Jndiſche Geiſtesbildung durch den
Buddhismus bis in die ferne Aſiatiſche Jnſelwelt gedrungen iſt. Das
vergleichende Sprachſtudium, eine der herrlichſten Beſtrebungen
unſeres Zeitalters, bietet, wie das allgemeine Studium der Kunſt, ein
zwiefaches Jntereſſe dar, ein inneres, das den organiſchen Bau der
Sprache umfaßt, und ein aüßeres hiſtoriſches, welches die Abſtammung
und früheren Wanderungen der Volksſtämme berührt. Die Zeiten ſind
vorüber, wo man die Jdiome roher Völker ohne Schrift und Literatur
(inculti sermonis horrorem), und die Bildwerke ungriechiſcher
Stämme einer gleichen Verachtung Preis gab.

Jn der Neüen Welt hat ſich der Strom der Völker von Nord-
weſt gegen Süden bewegt. Man verfolgt dieſen Strom von dem See
Timpanogos und von den Caſas Grandes am Rio Gila bis zur Laguna
de Nicaragua hin. Die Tolteken erſcheinen im ſiebenten, die Azteken
im eilften Jahrhunderte in Anahuac. Ob ein Nebenzweig des Tolteki-
ſchen Hauptſtammes gegen Oſten zog und dort, in der Oberen Luiſiana,
zwiſchen dem Ohio und den großen Canadiſchen Seen (Breite 39° bis
44) jene polygoniſchen Umwallungen und coniſchen Grabhügel auf-
führte, die noch jetzt um ſo mehr in Erſtaunen ſetzen, als ſie Skelette
einer ſehr kleinen Menſchenrace enthalten, bleibt überaus zweifelhaft.
Die gegenſeitige Abhangigkeit mehrerer Centralpuncte aufkeimender
Civiliſation ſind in Amerika, wie in Jnner-Aſien, ſchwer zu beſtimmen.
Dieſe dämmernden Lichtpuncte waren: Cibora und Quivira bei Neü-
Mexico, ein nördliches Dorado, in dem noch im 16ten Jahrhunderte
der Mönch Marcus von Nizza einen bärtigen, das Kreüz anbetenden,
König, Tatarax (eine Art Prieſter Johannes) ſuchte; Anahuac, oder
das tropiſche Gebirgsland der Tolteken und Azteken; das Cochenille-
reiche Oaxaca, wo ſich der Trauer-Palaſt von Mitla (Miguitlan) er-
hebt; Teochiapan, Guatimala und Nicaragua, wo die berühmten Rui-
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[323/0003] Mexicaniſche Alterthümer. befruchtendem Wechſelverkehr mit einander ſteht, den Cultus (das reli- giöſe Leben der Völker) und das mehr oder minder glückliche Schaffen eigenthümlicher Kunſtformen; die traditionelle Symbolik und das end- liche Erwachen einer freien, aus der innern Empfindungsweiſe hervor- gerufenen, plaſtiſchen Thätigkeit. Jn den Bildwerken der Azteken ſuchen wir nicht das Heitre und Erfreüliche, ſo wenig als in der Sculp- tur der ſüd- und oſtaſiatiſchen Völker, die an Civiliſation den amerikani- ſchen weit überlegen ſind. Klein erſchien von jeher der Erdraum, in dem das Erfreüliche, Edle, Jdeale der Form herrſchend war. Wie ſchwindet es raſch öſtlich vom Halys, gegen die Semitiſchen Stämme hin, in den Sitzen alter Menſchen-Cultur, unter den Babyloniern und Phöniciern, dann in den Hochebenen und ſüdlichen Thälern von Jran, oder jenſeits der Pentapotamie, wo Jndiſche Geiſtesbildung durch den Buddhismus bis in die ferne Aſiatiſche Jnſelwelt gedrungen iſt. Das vergleichende Sprachſtudium, eine der herrlichſten Beſtrebungen unſeres Zeitalters, bietet, wie das allgemeine Studium der Kunſt, ein zwiefaches Jntereſſe dar, ein inneres, das den organiſchen Bau der Sprache umfaßt, und ein aüßeres hiſtoriſches, welches die Abſtammung und früheren Wanderungen der Volksſtämme berührt. Die Zeiten ſind vorüber, wo man die Jdiome roher Völker ohne Schrift und Literatur (inculti sermonis horrorem), und die Bildwerke ungriechiſcher Stämme einer gleichen Verachtung Preis gab. Jn der Neüen Welt hat ſich der Strom der Völker von Nord- weſt gegen Süden bewegt. Man verfolgt dieſen Strom von dem See Timpanogos und von den Caſas Grandes am Rio Gila bis zur Laguna de Nicaragua hin. Die Tolteken erſcheinen im ſiebenten, die Azteken im eilften Jahrhunderte in Anahuac. Ob ein Nebenzweig des Tolteki- ſchen Hauptſtammes gegen Oſten zog und dort, in der Oberen Luiſiana, zwiſchen dem Ohio und den großen Canadiſchen Seen (Breite 39° bis 44) jene polygoniſchen Umwallungen und coniſchen Grabhügel auf- führte, die noch jetzt um ſo mehr in Erſtaunen ſetzen, als ſie Skelette einer ſehr kleinen Menſchenrace enthalten, bleibt überaus zweifelhaft. Die gegenſeitige Abhangigkeit mehrerer Centralpuncte aufkeimender Civiliſation ſind in Amerika, wie in Jnner-Aſien, ſchwer zu beſtimmen. Dieſe dämmernden Lichtpuncte waren: Cibora und Quivira bei Neü- Mexico, ein nördliches Dorado, in dem noch im 16ten Jahrhunderte der Mönch Marcus von Nizza einen bärtigen, das Kreüz anbetenden, König, Tatarax (eine Art Prieſter Johannes) ſuchte; Anahuac, oder das tropiſche Gebirgsland der Tolteken und Azteken; das Cochenille- reiche Oaxaca, wo ſich der Trauer-Palaſt von Mitla (Miguitlan) er- hebt; Teochiapan, Guatimala und Nicaragua, wo die berühmten Rui- nen von Copan, Peten, Utatlan und Santo Domingo Palenque (einſt 21*

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Mexicanische Alterthümer. In: Annalen der Erd-, Länder- und Völkerkunde. Bd. 11, H. 4 (1835), S. 321-325, hier S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_alterthuemer_1835/3>, abgerufen am 24.11.2024.