Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

schädliche Wirkung äußert. Einem Hund wurde eine bedeu-
tende Menge vergifteten Bluts in die Venen gespritzt; es
zeigte sich aber keine Spur von Reizung des Rückenmarkes.

Ich brachte das stärkste Curare mit den Schenkelnerven
eines Frosches in Berührung, ohne, wenn ich den Grad der
Irritabilität der Organe mittels eines aus heterogenen Me-
tallen bestehenden Bogens maß, eine merkliche Veränderung
wahrzunehmen. Aber bei Vögeln, wenige Minuten nachdem
ich sie mit einem vergifteten Pfeile getötet, wollten die gal-
vanischen Versuche so gut wie nicht gelingen. Diese Beob-
achtungen sind von Interesse, da ermittelt ist, daß auch eine
Auflösung von Upastieute, wenn man sie auf den Hüftnerven
gießt oder in das Nervengewebe selbst bringt, wenn sie also
mit der Marksubstanz selbst in Berührung kommt, gleichfalls
auf die Irritabilität der Organe keinen merkbaren Einfluß
äußert. Das Curare, wie die meisten anderen Strychneen
(denn wir glauben immer noch, daß der Mavacure einer nahe
verwandten Familie angehört) werden nur dann gefährlich,
wenn das Gift auf das Gefäßsystem wirkt. In Maypures
rüstete ein Farbiger (ein Zambo, ein Mischling von Indianer
und Neger) für Bonpland giftige Pfeile, wie man sie in die
Blaserohre steckt, wenn man kleine Affen und Vögel jagt.
Es war ein Zimmermann von ungemeiner Muskelkraft. Er
hatte die Unvorsichtigkeit, das Curare zwischen den Fingern
zu reiben, nachdem er sich unbedeutend verletzt, und stürzte
zu Boden, von einem Schwindel ergriffen, der eine halbe
Stunde anhielt. Zum Glück war es nur schwaches (destem-
plado
) Curare, dessen man sich bedient, um sehr kleine Tiere
zu schießen, das heißt solche, welche man wieder zum Leben
bringen will, indem man salzsaures Natron in die Wunde
reibt. Auf unserer Rückfahrt von Esmeralda nach Atures
entging ich selbst einer ziemlich nahen Gefahr. Das Curare
hatte Feuchtigkeit angezogen, war flüssig geworden und aus
dem schlecht verschlossenen Gefäß über unsere Wäsche gelaufen.
Beim Waschen vergaß man einen Strumpf innen zu unter-
suchen, der voll Curare war, und erst als ich den klebrigen
Stoff mit der Hand berührte, merkte ich, daß ich einen ver-
gifteten Strumpf angezogen hätte. Die Gefahr war desto
größer, da ich gerade an den Zehen blutete, weil mir Sand-
flöhe (pulex penetrans) schlecht ausgegraben worden waren.
Aus diesem Fall mögen Reisende abnehmen, wie vorsichtig
man sein muß, wenn man Gift mit sich führt.


ſchädliche Wirkung äußert. Einem Hund wurde eine bedeu-
tende Menge vergifteten Bluts in die Venen geſpritzt; es
zeigte ſich aber keine Spur von Reizung des Rückenmarkes.

Ich brachte das ſtärkſte Curare mit den Schenkelnerven
eines Froſches in Berührung, ohne, wenn ich den Grad der
Irritabilität der Organe mittels eines aus heterogenen Me-
tallen beſtehenden Bogens maß, eine merkliche Veränderung
wahrzunehmen. Aber bei Vögeln, wenige Minuten nachdem
ich ſie mit einem vergifteten Pfeile getötet, wollten die gal-
vaniſchen Verſuche ſo gut wie nicht gelingen. Dieſe Beob-
achtungen ſind von Intereſſe, da ermittelt iſt, daß auch eine
Auflöſung von Upastieute, wenn man ſie auf den Hüftnerven
gießt oder in das Nervengewebe ſelbſt bringt, wenn ſie alſo
mit der Markſubſtanz ſelbſt in Berührung kommt, gleichfalls
auf die Irritabilität der Organe keinen merkbaren Einfluß
äußert. Das Curare, wie die meiſten anderen Strychneen
(denn wir glauben immer noch, daß der Mavacure einer nahe
verwandten Familie angehört) werden nur dann gefährlich,
wenn das Gift auf das Gefäßſyſtem wirkt. In Maypures
rüſtete ein Farbiger (ein Zambo, ein Miſchling von Indianer
und Neger) für Bonpland giftige Pfeile, wie man ſie in die
Blaſerohre ſteckt, wenn man kleine Affen und Vögel jagt.
Es war ein Zimmermann von ungemeiner Muskelkraft. Er
hatte die Unvorſichtigkeit, das Curare zwiſchen den Fingern
zu reiben, nachdem er ſich unbedeutend verletzt, und ſtürzte
zu Boden, von einem Schwindel ergriffen, der eine halbe
Stunde anhielt. Zum Glück war es nur ſchwaches (destem-
plado
) Curare, deſſen man ſich bedient, um ſehr kleine Tiere
zu ſchießen, das heißt ſolche, welche man wieder zum Leben
bringen will, indem man ſalzſaures Natron in die Wunde
reibt. Auf unſerer Rückfahrt von Esmeralda nach Atures
entging ich ſelbſt einer ziemlich nahen Gefahr. Das Curare
hatte Feuchtigkeit angezogen, war flüſſig geworden und aus
dem ſchlecht verſchloſſenen Gefäß über unſere Wäſche gelaufen.
Beim Waſchen vergaß man einen Strumpf innen zu unter-
ſuchen, der voll Curare war, und erſt als ich den klebrigen
Stoff mit der Hand berührte, merkte ich, daß ich einen ver-
gifteten Strumpf angezogen hätte. Die Gefahr war deſto
größer, da ich gerade an den Zehen blutete, weil mir Sand-
flöhe (pulex penetrans) ſchlecht ausgegraben worden waren.
Aus dieſem Fall mögen Reiſende abnehmen, wie vorſichtig
man ſein muß, wenn man Gift mit ſich führt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="67"/>
&#x017F;chädliche Wirkung äußert. Einem Hund wurde eine bedeu-<lb/>
tende Menge vergifteten Bluts in die Venen ge&#x017F;pritzt; es<lb/>
zeigte &#x017F;ich aber keine Spur von Reizung des Rückenmarkes.</p><lb/>
          <p>Ich brachte das &#x017F;tärk&#x017F;te Curare mit den Schenkelnerven<lb/>
eines Fro&#x017F;ches in Berührung, ohne, wenn ich den Grad der<lb/>
Irritabilität der Organe mittels eines aus heterogenen Me-<lb/>
tallen be&#x017F;tehenden Bogens maß, eine merkliche Veränderung<lb/>
wahrzunehmen. Aber bei Vögeln, wenige Minuten nachdem<lb/>
ich &#x017F;ie mit einem vergifteten Pfeile getötet, wollten die gal-<lb/>
vani&#x017F;chen Ver&#x017F;uche &#x017F;o gut wie nicht gelingen. Die&#x017F;e Beob-<lb/>
achtungen &#x017F;ind von Intere&#x017F;&#x017F;e, da ermittelt i&#x017F;t, daß auch eine<lb/>
Auflö&#x017F;ung von Upastieute, wenn man &#x017F;ie auf den Hüftnerven<lb/>
gießt oder in das Nervengewebe &#x017F;elb&#x017F;t bringt, wenn &#x017F;ie al&#x017F;o<lb/>
mit der Mark&#x017F;ub&#x017F;tanz &#x017F;elb&#x017F;t in Berührung kommt, gleichfalls<lb/>
auf die Irritabilität der Organe keinen merkbaren Einfluß<lb/>
äußert. Das Curare, wie die mei&#x017F;ten anderen Strychneen<lb/>
(denn wir glauben immer noch, daß der Mavacure einer nahe<lb/>
verwandten Familie angehört) werden nur dann gefährlich,<lb/>
wenn das Gift auf das Gefäß&#x017F;y&#x017F;tem wirkt. In Maypures<lb/>&#x017F;tete ein Farbiger (ein Zambo, ein Mi&#x017F;chling von Indianer<lb/>
und Neger) für Bonpland giftige Pfeile, wie man &#x017F;ie in die<lb/>
Bla&#x017F;erohre &#x017F;teckt, wenn man kleine Affen und Vögel jagt.<lb/>
Es war ein Zimmermann von ungemeiner Muskelkraft. Er<lb/>
hatte die Unvor&#x017F;ichtigkeit, das Curare zwi&#x017F;chen den Fingern<lb/>
zu reiben, nachdem er &#x017F;ich unbedeutend verletzt, und &#x017F;türzte<lb/>
zu Boden, von einem Schwindel ergriffen, der eine halbe<lb/>
Stunde anhielt. Zum Glück war es nur &#x017F;chwaches (<hi rendition="#aq">destem-<lb/>
plado</hi>) Curare, de&#x017F;&#x017F;en man &#x017F;ich bedient, um &#x017F;ehr kleine Tiere<lb/>
zu &#x017F;chießen, das heißt &#x017F;olche, welche man wieder zum Leben<lb/>
bringen will, indem man &#x017F;alz&#x017F;aures Natron in die Wunde<lb/>
reibt. Auf un&#x017F;erer Rückfahrt von Esmeralda nach Atures<lb/>
entging ich &#x017F;elb&#x017F;t einer ziemlich nahen Gefahr. Das Curare<lb/>
hatte Feuchtigkeit angezogen, war flü&#x017F;&#x017F;ig geworden und aus<lb/>
dem &#x017F;chlecht ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Gefäß über un&#x017F;ere Wä&#x017F;che gelaufen.<lb/>
Beim Wa&#x017F;chen vergaß man einen Strumpf innen zu unter-<lb/>
&#x017F;uchen, der voll Curare war, und er&#x017F;t als ich den klebrigen<lb/>
Stoff mit der Hand berührte, merkte ich, daß ich einen ver-<lb/>
gifteten Strumpf angezogen hätte. Die Gefahr war de&#x017F;to<lb/>
größer, da ich gerade an den Zehen blutete, weil mir Sand-<lb/>
flöhe (<hi rendition="#aq">pulex penetrans</hi>) &#x017F;chlecht ausgegraben worden waren.<lb/>
Aus die&#x017F;em Fall mögen Rei&#x017F;ende abnehmen, wie vor&#x017F;ichtig<lb/>
man &#x017F;ein muß, wenn man Gift mit &#x017F;ich führt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0075] ſchädliche Wirkung äußert. Einem Hund wurde eine bedeu- tende Menge vergifteten Bluts in die Venen geſpritzt; es zeigte ſich aber keine Spur von Reizung des Rückenmarkes. Ich brachte das ſtärkſte Curare mit den Schenkelnerven eines Froſches in Berührung, ohne, wenn ich den Grad der Irritabilität der Organe mittels eines aus heterogenen Me- tallen beſtehenden Bogens maß, eine merkliche Veränderung wahrzunehmen. Aber bei Vögeln, wenige Minuten nachdem ich ſie mit einem vergifteten Pfeile getötet, wollten die gal- vaniſchen Verſuche ſo gut wie nicht gelingen. Dieſe Beob- achtungen ſind von Intereſſe, da ermittelt iſt, daß auch eine Auflöſung von Upastieute, wenn man ſie auf den Hüftnerven gießt oder in das Nervengewebe ſelbſt bringt, wenn ſie alſo mit der Markſubſtanz ſelbſt in Berührung kommt, gleichfalls auf die Irritabilität der Organe keinen merkbaren Einfluß äußert. Das Curare, wie die meiſten anderen Strychneen (denn wir glauben immer noch, daß der Mavacure einer nahe verwandten Familie angehört) werden nur dann gefährlich, wenn das Gift auf das Gefäßſyſtem wirkt. In Maypures rüſtete ein Farbiger (ein Zambo, ein Miſchling von Indianer und Neger) für Bonpland giftige Pfeile, wie man ſie in die Blaſerohre ſteckt, wenn man kleine Affen und Vögel jagt. Es war ein Zimmermann von ungemeiner Muskelkraft. Er hatte die Unvorſichtigkeit, das Curare zwiſchen den Fingern zu reiben, nachdem er ſich unbedeutend verletzt, und ſtürzte zu Boden, von einem Schwindel ergriffen, der eine halbe Stunde anhielt. Zum Glück war es nur ſchwaches (destem- plado) Curare, deſſen man ſich bedient, um ſehr kleine Tiere zu ſchießen, das heißt ſolche, welche man wieder zum Leben bringen will, indem man ſalzſaures Natron in die Wunde reibt. Auf unſerer Rückfahrt von Esmeralda nach Atures entging ich ſelbſt einer ziemlich nahen Gefahr. Das Curare hatte Feuchtigkeit angezogen, war flüſſig geworden und aus dem ſchlecht verſchloſſenen Gefäß über unſere Wäſche gelaufen. Beim Waſchen vergaß man einen Strumpf innen zu unter- ſuchen, der voll Curare war, und erſt als ich den klebrigen Stoff mit der Hand berührte, merkte ich, daß ich einen ver- gifteten Strumpf angezogen hätte. Die Gefahr war deſto größer, da ich gerade an den Zehen blutete, weil mir Sand- flöhe (pulex penetrans) ſchlecht ausgegraben worden waren. Aus dieſem Fall mögen Reiſende abnehmen, wie vorſichtig man ſein muß, wenn man Gift mit ſich führt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/75
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/75>, abgerufen am 25.11.2024.