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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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einige Beobachtungen niederlege, so thue ich es nur, um den
Faden meiner Reisebeschreibung nicht zu verlieren und allge-
meine Betrachtungen über Meteorologie und physische Geo-
graphie daran zu knüpfen. Um die wechselnden Zustände
der Atmosphäre recht kennen zu lernen, muß man am Ab-
hang der Gebirge und auf der unermeßlichen Meeresfläche
beobachten; in einem Forscher, der seinen Scharfsinn im Be-
fragen der Natur lange in seinem Studierzimmer geübt hat,
mögen schon auf der kleinsten Ueberfahrt, auf einer Reise
von den Kanarien nach Madeira, ganz neue Ansichten sich
gestalten.

Am 24. November um 9 Uhr abends gingen wir auf
der Reede von Nueva Barcelona unter Segel und fuhren um
die kleine Felseninsel Borrachita herum. Zwischen derselben
und Gran Borracha ist eine tiefe Straße. Die Nacht brachte
die Kühle, welche den tropischen Nächten eigen ist und einen
angenehmen Eindruck macht, von dem man sich erst Rechen-
schaft geben kann, wenn man die nächtliche Temperatur von
23 bis 24° des hundertteiligen Thermometers mit der mitt-
leren Tagestemperatur vergleicht, die in diesen Strichen, selbst
auf den Küsten, meist 28 bis 29° beträgt. Tags darauf,
kurz nach der Beobachtung um Mittag, befanden wir uns im
Meridian der Insel Tortuga; sie ist, gleich den Eilanden
Coche und Cubagua, ohne Pflanzenwuchs und erhebt sich auf-
fallend wenig über den Meeresspiegel. Da man in neuester
Zeit über die astronomische Lage von Tortuga Zweifel ge-
äußert hat, so bemerke ich hier, daß Louis Berthouds Chrono-
meter mir für den Mittelpunkt der Insel 0° 49' 40" west-
wärts von Nueva Barcelona ergab; diese Länge ist aber doch
wohl noch ein wenig zu weit westlich.

Am 26. November. -- Windstille, auf die wir um so
weniger gefaßt waren, da der Ostwind in diesen Strichen
von Anfang November an meist sehr stark ist, während vom
Mai bis Oktober von Zeit zu Zeit die Nordwest- und die
Südwinde auftreten. Bei Nordwestwind bemerkt man eine
Strömung von West nach Ost, welche zuweilen zwei, drei
Wochen lang die Fahrt von Cartagena nach Trinidad be-
schleunigt. Der Südwind gilt auf der ganzen Küste von
Terra Firma für sehr ungesund, weil er (so sagt das Volk)
die faulichten Effluvien aus den Wäldern am Orinoko her-
führt. Gegen 9 Uhr morgens bildete sich ein schöner Hof um
die Sonne, und im selben Moment fiel in der tiefen Luft-

einige Beobachtungen niederlege, ſo thue ich es nur, um den
Faden meiner Reiſebeſchreibung nicht zu verlieren und allge-
meine Betrachtungen über Meteorologie und phyſiſche Geo-
graphie daran zu knüpfen. Um die wechſelnden Zuſtände
der Atmoſphäre recht kennen zu lernen, muß man am Ab-
hang der Gebirge und auf der unermeßlichen Meeresfläche
beobachten; in einem Forſcher, der ſeinen Scharfſinn im Be-
fragen der Natur lange in ſeinem Studierzimmer geübt hat,
mögen ſchon auf der kleinſten Ueberfahrt, auf einer Reiſe
von den Kanarien nach Madeira, ganz neue Anſichten ſich
geſtalten.

Am 24. November um 9 Uhr abends gingen wir auf
der Reede von Nueva Barcelona unter Segel und fuhren um
die kleine Felſeninſel Borrachita herum. Zwiſchen derſelben
und Gran Borracha iſt eine tiefe Straße. Die Nacht brachte
die Kühle, welche den tropiſchen Nächten eigen iſt und einen
angenehmen Eindruck macht, von dem man ſich erſt Rechen-
ſchaft geben kann, wenn man die nächtliche Temperatur von
23 bis 24° des hundertteiligen Thermometers mit der mitt-
leren Tagestemperatur vergleicht, die in dieſen Strichen, ſelbſt
auf den Küſten, meiſt 28 bis 29° beträgt. Tags darauf,
kurz nach der Beobachtung um Mittag, befanden wir uns im
Meridian der Inſel Tortuga; ſie iſt, gleich den Eilanden
Coche und Cubagua, ohne Pflanzenwuchs und erhebt ſich auf-
fallend wenig über den Meeresſpiegel. Da man in neueſter
Zeit über die aſtronomiſche Lage von Tortuga Zweifel ge-
äußert hat, ſo bemerke ich hier, daß Louis Berthouds Chrono-
meter mir für den Mittelpunkt der Inſel 0° 49′ 40″ weſt-
wärts von Nueva Barcelona ergab; dieſe Länge iſt aber doch
wohl noch ein wenig zu weit weſtlich.

Am 26. November. — Windſtille, auf die wir um ſo
weniger gefaßt waren, da der Oſtwind in dieſen Strichen
von Anfang November an meiſt ſehr ſtark iſt, während vom
Mai bis Oktober von Zeit zu Zeit die Nordweſt- und die
Südwinde auftreten. Bei Nordweſtwind bemerkt man eine
Strömung von Weſt nach Oſt, welche zuweilen zwei, drei
Wochen lang die Fahrt von Cartagena nach Trinidad be-
ſchleunigt. Der Südwind gilt auf der ganzen Küſte von
Terra Firma für ſehr ungeſund, weil er (ſo ſagt das Volk)
die faulichten Effluvien aus den Wäldern am Orinoko her-
führt. Gegen 9 Uhr morgens bildete ſich ein ſchöner Hof um
die Sonne, und im ſelben Moment fiel in der tiefen Luft-

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[293/0301] einige Beobachtungen niederlege, ſo thue ich es nur, um den Faden meiner Reiſebeſchreibung nicht zu verlieren und allge- meine Betrachtungen über Meteorologie und phyſiſche Geo- graphie daran zu knüpfen. Um die wechſelnden Zuſtände der Atmoſphäre recht kennen zu lernen, muß man am Ab- hang der Gebirge und auf der unermeßlichen Meeresfläche beobachten; in einem Forſcher, der ſeinen Scharfſinn im Be- fragen der Natur lange in ſeinem Studierzimmer geübt hat, mögen ſchon auf der kleinſten Ueberfahrt, auf einer Reiſe von den Kanarien nach Madeira, ganz neue Anſichten ſich geſtalten. Am 24. November um 9 Uhr abends gingen wir auf der Reede von Nueva Barcelona unter Segel und fuhren um die kleine Felſeninſel Borrachita herum. Zwiſchen derſelben und Gran Borracha iſt eine tiefe Straße. Die Nacht brachte die Kühle, welche den tropiſchen Nächten eigen iſt und einen angenehmen Eindruck macht, von dem man ſich erſt Rechen- ſchaft geben kann, wenn man die nächtliche Temperatur von 23 bis 24° des hundertteiligen Thermometers mit der mitt- leren Tagestemperatur vergleicht, die in dieſen Strichen, ſelbſt auf den Küſten, meiſt 28 bis 29° beträgt. Tags darauf, kurz nach der Beobachtung um Mittag, befanden wir uns im Meridian der Inſel Tortuga; ſie iſt, gleich den Eilanden Coche und Cubagua, ohne Pflanzenwuchs und erhebt ſich auf- fallend wenig über den Meeresſpiegel. Da man in neueſter Zeit über die aſtronomiſche Lage von Tortuga Zweifel ge- äußert hat, ſo bemerke ich hier, daß Louis Berthouds Chrono- meter mir für den Mittelpunkt der Inſel 0° 49′ 40″ weſt- wärts von Nueva Barcelona ergab; dieſe Länge iſt aber doch wohl noch ein wenig zu weit weſtlich. Am 26. November. — Windſtille, auf die wir um ſo weniger gefaßt waren, da der Oſtwind in dieſen Strichen von Anfang November an meiſt ſehr ſtark iſt, während vom Mai bis Oktober von Zeit zu Zeit die Nordweſt- und die Südwinde auftreten. Bei Nordweſtwind bemerkt man eine Strömung von Weſt nach Oſt, welche zuweilen zwei, drei Wochen lang die Fahrt von Cartagena nach Trinidad be- ſchleunigt. Der Südwind gilt auf der ganzen Küſte von Terra Firma für ſehr ungeſund, weil er (ſo ſagt das Volk) die faulichten Effluvien aus den Wäldern am Orinoko her- führt. Gegen 9 Uhr morgens bildete ſich ein ſchöner Hof um die Sonne, und im ſelben Moment fiel in der tiefen Luft-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/301>, abgerufen am 22.11.2024.