sollte, heißt in der Mission der Giftmeister(amo del Curare); er hatte das steife Wesen und den pedantischen Ton, den man früher in Europa den Apothekern zum Vor- wurf machte. "Ich weiß," sagte er, "die Weißen ver- stehen die Kunst, Seife zu machen und das schwarze Pulver, bei dem das Ueble ist, daß es Lärm macht und die Tiere verscheucht, wenn man sie fehlt. Das Curare, dessen Berei- tung bei uns vom Vater auf den Sohn übergeht, ist besser als alles, was ihr dort drüben (über dem Meere) zu machen wißt. Es ist der Saft einer Pflanze, der ganz leise tötet (ohne daß man weiß, woher der Schuß kommt)."
Diese chemische Operation, auf die der Meister des Curare so großes Gewicht legte, schien uns sehr einfach. Das Schlinggewächs (Bejuco), aus dem man in Esmeralda das Gift bereitet, heißt hier wie in den Wäldern bei Javita. Es ist der Bejuco de Mavacure, und er kommt östlich von der Mission am linken Ufer des Orinoko, jenseits des Rio Amaguaca im granitischen Bergland von Guanaya und Yu- mariquin in Menge vor. Obgleich die Bejucobündel, die wir im Hause des Indianers fanden, gar keine Blätter mehr hatten, blieb uns doch kein Zweifel, daß es dasselbe Gewächs aus der Familie der Strychneen (Aublets Rouhamon sehr nahe stehend), das wir im Wald beim Pimichin untersucht. Der Mavacure wird ohne Unterschied frisch oder seit meh- reren Wochen getrocknet verarbeitet. Der frische Saft der Liane gilt nicht für giftig; vielleicht zeigt er sich nur wirksam, wenn er stark konzentriert ist. Das furchtbare Gift ist in der Rinde und einem Teil des Splintes enthalten. Man schabt mit einem Messer 8 bis 11 mm dicke Mavacurezweige ab und zerstößt die abgeschabte Rinde auf einem Stein, wie er zum Reiben des Maniokmehls dient, in ganz dünne Fasern. Da der giftige Saft gelb ist, so nimmt die ganze faserige Masse die nämliche Farbe an. Man bringt dieselbe in einen 24 cm hohen, 10 cm weiten Trichter. Diesen Trichter strich der Giftmeister unter allen Gerätschaften des indianischen La- boratoriums am meisten heraus. Er fragte uns mehreremal, ob wir por alla (dort drüben, das heißt in Europa) jemals etwas gesehen hätten, das seinem Embudo gleiche? Es war ein tütenförmig aufgerolltes Bananenblatt, das in einer an- deren stärkeren Tüte aus Palmblättern steckte; die ganze Vor- richtung ruhte auf einem leichten Gestell von Blattstielen und Fruchtspindeln einer Palme. Man macht zuerst einen kalten
ſollte, heißt in der Miſſion der Giftmeiſter(amo del Curare); er hatte das ſteife Weſen und den pedantiſchen Ton, den man früher in Europa den Apothekern zum Vor- wurf machte. „Ich weiß,“ ſagte er, „die Weißen ver- ſtehen die Kunſt, Seife zu machen und das ſchwarze Pulver, bei dem das Ueble iſt, daß es Lärm macht und die Tiere verſcheucht, wenn man ſie fehlt. Das Curare, deſſen Berei- tung bei uns vom Vater auf den Sohn übergeht, iſt beſſer als alles, was ihr dort drüben (über dem Meere) zu machen wißt. Es iſt der Saft einer Pflanze, der ganz leiſe tötet (ohne daß man weiß, woher der Schuß kommt).“
Dieſe chemiſche Operation, auf die der Meiſter des Curare ſo großes Gewicht legte, ſchien uns ſehr einfach. Das Schlinggewächs (Bejuco), aus dem man in Esmeralda das Gift bereitet, heißt hier wie in den Wäldern bei Javita. Es iſt der Bejuco de Mavacure, und er kommt öſtlich von der Miſſion am linken Ufer des Orinoko, jenſeits des Rio Amaguaca im granitiſchen Bergland von Guanaya und Yu- mariquin in Menge vor. Obgleich die Bejucobündel, die wir im Hauſe des Indianers fanden, gar keine Blätter mehr hatten, blieb uns doch kein Zweifel, daß es dasſelbe Gewächs aus der Familie der Strychneen (Aublets Rouhamon ſehr nahe ſtehend), das wir im Wald beim Pimichin unterſucht. Der Mavacure wird ohne Unterſchied friſch oder ſeit meh- reren Wochen getrocknet verarbeitet. Der friſche Saft der Liane gilt nicht für giftig; vielleicht zeigt er ſich nur wirkſam, wenn er ſtark konzentriert iſt. Das furchtbare Gift iſt in der Rinde und einem Teil des Splintes enthalten. Man ſchabt mit einem Meſſer 8 bis 11 mm dicke Mavacurezweige ab und zerſtößt die abgeſchabte Rinde auf einem Stein, wie er zum Reiben des Maniokmehls dient, in ganz dünne Faſern. Da der giftige Saft gelb iſt, ſo nimmt die ganze faſerige Maſſe die nämliche Farbe an. Man bringt dieſelbe in einen 24 cm hohen, 10 cm weiten Trichter. Dieſen Trichter ſtrich der Giftmeiſter unter allen Gerätſchaften des indianiſchen La- boratoriums am meiſten heraus. Er fragte uns mehreremal, ob wir por alla (dort drüben, das heißt in Europa) jemals etwas geſehen hätten, das ſeinem Embudo gleiche? Es war ein tütenförmig aufgerolltes Bananenblatt, das in einer an- deren ſtärkeren Tüte aus Palmblättern ſteckte; die ganze Vor- richtung ruhte auf einem leichten Geſtell von Blattſtielen und Fruchtſpindeln einer Palme. Man macht zuerſt einen kalten
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[62/0070]
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Ton, den man früher in Europa den Apothekern zum Vor-
wurf machte. „Ich weiß,“ ſagte er, „die Weißen ver-
ſtehen die Kunſt, Seife zu machen und das ſchwarze Pulver,
bei dem das Ueble iſt, daß es Lärm macht und die Tiere
verſcheucht, wenn man ſie fehlt. Das Curare, deſſen Berei-
tung bei uns vom Vater auf den Sohn übergeht, iſt beſſer
als alles, was ihr dort drüben (über dem Meere) zu machen
wißt. Es iſt der Saft einer Pflanze, der ganz leiſe tötet
(ohne daß man weiß, woher der Schuß kommt).“
Dieſe chemiſche Operation, auf die der Meiſter des
Curare ſo großes Gewicht legte, ſchien uns ſehr einfach.
Das Schlinggewächs (Bejuco), aus dem man in Esmeralda
das Gift bereitet, heißt hier wie in den Wäldern bei Javita.
Es iſt der Bejuco de Mavacure, und er kommt öſtlich von
der Miſſion am linken Ufer des Orinoko, jenſeits des Rio
Amaguaca im granitiſchen Bergland von Guanaya und Yu-
mariquin in Menge vor. Obgleich die Bejucobündel, die wir
im Hauſe des Indianers fanden, gar keine Blätter mehr
hatten, blieb uns doch kein Zweifel, daß es dasſelbe Gewächs
aus der Familie der Strychneen (Aublets Rouhamon ſehr
nahe ſtehend), das wir im Wald beim Pimichin unterſucht.
Der Mavacure wird ohne Unterſchied friſch oder ſeit meh-
reren Wochen getrocknet verarbeitet. Der friſche Saft der
Liane gilt nicht für giftig; vielleicht zeigt er ſich nur wirkſam,
wenn er ſtark konzentriert iſt. Das furchtbare Gift iſt in
der Rinde und einem Teil des Splintes enthalten. Man
ſchabt mit einem Meſſer 8 bis 11 mm dicke Mavacurezweige
ab und zerſtößt die abgeſchabte Rinde auf einem Stein, wie
er zum Reiben des Maniokmehls dient, in ganz dünne Faſern.
Da der giftige Saft gelb iſt, ſo nimmt die ganze faſerige
Maſſe die nämliche Farbe an. Man bringt dieſelbe in einen
24 cm hohen, 10 cm weiten Trichter. Dieſen Trichter ſtrich
der Giftmeiſter unter allen Gerätſchaften des indianiſchen La-
boratoriums am meiſten heraus. Er fragte uns mehreremal,
ob wir por alla (dort drüben, das heißt in Europa) jemals
etwas geſehen hätten, das ſeinem Embudo gleiche? Es war
ein tütenförmig aufgerolltes Bananenblatt, das in einer an-
deren ſtärkeren Tüte aus Palmblättern ſteckte; die ganze Vor-
richtung ruhte auf einem leichten Geſtell von Blattſtielen und
Fruchtſpindeln einer Palme. Man macht zuerſt einen kalten
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/70>, abgerufen am 27.07.2024.
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