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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Von den Bergen gegen Nord, deren Höhe vom Cerro Mara-
guaca an allmählich abnimmt, kommt der Rio Manaviche
herab. Je weiter man auf dem Orinoko hinaufkommt, desto
häufiger werden die Krümmungen und die kleinen Strom-
schnellen (chorros y remolinos). Man läßt links den Canno
chiguirie, an dem die Guaica, gleichfalls ein Stamm weißer
Indianer, wohnen, und 9 km weiter kommt man zur Mün-
dung des Gehete, wo sich ein großer Katarakt befindet. Ein
Damm von Granitfelsen läuft über den Orinoko; dies sind
die Säulen des Herkules, über die noch kein Weißer hinaus-
gekommen ist. Dieser Punkt, der sogenannte Raudal de
Guaharibos, scheint 3/4° ostwärts von Esmeralda, also unter
67° 38' der Länge zu liegen. Durch eine militärische Ex-
pedition, die der Kommandant von San Carlos, Don Fran-
cisco Bovadilla, unternommen, um die Quellen des Orinoko
aufzusuchen, hat man die genauesten Nachrichten über die
Katarakte der Guaharibos. Er hatte erfahren, daß Neger,
welche in Holländisch-Guyana entsprungen, nach West (über
die Landenge zwischen den Quellen des Rio Carony und des
Rio Branco hinaus) gelaufen seien und sich zu unabhängigen
Indianern gesellt haben. Er unternahm eine Entrada (Ein-
fall) ohne Erlaubnis des Statthalters; der Wunsch, afrika-
nische Sklaven zu bekommen, die zur Arbeit besser taugen als
die kupferfarbigen Menschen, war dabei ungleich stärker im
Spiel, als der Eifer für die Förderung der Erdkunde. Ich
hatte in Esmeralda und am Rio Negro Gelegenheit, mehrere
sehr verständige Militärs zu fragen, die den Zug mitgemacht.
Bovadilla kam ohne Schwierigkeit bis zum kleinen Raudal
dem Gehete gegenüber; aber am Fuße des Felsdammes, welcher
den großen Katarakt bildet, wurde er unversehens, während
des Frühstücks, von den Guaharibos und den Guaica über-
fallen, zwei kriegerischen und wegen der Stärke des Curare,
mit dem sie ihre Pfeile vergiften, vielberufenen Stämmen.
Die Indianer besetzten die Felsen mitten im Fluß. Sie
sahen keine Bogen in den Händen der Spanier, von Feuer-
gewehr wußten sie nichts, und so gingen sie Leuten zu Leibe,
die sie für wehrlos hielten. Mehrere Weiße wurden ge-
fährlich verwundet, und Bovadilla mußte die Waffen brauchen.
Es erfolgte ein furchtbares Gemetzel unter den Eingeborenen,
aber von den holländischen Negern, die sich hierher geflüchtet
haben sollten, wurde keiner gefunden. Trotz des Sieges, der
ihnen nicht schwer geworden, wagten es die Spanier nicht,

Von den Bergen gegen Nord, deren Höhe vom Cerro Mara-
guaca an allmählich abnimmt, kommt der Rio Manaviche
herab. Je weiter man auf dem Orinoko hinaufkommt, deſto
häufiger werden die Krümmungen und die kleinen Strom-
ſchnellen (chorros y remolinos). Man läßt links den Caño
chiguirie, an dem die Guaica, gleichfalls ein Stamm weißer
Indianer, wohnen, und 9 km weiter kommt man zur Mün-
dung des Gehete, wo ſich ein großer Katarakt befindet. Ein
Damm von Granitfelſen läuft über den Orinoko; dies ſind
die Säulen des Herkules, über die noch kein Weißer hinaus-
gekommen iſt. Dieſer Punkt, der ſogenannte Raudal de
Guaharibos, ſcheint ¾° oſtwärts von Esmeralda, alſo unter
67° 38′ der Länge zu liegen. Durch eine militäriſche Ex-
pedition, die der Kommandant von San Carlos, Don Fran-
cisco Bovadilla, unternommen, um die Quellen des Orinoko
aufzuſuchen, hat man die genaueſten Nachrichten über die
Katarakte der Guaharibos. Er hatte erfahren, daß Neger,
welche in Holländiſch-Guyana entſprungen, nach Weſt (über
die Landenge zwiſchen den Quellen des Rio Carony und des
Rio Branco hinaus) gelaufen ſeien und ſich zu unabhängigen
Indianern geſellt haben. Er unternahm eine Entrada (Ein-
fall) ohne Erlaubnis des Statthalters; der Wunſch, afrika-
niſche Sklaven zu bekommen, die zur Arbeit beſſer taugen als
die kupferfarbigen Menſchen, war dabei ungleich ſtärker im
Spiel, als der Eifer für die Förderung der Erdkunde. Ich
hatte in Esmeralda und am Rio Negro Gelegenheit, mehrere
ſehr verſtändige Militärs zu fragen, die den Zug mitgemacht.
Bovadilla kam ohne Schwierigkeit bis zum kleinen Raudal
dem Gehete gegenüber; aber am Fuße des Felsdammes, welcher
den großen Katarakt bildet, wurde er unverſehens, während
des Frühſtücks, von den Guaharibos und den Guaica über-
fallen, zwei kriegeriſchen und wegen der Stärke des Curare,
mit dem ſie ihre Pfeile vergiften, vielberufenen Stämmen.
Die Indianer beſetzten die Felſen mitten im Fluß. Sie
ſahen keine Bogen in den Händen der Spanier, von Feuer-
gewehr wußten ſie nichts, und ſo gingen ſie Leuten zu Leibe,
die ſie für wehrlos hielten. Mehrere Weiße wurden ge-
fährlich verwundet, und Bovadilla mußte die Waffen brauchen.
Es erfolgte ein furchtbares Gemetzel unter den Eingeborenen,
aber von den holländiſchen Negern, die ſich hierher geflüchtet
haben ſollten, wurde keiner gefunden. Trotz des Sieges, der
ihnen nicht ſchwer geworden, wagten es die Spanier nicht,

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[83/0091] Von den Bergen gegen Nord, deren Höhe vom Cerro Mara- guaca an allmählich abnimmt, kommt der Rio Manaviche herab. Je weiter man auf dem Orinoko hinaufkommt, deſto häufiger werden die Krümmungen und die kleinen Strom- ſchnellen (chorros y remolinos). Man läßt links den Caño chiguirie, an dem die Guaica, gleichfalls ein Stamm weißer Indianer, wohnen, und 9 km weiter kommt man zur Mün- dung des Gehete, wo ſich ein großer Katarakt befindet. Ein Damm von Granitfelſen läuft über den Orinoko; dies ſind die Säulen des Herkules, über die noch kein Weißer hinaus- gekommen iſt. Dieſer Punkt, der ſogenannte Raudal de Guaharibos, ſcheint ¾° oſtwärts von Esmeralda, alſo unter 67° 38′ der Länge zu liegen. Durch eine militäriſche Ex- pedition, die der Kommandant von San Carlos, Don Fran- cisco Bovadilla, unternommen, um die Quellen des Orinoko aufzuſuchen, hat man die genaueſten Nachrichten über die Katarakte der Guaharibos. Er hatte erfahren, daß Neger, welche in Holländiſch-Guyana entſprungen, nach Weſt (über die Landenge zwiſchen den Quellen des Rio Carony und des Rio Branco hinaus) gelaufen ſeien und ſich zu unabhängigen Indianern geſellt haben. Er unternahm eine Entrada (Ein- fall) ohne Erlaubnis des Statthalters; der Wunſch, afrika- niſche Sklaven zu bekommen, die zur Arbeit beſſer taugen als die kupferfarbigen Menſchen, war dabei ungleich ſtärker im Spiel, als der Eifer für die Förderung der Erdkunde. Ich hatte in Esmeralda und am Rio Negro Gelegenheit, mehrere ſehr verſtändige Militärs zu fragen, die den Zug mitgemacht. Bovadilla kam ohne Schwierigkeit bis zum kleinen Raudal dem Gehete gegenüber; aber am Fuße des Felsdammes, welcher den großen Katarakt bildet, wurde er unverſehens, während des Frühſtücks, von den Guaharibos und den Guaica über- fallen, zwei kriegeriſchen und wegen der Stärke des Curare, mit dem ſie ihre Pfeile vergiften, vielberufenen Stämmen. Die Indianer beſetzten die Felſen mitten im Fluß. Sie ſahen keine Bogen in den Händen der Spanier, von Feuer- gewehr wußten ſie nichts, und ſo gingen ſie Leuten zu Leibe, die ſie für wehrlos hielten. Mehrere Weiße wurden ge- fährlich verwundet, und Bovadilla mußte die Waffen brauchen. Es erfolgte ein furchtbares Gemetzel unter den Eingeborenen, aber von den holländiſchen Negern, die ſich hierher geflüchtet haben ſollten, wurde keiner gefunden. Trotz des Sieges, der ihnen nicht ſchwer geworden, wagten es die Spanier nicht,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/91>, abgerufen am 23.11.2024.