unter dem Wind eine kleine Flamme an der Meeresfläche, die gegen Südwest fortlief und die Luft erhellte. Man spürte keinen Erdstoß, keine Aenderung in der Richtung der Wellen. War es ein phosphorischer Schein, den eine große Masse faulender Mollusken verbreitete, oder kam die Flamme vom Meeresboden herauf, wie solches zuweilen in von Vulkanen erschütterten Seestrichen beobachtet worden sein soll? Letztere Annahme scheint mir durchaus unwahrscheinlich. Vulkanische Flammen können nur dann aus den Wellen hervorbrechen, wenn der feste Boden des Meeres bereits emporgehoben ist, so daß Flammen und glühende Schlacken aus dem oberen ge- wölbten und zerklüfteten Teil hervorkommen und nicht durch das Wasser selbst hindurchgehen.
Am 4. Dezember. Um 101/2 Uhr morgens befanden wir uns unter dem Meridian des Vorgebirges Bacco (Punta Abaccu), dessen Länge ich gleich 76° 7' 50" oder 9° 3' 2" von Nueva Barcelona fand. Im Frieden laufen, nach dem alten Brauche der spanischen Schiffer, die Fahrzeuge, die zwischen Cumana oder Barcelona und der Havana mit Salz- fleisch Handel treiben, durch den Kanal von Portorico und über "den alten" Kanal nördlich von Cuba; zuweilen gehen sie auch zwischen Kap Tiburon und Kap Morant durch und fahren an der Nordküste von Jamaika hin. In Kriegszeiten gelten diese Wege für gleich gefährlich, weil man zu lange im Angesicht des Landes bleibt. Aus Furcht vor den Kapern fuhren wir daher, sobald wir den Parallel von 17° erreicht hatten, gerade über die Bank Vibora hin, bekannter unter dem Namen Pedro Shoals. Diese Bank ist über 1000 qkm groß und ihr Umriß fällt dem Geologen stark ins Auge, weil derselbe mit dem des benachbarten Jamaika so große Aehn- lichkeit hat. Es ist, als hätte eine Erhebung des Meeres- bodens die Wasserfläche nicht erreichen können, um sofort eine Insel zu bilden, fast so groß wie Portorico. Seit dem 5. Dezember glaubten die Steuerleute in großer Entfernung nacheinander die Ranaseilande (Morant Kays), Kap Portland und Pedro Kays zu peilen. Wahrscheinlich irrte man sich bei mehreren dieser Peilungen vom Mastkorbe aus; ich habe dieser Bestimmungen anderswo Erwähnung gethan, 1 nicht um sie gegen die Beobachtungen geübter englischer Seefahrer in diesen stark befahrenen Seestrichen aufzustellen, sondern allein,
1Observations astronomiques, T. I, p. XLIII, T. II, p. 7--10
unter dem Wind eine kleine Flamme an der Meeresfläche, die gegen Südweſt fortlief und die Luft erhellte. Man ſpürte keinen Erdſtoß, keine Aenderung in der Richtung der Wellen. War es ein phosphoriſcher Schein, den eine große Maſſe faulender Mollusken verbreitete, oder kam die Flamme vom Meeresboden herauf, wie ſolches zuweilen in von Vulkanen erſchütterten Seeſtrichen beobachtet worden ſein ſoll? Letztere Annahme ſcheint mir durchaus unwahrſcheinlich. Vulkaniſche Flammen können nur dann aus den Wellen hervorbrechen, wenn der feſte Boden des Meeres bereits emporgehoben iſt, ſo daß Flammen und glühende Schlacken aus dem oberen ge- wölbten und zerklüfteten Teil hervorkommen und nicht durch das Waſſer ſelbſt hindurchgehen.
Am 4. Dezember. Um 10½ Uhr morgens befanden wir uns unter dem Meridian des Vorgebirges Bacco (Punta Abaccu), deſſen Länge ich gleich 76° 7′ 50″ oder 9° 3′ 2″ von Nueva Barcelona fand. Im Frieden laufen, nach dem alten Brauche der ſpaniſchen Schiffer, die Fahrzeuge, die zwiſchen Cumana oder Barcelona und der Havana mit Salz- fleiſch Handel treiben, durch den Kanal von Portorico und über „den alten“ Kanal nördlich von Cuba; zuweilen gehen ſie auch zwiſchen Kap Tiburon und Kap Morant durch und fahren an der Nordküſte von Jamaika hin. In Kriegszeiten gelten dieſe Wege für gleich gefährlich, weil man zu lange im Angeſicht des Landes bleibt. Aus Furcht vor den Kapern fuhren wir daher, ſobald wir den Parallel von 17° erreicht hatten, gerade über die Bank Vibora hin, bekannter unter dem Namen Pedro Shoals. Dieſe Bank iſt über 1000 qkm groß und ihr Umriß fällt dem Geologen ſtark ins Auge, weil derſelbe mit dem des benachbarten Jamaika ſo große Aehn- lichkeit hat. Es iſt, als hätte eine Erhebung des Meeres- bodens die Waſſerfläche nicht erreichen können, um ſofort eine Inſel zu bilden, faſt ſo groß wie Portorico. Seit dem 5. Dezember glaubten die Steuerleute in großer Entfernung nacheinander die Ranaseilande (Morant Kays), Kap Portland und Pedro Kays zu peilen. Wahrſcheinlich irrte man ſich bei mehreren dieſer Peilungen vom Maſtkorbe aus; ich habe dieſer Beſtimmungen anderswo Erwähnung gethan, 1 nicht um ſie gegen die Beobachtungen geübter engliſcher Seefahrer in dieſen ſtark befahrenen Seeſtrichen aufzuſtellen, ſondern allein,
1Observations astronomiques, T. I, p. XLIII, T. II, p. 7—10
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0306"n="298"/>
unter dem Wind eine kleine Flamme an der Meeresfläche,<lb/>
die gegen Südweſt fortlief und die Luft erhellte. Man ſpürte<lb/>
keinen Erdſtoß, keine Aenderung in der Richtung der Wellen.<lb/>
War es ein phosphoriſcher Schein, den eine große Maſſe<lb/>
faulender Mollusken verbreitete, oder kam die Flamme vom<lb/>
Meeresboden herauf, wie ſolches zuweilen in von Vulkanen<lb/>
erſchütterten Seeſtrichen beobachtet worden ſein ſoll? Letztere<lb/>
Annahme ſcheint mir durchaus unwahrſcheinlich. Vulkaniſche<lb/>
Flammen können nur dann aus den Wellen hervorbrechen,<lb/>
wenn der feſte Boden des Meeres bereits emporgehoben iſt,<lb/>ſo daß Flammen und glühende Schlacken aus dem oberen ge-<lb/>
wölbten und zerklüfteten Teil hervorkommen und nicht durch<lb/>
das Waſſer ſelbſt hindurchgehen.</p><lb/><p>Am 4. Dezember. Um 10½ Uhr morgens befanden<lb/>
wir uns unter dem Meridian des Vorgebirges Bacco (Punta<lb/>
Abaccu), deſſen Länge ich gleich 76° 7′ 50″ oder 9° 3′ 2″<lb/>
von Nueva Barcelona fand. Im Frieden laufen, nach dem<lb/>
alten Brauche der ſpaniſchen Schiffer, die Fahrzeuge, die<lb/>
zwiſchen Cumana oder Barcelona und der Havana mit Salz-<lb/>
fleiſch Handel treiben, durch den Kanal von Portorico und<lb/>
über „den alten“ Kanal nördlich von Cuba; zuweilen gehen<lb/>ſie auch zwiſchen Kap Tiburon und Kap Morant durch und<lb/>
fahren an der Nordküſte von Jamaika hin. In Kriegszeiten<lb/>
gelten dieſe Wege für gleich gefährlich, weil man zu lange im<lb/>
Angeſicht des Landes bleibt. Aus Furcht vor den Kapern<lb/>
fuhren wir daher, ſobald wir den Parallel von 17° erreicht<lb/>
hatten, gerade über die Bank Vibora hin, bekannter unter<lb/>
dem Namen Pedro Shoals. Dieſe Bank iſt über 1000 <hirendition="#aq">qkm</hi><lb/>
groß und ihr Umriß fällt dem Geologen ſtark ins Auge, weil<lb/>
derſelbe mit dem des benachbarten Jamaika ſo große Aehn-<lb/>
lichkeit hat. Es iſt, als hätte eine Erhebung des Meeres-<lb/>
bodens die Waſſerfläche nicht erreichen können, um ſofort eine<lb/>
Inſel zu bilden, faſt ſo groß wie Portorico. Seit dem<lb/>
5. Dezember glaubten die Steuerleute in großer Entfernung<lb/>
nacheinander die Ranaseilande (Morant Kays), Kap Portland<lb/>
und Pedro Kays zu peilen. Wahrſcheinlich irrte man ſich<lb/>
bei mehreren dieſer Peilungen vom Maſtkorbe aus; ich habe<lb/>
dieſer Beſtimmungen anderswo Erwähnung gethan, <noteplace="foot"n="1"><hirendition="#aq">Observations astronomiques, T. I, p. XLIII, T. II, p.</hi> 7—10</note> nicht um<lb/>ſie gegen die Beobachtungen geübter engliſcher Seefahrer in<lb/>
dieſen ſtark befahrenen Seeſtrichen aufzuſtellen, ſondern allein,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[298/0306]
unter dem Wind eine kleine Flamme an der Meeresfläche,
die gegen Südweſt fortlief und die Luft erhellte. Man ſpürte
keinen Erdſtoß, keine Aenderung in der Richtung der Wellen.
War es ein phosphoriſcher Schein, den eine große Maſſe
faulender Mollusken verbreitete, oder kam die Flamme vom
Meeresboden herauf, wie ſolches zuweilen in von Vulkanen
erſchütterten Seeſtrichen beobachtet worden ſein ſoll? Letztere
Annahme ſcheint mir durchaus unwahrſcheinlich. Vulkaniſche
Flammen können nur dann aus den Wellen hervorbrechen,
wenn der feſte Boden des Meeres bereits emporgehoben iſt,
ſo daß Flammen und glühende Schlacken aus dem oberen ge-
wölbten und zerklüfteten Teil hervorkommen und nicht durch
das Waſſer ſelbſt hindurchgehen.
Am 4. Dezember. Um 10½ Uhr morgens befanden
wir uns unter dem Meridian des Vorgebirges Bacco (Punta
Abaccu), deſſen Länge ich gleich 76° 7′ 50″ oder 9° 3′ 2″
von Nueva Barcelona fand. Im Frieden laufen, nach dem
alten Brauche der ſpaniſchen Schiffer, die Fahrzeuge, die
zwiſchen Cumana oder Barcelona und der Havana mit Salz-
fleiſch Handel treiben, durch den Kanal von Portorico und
über „den alten“ Kanal nördlich von Cuba; zuweilen gehen
ſie auch zwiſchen Kap Tiburon und Kap Morant durch und
fahren an der Nordküſte von Jamaika hin. In Kriegszeiten
gelten dieſe Wege für gleich gefährlich, weil man zu lange im
Angeſicht des Landes bleibt. Aus Furcht vor den Kapern
fuhren wir daher, ſobald wir den Parallel von 17° erreicht
hatten, gerade über die Bank Vibora hin, bekannter unter
dem Namen Pedro Shoals. Dieſe Bank iſt über 1000 qkm
groß und ihr Umriß fällt dem Geologen ſtark ins Auge, weil
derſelbe mit dem des benachbarten Jamaika ſo große Aehn-
lichkeit hat. Es iſt, als hätte eine Erhebung des Meeres-
bodens die Waſſerfläche nicht erreichen können, um ſofort eine
Inſel zu bilden, faſt ſo groß wie Portorico. Seit dem
5. Dezember glaubten die Steuerleute in großer Entfernung
nacheinander die Ranaseilande (Morant Kays), Kap Portland
und Pedro Kays zu peilen. Wahrſcheinlich irrte man ſich
bei mehreren dieſer Peilungen vom Maſtkorbe aus; ich habe
dieſer Beſtimmungen anderswo Erwähnung gethan, 1 nicht um
ſie gegen die Beobachtungen geübter engliſcher Seefahrer in
dieſen ſtark befahrenen Seeſtrichen aufzuſtellen, ſondern allein,
1 Observations astronomiques, T. I, p. XLIII, T. II, p. 7—10
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/306>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.