entweder durch ein Erdbeben oder durch ein plötzliches An- schwellen des Ozeans die große langgestreckte Insel Margarita in zwei viereckige Felseneilande zerfallen.
Bei der Besteigung des Cerro del Barigon wiederholten wir die Versuche, die wir am Orinoko über den Unterschied zwischen der Temperatur der Luft und des verwitterten Ge- steins gemacht hatten. Erstere betrug gegen 11 Uhr vor- mittags, des Seewinds wegen, nur 27°, letztere dagegen 49,6°. Der Saft in den Fackeldisteln (Cactus quadrangularis) zeigte 38 bis 41°; soviel zeigte ein Thermometer, dessen Kugel ich in den fleischigen, saftigen Stamm der Kaktus hineinsteckte. Diese innere Temperatur eines Gewächses ist das Produkt der Wärme des Sandes, in dem die Wurzeln sich verbreiten, der Luft- temperatur, der Oberflächenbeschaffenheit des den Sonnen- strahlen ausgesetzten Stammes und der Leitungsfähigkeit des Holzes. Es wirken somit sehr verwickelte Vorgänge zum Re- sultat zusammen. Der Kalkstein des Barigon, der zu der großen Sandstein- und Kalkformation von Cumana gehört, be- steht fast ganz aus Seeschaltieren, die so wohl erhalten sind, wie die in den anderen tertiären Kalkgebilden in Frankreich und Italien. Wir brachen für das königliche Kabinett zu Madrid Blöcke ab, die Austern von 20 cm Durchmesser, Kammmuscheln, Venusmuscheln und Polypengehäuse enthielten. Ich möchte Naturforscher, welche bessere Paläontologen sind, als ich da- mals war, auffordern, diese Felsenküste genau zu untersuchen. Sie ist europäischen Fahrzeugen, die nach Cumana, Guayra oder Curacao gehen, leicht zugänglich. Es wäre von großem Interesse, auszumachen, ob manche dieser versteinerten Mol- lusken- und Zoophytenarten noch jetzt das Meer der Antillen bewohnen, wie es Bonpland vorkam, und wie es auf der Insel Timor und wohl auch bei Grande-Terre auf Guade- loupe der Fall ist.
Am 4. November um 1 Uhr nachts gingen wir unter Segel, um die natürliche Alaungrube aufzusuchen. Ich hatte den Chronometer und mein großes Dollondsches Fernrohr mit eingeschifft, um bei der Laguna chica, östlich vom Dorfe Maniquarez, die Immersion des ersten Jupitertrabanten zu beobachten. Daraus wurde indes nichts, da wir des widrigen Windes wegen nicht vor Tag hinkamen. Nur das Schau- spiel des Meerleuchtens, dessen Pracht durch die um unsere Piroge gaukelnden Delphine noch erhöht wurde, konnte uns für diese Verzögerung entschädigen. Wir fuhren wieder über
entweder durch ein Erdbeben oder durch ein plötzliches An- ſchwellen des Ozeans die große langgeſtreckte Inſel Margarita in zwei viereckige Felſeneilande zerfallen.
Bei der Beſteigung des Cerro del Barigon wiederholten wir die Verſuche, die wir am Orinoko über den Unterſchied zwiſchen der Temperatur der Luft und des verwitterten Ge- ſteins gemacht hatten. Erſtere betrug gegen 11 Uhr vor- mittags, des Seewinds wegen, nur 27°, letztere dagegen 49,6°. Der Saft in den Fackeldiſteln (Cactus quadrangularis) zeigte 38 bis 41°; ſoviel zeigte ein Thermometer, deſſen Kugel ich in den fleiſchigen, ſaftigen Stamm der Kaktus hineinſteckte. Dieſe innere Temperatur eines Gewächſes iſt das Produkt der Wärme des Sandes, in dem die Wurzeln ſich verbreiten, der Luft- temperatur, der Oberflächenbeſchaffenheit des den Sonnen- ſtrahlen ausgeſetzten Stammes und der Leitungsfähigkeit des Holzes. Es wirken ſomit ſehr verwickelte Vorgänge zum Re- ſultat zuſammen. Der Kalkſtein des Barigon, der zu der großen Sandſtein- und Kalkformation von Cumana gehört, be- ſteht faſt ganz aus Seeſchaltieren, die ſo wohl erhalten ſind, wie die in den anderen tertiären Kalkgebilden in Frankreich und Italien. Wir brachen für das königliche Kabinett zu Madrid Blöcke ab, die Auſtern von 20 cm Durchmeſſer, Kammmuſcheln, Venusmuſcheln und Polypengehäuſe enthielten. Ich möchte Naturforſcher, welche beſſere Paläontologen ſind, als ich da- mals war, auffordern, dieſe Felſenküſte genau zu unterſuchen. Sie iſt europäiſchen Fahrzeugen, die nach Cumana, Guayra oder Curaçao gehen, leicht zugänglich. Es wäre von großem Intereſſe, auszumachen, ob manche dieſer verſteinerten Mol- lusken- und Zoophytenarten noch jetzt das Meer der Antillen bewohnen, wie es Bonpland vorkam, und wie es auf der Inſel Timor und wohl auch bei Grande-Terre auf Guade- loupe der Fall iſt.
Am 4. November um 1 Uhr nachts gingen wir unter Segel, um die natürliche Alaungrube aufzuſuchen. Ich hatte den Chronometer und mein großes Dollondſches Fernrohr mit eingeſchifft, um bei der Laguna chica, öſtlich vom Dorfe Maniquarez, die Immerſion des erſten Jupitertrabanten zu beobachten. Daraus wurde indes nichts, da wir des widrigen Windes wegen nicht vor Tag hinkamen. Nur das Schau- ſpiel des Meerleuchtens, deſſen Pracht durch die um unſere Piroge gaukelnden Delphine noch erhöht wurde, konnte uns für dieſe Verzögerung entſchädigen. Wir fuhren wieder über
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entweder durch ein Erdbeben oder durch ein plötzliches An-
ſchwellen des Ozeans die große langgeſtreckte Inſel Margarita
in zwei viereckige Felſeneilande zerfallen.
Bei der Beſteigung des Cerro del Barigon wiederholten
wir die Verſuche, die wir am Orinoko über den Unterſchied
zwiſchen der Temperatur der Luft und des verwitterten Ge-
ſteins gemacht hatten. Erſtere betrug gegen 11 Uhr vor-
mittags, des Seewinds wegen, nur 27°, letztere dagegen 49,6°.
Der Saft in den Fackeldiſteln (Cactus quadrangularis) zeigte
38 bis 41°; ſoviel zeigte ein Thermometer, deſſen Kugel ich in
den fleiſchigen, ſaftigen Stamm der Kaktus hineinſteckte. Dieſe
innere Temperatur eines Gewächſes iſt das Produkt der Wärme
des Sandes, in dem die Wurzeln ſich verbreiten, der Luft-
temperatur, der Oberflächenbeſchaffenheit des den Sonnen-
ſtrahlen ausgeſetzten Stammes und der Leitungsfähigkeit des
Holzes. Es wirken ſomit ſehr verwickelte Vorgänge zum Re-
ſultat zuſammen. Der Kalkſtein des Barigon, der zu der
großen Sandſtein- und Kalkformation von Cumana gehört, be-
ſteht faſt ganz aus Seeſchaltieren, die ſo wohl erhalten ſind,
wie die in den anderen tertiären Kalkgebilden in Frankreich und
Italien. Wir brachen für das königliche Kabinett zu Madrid
Blöcke ab, die Auſtern von 20 cm Durchmeſſer, Kammmuſcheln,
Venusmuſcheln und Polypengehäuſe enthielten. Ich möchte
Naturforſcher, welche beſſere Paläontologen ſind, als ich da-
mals war, auffordern, dieſe Felſenküſte genau zu unterſuchen.
Sie iſt europäiſchen Fahrzeugen, die nach Cumana, Guayra
oder Curaçao gehen, leicht zugänglich. Es wäre von großem
Intereſſe, auszumachen, ob manche dieſer verſteinerten Mol-
lusken- und Zoophytenarten noch jetzt das Meer der Antillen
bewohnen, wie es Bonpland vorkam, und wie es auf der
Inſel Timor und wohl auch bei Grande-Terre auf Guade-
loupe der Fall iſt.
Am 4. November um 1 Uhr nachts gingen wir unter
Segel, um die natürliche Alaungrube aufzuſuchen. Ich hatte
den Chronometer und mein großes Dollondſches Fernrohr
mit eingeſchifft, um bei der Laguna chica, öſtlich vom Dorfe
Maniquarez, die Immerſion des erſten Jupitertrabanten zu
beobachten. Daraus wurde indes nichts, da wir des widrigen
Windes wegen nicht vor Tag hinkamen. Nur das Schau-
ſpiel des Meerleuchtens, deſſen Pracht durch die um unſere
Piroge gaukelnden Delphine noch erhöht wurde, konnte uns
für dieſe Verzögerung entſchädigen. Wir fuhren wieder über
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/286>, abgerufen am 16.02.2025.
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