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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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auch ihr Fest," sagten die Indianer, die von der Ernte kamen,
und hört man sie sich über die Tiere beschweren, so merkt
man wohl, daß sie sich für die alleinigen rechtmäßigen Herren
des Waldes halten.

Das häufige Vorkommen des Juvia oftwärts von Es-
meralda scheint darauf hinzudeuten, daß die Flora des Ama-
zonenstromes an dem Stück des oberen Orinoko beginnt, das
im Süden der Gebirge hinläuft. Es ist dies gewissermaßen
ein weiterer Beweis dafür, daß hier zwei Flußbecken vereinigt
sind. Bonpland hat sehr gut auseinandergesetzt, wie man zu
verfahren hätte, um die Bertholletia excelsa am Ufer des
Orinoko, des Apure, des Meta, überhaupt in der Provinz
Venezuela anzupflanzen. Man müßte da, wo der Baum wild
wächst, die bereits keimenden Samen zu Tausenden sammeln und
sie in Kasten mit derselben Erde legen, in der sie zu vegetieren
angefangen. Die jungen Pflanzen, durch Blätter von Mu-
saceen oder Palmblätter gegen die Sonnenstrahlen geschützt,
würden auf Pirogen oder Flöße gebracht. Man weiß, wie
schwer in Europa (trotz der Anwendung von Chlor, wovon
ich anderswo gesprochen) Samen mit hornartiger Fruchthülle,
Palmen, Kaffeearten, Chinaarten und große holzige Nüsse
mit leicht ranzig werdendem Oel, zum Keimen zu bringen
sind. Alle diese Schwierigkeiten wären beseitigt, wenn man
nur Samen sammelte, die unter dem Baume selbst gekeimt
haben. Auf diese Weise ist es uns gelungen, zahlreiche Exem-
plare sehr seltener Pflanzen, z. B. die Coumarouna odora
oder Tongabohne, von den Katarakten des Orinoko nach An-
gostura zu bringen und in den benachbarten Pflanzungen zu
verbreiten.

Eine der vier Pirogen, mit denen die Indianer auf
der Juviasernte, gewesen waren, war großenteils mit der
Rohrart (Carice) gefüllt, aus der Blaserohre gemacht werden.
Die Rohre waren 5 bis 6 m lang, und doch war keine Spur
von Knoten zum Ansatz von Blättern oder Zweigen zu be-
merken. Sie waren vollkommen gerade, außen glatt und
völlig cylindrisch. Diese Carices kommen vom Fuße der
Berge von Yumariquin und Guanaya. Sie sind selbst jen-
seits des Orinoko unter dem Namen "Rohr von Esmeralda"
sehr gesucht. Ein Jäger führt sein ganzes Leben dasselbe
Blaserohr; er rühmt die Leichtigkeit, Genauigkeit und Politur
desselben, wie wir an unseren Feuergewehren dieselben Eigen-
schaften rühmen. Was mag dies für ein monokotyledonisches

auch ihr Feſt,“ ſagten die Indianer, die von der Ernte kamen,
und hört man ſie ſich über die Tiere beſchweren, ſo merkt
man wohl, daß ſie ſich für die alleinigen rechtmäßigen Herren
des Waldes halten.

Das häufige Vorkommen des Juvia oftwärts von Es-
meralda ſcheint darauf hinzudeuten, daß die Flora des Ama-
zonenſtromes an dem Stück des oberen Orinoko beginnt, das
im Süden der Gebirge hinläuft. Es iſt dies gewiſſermaßen
ein weiterer Beweis dafür, daß hier zwei Flußbecken vereinigt
ſind. Bonpland hat ſehr gut auseinandergeſetzt, wie man zu
verfahren hätte, um die Bertholletia excelsa am Ufer des
Orinoko, des Apure, des Meta, überhaupt in der Provinz
Venezuela anzupflanzen. Man müßte da, wo der Baum wild
wächſt, die bereits keimenden Samen zu Tauſenden ſammeln und
ſie in Kaſten mit derſelben Erde legen, in der ſie zu vegetieren
angefangen. Die jungen Pflanzen, durch Blätter von Mu-
ſaceen oder Palmblätter gegen die Sonnenſtrahlen geſchützt,
würden auf Pirogen oder Flöße gebracht. Man weiß, wie
ſchwer in Europa (trotz der Anwendung von Chlor, wovon
ich anderswo geſprochen) Samen mit hornartiger Fruchthülle,
Palmen, Kaffeearten, Chinaarten und große holzige Nüſſe
mit leicht ranzig werdendem Oel, zum Keimen zu bringen
ſind. Alle dieſe Schwierigkeiten wären beſeitigt, wenn man
nur Samen ſammelte, die unter dem Baume ſelbſt gekeimt
haben. Auf dieſe Weiſe iſt es uns gelungen, zahlreiche Exem-
plare ſehr ſeltener Pflanzen, z. B. die Coumarouna odora
oder Tongabohne, von den Katarakten des Orinoko nach An-
goſtura zu bringen und in den benachbarten Pflanzungen zu
verbreiten.

Eine der vier Pirogen, mit denen die Indianer auf
der Juviasernte, geweſen waren, war großenteils mit der
Rohrart (Carice) gefüllt, aus der Blaſerohre gemacht werden.
Die Rohre waren 5 bis 6 m lang, und doch war keine Spur
von Knoten zum Anſatz von Blättern oder Zweigen zu be-
merken. Sie waren vollkommen gerade, außen glatt und
völlig cylindriſch. Dieſe Carices kommen vom Fuße der
Berge von Yumariquin und Guanaya. Sie ſind ſelbſt jen-
ſeits des Orinoko unter dem Namen „Rohr von Esmeralda“
ſehr geſucht. Ein Jäger führt ſein ganzes Leben dasſelbe
Blaſerohr; er rühmt die Leichtigkeit, Genauigkeit und Politur
desſelben, wie wir an unſeren Feuergewehren dieſelben Eigen-
ſchaften rühmen. Was mag dies für ein monokotyledoniſches

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[75/0083] auch ihr Feſt,“ ſagten die Indianer, die von der Ernte kamen, und hört man ſie ſich über die Tiere beſchweren, ſo merkt man wohl, daß ſie ſich für die alleinigen rechtmäßigen Herren des Waldes halten. Das häufige Vorkommen des Juvia oftwärts von Es- meralda ſcheint darauf hinzudeuten, daß die Flora des Ama- zonenſtromes an dem Stück des oberen Orinoko beginnt, das im Süden der Gebirge hinläuft. Es iſt dies gewiſſermaßen ein weiterer Beweis dafür, daß hier zwei Flußbecken vereinigt ſind. Bonpland hat ſehr gut auseinandergeſetzt, wie man zu verfahren hätte, um die Bertholletia excelsa am Ufer des Orinoko, des Apure, des Meta, überhaupt in der Provinz Venezuela anzupflanzen. Man müßte da, wo der Baum wild wächſt, die bereits keimenden Samen zu Tauſenden ſammeln und ſie in Kaſten mit derſelben Erde legen, in der ſie zu vegetieren angefangen. Die jungen Pflanzen, durch Blätter von Mu- ſaceen oder Palmblätter gegen die Sonnenſtrahlen geſchützt, würden auf Pirogen oder Flöße gebracht. Man weiß, wie ſchwer in Europa (trotz der Anwendung von Chlor, wovon ich anderswo geſprochen) Samen mit hornartiger Fruchthülle, Palmen, Kaffeearten, Chinaarten und große holzige Nüſſe mit leicht ranzig werdendem Oel, zum Keimen zu bringen ſind. Alle dieſe Schwierigkeiten wären beſeitigt, wenn man nur Samen ſammelte, die unter dem Baume ſelbſt gekeimt haben. Auf dieſe Weiſe iſt es uns gelungen, zahlreiche Exem- plare ſehr ſeltener Pflanzen, z. B. die Coumarouna odora oder Tongabohne, von den Katarakten des Orinoko nach An- goſtura zu bringen und in den benachbarten Pflanzungen zu verbreiten. Eine der vier Pirogen, mit denen die Indianer auf der Juviasernte, geweſen waren, war großenteils mit der Rohrart (Carice) gefüllt, aus der Blaſerohre gemacht werden. Die Rohre waren 5 bis 6 m lang, und doch war keine Spur von Knoten zum Anſatz von Blättern oder Zweigen zu be- merken. Sie waren vollkommen gerade, außen glatt und völlig cylindriſch. Dieſe Carices kommen vom Fuße der Berge von Yumariquin und Guanaya. Sie ſind ſelbſt jen- ſeits des Orinoko unter dem Namen „Rohr von Esmeralda“ ſehr geſucht. Ein Jäger führt ſein ganzes Leben dasſelbe Blaſerohr; er rühmt die Leichtigkeit, Genauigkeit und Politur desſelben, wie wir an unſeren Feuergewehren dieſelben Eigen- ſchaften rühmen. Was mag dies für ein monokotyledoniſches

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/83>, abgerufen am 22.11.2024.