ich aber nicht zu erklären versuche. Es war über 121/2 Uhr; der Wind wehte schwach aus Ost; der Thermometer stand auf 23,2°, der Fischbeinhygronometer auf 57°. Ich war auf dem Oberleuf geblieben, um die Kulmination einiger großen Sterne zu beobachten. Der volle Mond stand sehr hoch. Da auf einmal bildete sich auf der Seite des Mondes, 45 Minuten vor seinem Durchgang durch den Meridian, ein großer Bogen in allen Farben des Spektrums, aber unheimlich anzusehen. Der Bogen reichte über den Mond hinauf; der Streifen in den Farben des Regenbogens war gegen 2° breit und seine Spitze schien etwa 80 bis 85° über dem Meereshorizont zu liegen. Der Himmel war vollkommen rein, von Regen keine Spur; am auffallendsten war mir aber, daß die Erscheinung, die vollkommen einem Mondregenbogen glich, sich nicht dem Monde gegenüber zeigte. Der Bogen blieb 8 bis 10 Minuten, scheinbar wenigstens, unverrückt; im Moment aber, wo ich versuchte, ob er durch Reflexion im Spiegel des Sextanten zu sehen sein werde, fing er an sich zu bewegen und über den Mond und Jupiter, der nicht weit unterhalb des Mondes stand, hinabzurücken. Es war 12 Uhr 54 Minuten (wahre Zeit), als die Spitze des Bo- gens unter dem Horizont verschwand. Diese Bewegung eines farbigen Bogens setzte die wachhabenden Matrosen auf dem Oberleuf in Erstaunen; sie behaupteten, wie beim Erscheinen jedes auffallenden Meteors, "das bedeute Sturm". Arago hat die Zeichnung dieses Bogens in meinem Reisetagebuche untersucht; nach seiner Ansicht hätte das im Wasser reflektierte Bild des Mondes keinen Hof von so großem Durchmesser geben können. Die Raschheit der Bewegung ist ein weiteres Moment, das diese Erscheinung, die alle Beachtung verdient, ebenso schwer erklärlich macht.
Am 3. Dezember. Man war unruhig, weil sich ein Fahrzeug sehen ließ, das man für einen Kaper hielt. Als es auf uns zukam, sah man, daß es die Balandra del Frayle (Goelette des Mönchs) war. Was eine so seltsame Benennung sagen wollte, war mir unklar. Es war aber nur das Fahrzeug eines Missionärs vom Franziskanerorden (Frayle Observante), eines sehr reichen Pfarrers eines indianischen Dorfes in den Llanos von Barcelona, der seit mehreren Jahren einen kleinen, ziemlich einträglichen Schmuggelhandel mit den dänischen Inseln trieb. In der Nacht sahen Bon- pland und mehrere andere Passagiere auf eine Viertelsseemeile
ich aber nicht zu erklären verſuche. Es war über 12½ Uhr; der Wind wehte ſchwach aus Oſt; der Thermometer ſtand auf 23,2°, der Fiſchbeinhygronometer auf 57°. Ich war auf dem Oberleuf geblieben, um die Kulmination einiger großen Sterne zu beobachten. Der volle Mond ſtand ſehr hoch. Da auf einmal bildete ſich auf der Seite des Mondes, 45 Minuten vor ſeinem Durchgang durch den Meridian, ein großer Bogen in allen Farben des Spektrums, aber unheimlich anzuſehen. Der Bogen reichte über den Mond hinauf; der Streifen in den Farben des Regenbogens war gegen 2° breit und ſeine Spitze ſchien etwa 80 bis 85° über dem Meereshorizont zu liegen. Der Himmel war vollkommen rein, von Regen keine Spur; am auffallendſten war mir aber, daß die Erſcheinung, die vollkommen einem Mondregenbogen glich, ſich nicht dem Monde gegenüber zeigte. Der Bogen blieb 8 bis 10 Minuten, ſcheinbar wenigſtens, unverrückt; im Moment aber, wo ich verſuchte, ob er durch Reflexion im Spiegel des Sextanten zu ſehen ſein werde, fing er an ſich zu bewegen und über den Mond und Jupiter, der nicht weit unterhalb des Mondes ſtand, hinabzurücken. Es war 12 Uhr 54 Minuten (wahre Zeit), als die Spitze des Bo- gens unter dem Horizont verſchwand. Dieſe Bewegung eines farbigen Bogens ſetzte die wachhabenden Matroſen auf dem Oberleuf in Erſtaunen; ſie behaupteten, wie beim Erſcheinen jedes auffallenden Meteors, „das bedeute Sturm“. Arago hat die Zeichnung dieſes Bogens in meinem Reiſetagebuche unterſucht; nach ſeiner Anſicht hätte das im Waſſer reflektierte Bild des Mondes keinen Hof von ſo großem Durchmeſſer geben können. Die Raſchheit der Bewegung iſt ein weiteres Moment, das dieſe Erſcheinung, die alle Beachtung verdient, ebenſo ſchwer erklärlich macht.
Am 3. Dezember. Man war unruhig, weil ſich ein Fahrzeug ſehen ließ, das man für einen Kaper hielt. Als es auf uns zukam, ſah man, daß es die Balandra del Frayle (Goelette des Mönchs) war. Was eine ſo ſeltſame Benennung ſagen wollte, war mir unklar. Es war aber nur das Fahrzeug eines Miſſionärs vom Franziskanerorden (Frayle Observante), eines ſehr reichen Pfarrers eines indianiſchen Dorfes in den Llanos von Barcelona, der ſeit mehreren Jahren einen kleinen, ziemlich einträglichen Schmuggelhandel mit den däniſchen Inſeln trieb. In der Nacht ſahen Bon- pland und mehrere andere Paſſagiere auf eine Viertelsſeemeile
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ich aber nicht zu erklären verſuche. Es war über 12½ Uhr;
der Wind wehte ſchwach aus Oſt; der Thermometer ſtand
auf 23,2°, der Fiſchbeinhygronometer auf 57°. Ich war
auf dem Oberleuf geblieben, um die Kulmination einiger
großen Sterne zu beobachten. Der volle Mond ſtand ſehr
hoch. Da auf einmal bildete ſich auf der Seite des Mondes,
45 Minuten vor ſeinem Durchgang durch den Meridian,
ein großer Bogen in allen Farben des Spektrums, aber
unheimlich anzuſehen. Der Bogen reichte über den Mond
hinauf; der Streifen in den Farben des Regenbogens war
gegen 2° breit und ſeine Spitze ſchien etwa 80 bis 85° über
dem Meereshorizont zu liegen. Der Himmel war vollkommen
rein, von Regen keine Spur; am auffallendſten war mir aber,
daß die Erſcheinung, die vollkommen einem Mondregenbogen
glich, ſich nicht dem Monde gegenüber zeigte. Der Bogen
blieb 8 bis 10 Minuten, ſcheinbar wenigſtens, unverrückt;
im Moment aber, wo ich verſuchte, ob er durch Reflexion
im Spiegel des Sextanten zu ſehen ſein werde, fing er an
ſich zu bewegen und über den Mond und Jupiter, der nicht
weit unterhalb des Mondes ſtand, hinabzurücken. Es war
12 Uhr 54 Minuten (wahre Zeit), als die Spitze des Bo-
gens unter dem Horizont verſchwand. Dieſe Bewegung eines
farbigen Bogens ſetzte die wachhabenden Matroſen auf dem
Oberleuf in Erſtaunen; ſie behaupteten, wie beim Erſcheinen
jedes auffallenden Meteors, „das bedeute Sturm“. Arago
hat die Zeichnung dieſes Bogens in meinem Reiſetagebuche
unterſucht; nach ſeiner Anſicht hätte das im Waſſer reflektierte
Bild des Mondes keinen Hof von ſo großem Durchmeſſer
geben können. Die Raſchheit der Bewegung iſt ein weiteres
Moment, das dieſe Erſcheinung, die alle Beachtung verdient,
ebenſo ſchwer erklärlich macht.
Am 3. Dezember. Man war unruhig, weil ſich ein
Fahrzeug ſehen ließ, das man für einen Kaper hielt. Als
es auf uns zukam, ſah man, daß es die Balandra del
Frayle (Goelette des Mönchs) war. Was eine ſo ſeltſame
Benennung ſagen wollte, war mir unklar. Es war aber nur
das Fahrzeug eines Miſſionärs vom Franziskanerorden (Frayle
Observante), eines ſehr reichen Pfarrers eines indianiſchen
Dorfes in den Llanos von Barcelona, der ſeit mehreren
Jahren einen kleinen, ziemlich einträglichen Schmuggelhandel
mit den däniſchen Inſeln trieb. In der Nacht ſahen Bon-
pland und mehrere andere Paſſagiere auf eine Viertelsſeemeile
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/305>, abgerufen am 16.02.2025.
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