denen bei Sonnenuntergang weit auseinander außerordentlich große Tropfen fallen, hatte mir ein Unwohlsein zugezogen, das einen Anfall des Typhus, der eben auf der Küste herrschte, befürchten ließ. Wir verweilten fast einen Monat in Barce- lona, im Genuß aller Bequemlichkeiten, welche die aufmerk- samste Freundschaft bieten kann. Wir trafen hier auch wie- der den trefflichen Ordensmann, Fray Juan Gonzales, dessen ich schon erwähnt habe, und der vor uns am oberen Orinoko ge- wesen war. Er bedauerte, und mit Recht, daß wir auf den Besuch dieses unbekannten Landes nur so wenige Zeit hatten verwenden können; er musterte unsere Pflanzen und Tiere mit dem Interesse, das auch der Ungebildetste für die Pro- dukte eines Landes hat, wo er lange gelebt. Fray Juan hatte beschlossen, nach Europa zurückzukehren und uns dabei bis auf die Insel Cuba zu begleiten. Wir bleiben fortan sieben Monate beisammen; der Mann war munter, geistreich und dienstfertig. Wer mochte ahnen, welches Unglück seiner wartete! Er nahm einen Teil unserer Sammlungen mit; ein gemeinschaftlicher Freund vertraute ihm ein Kind an, das man in Spanien erziehen lassen wollte; die Sammlungen, das Kind, der junge Geistliche, alles wurde von den Wellen verschlungen.
Neun Kilometer südostwärts von Nueva Barcelona er- hebt sich eine hohe Bergkette, die sich an den Cerro del Ber- gantin lehnt, den man von Cumana aus sieht. Der Ort ist unter dem Namen Aguas calientes bekannt. Als ich mich gehörig hergestellt fühlte, unternahmen wir an einem frischen, nebeligen Morgen einen Ausflug dahin. Das mit Schwefelwasserstoff geschwängerte Wasser kommt aus einem quarzigen Sandstein, der demselben dichten Kalkstein aufge- lagert ist, den wir beim Morro untersucht hatten. Die Tem- peratur desselben ist nur 43,2° (bei einer Lufttemperatur von 27°); es fließt zuerst 78 m weit über den Felsboden, stürzt sich dann in eine natürliche Höhle, dringt durch den Kalkstein und kommt am Fuß des Berges, am linken Ufer des kleinen Flusses Narigual wieder zu Tage. Durch die Berührung mit dem Sauerstoff der Luft schlagen die Quellen viel Schwefel nieder. Die Luftblasen, welche sich stoßweise aus den Ther- men entwickeln, habe ich hier nicht gesammelt, wie in Mariara. Sie enthalten ohne Zweifel viel Stickstoff, weil der Schwefel- wasserstoff das in der Quelle aufgelöste Gemenge von Sauer- stoff und Stickstoff zersetzt. Die Schwefelwasser von San
denen bei Sonnenuntergang weit auseinander außerordentlich große Tropfen fallen, hatte mir ein Unwohlſein zugezogen, das einen Anfall des Typhus, der eben auf der Küſte herrſchte, befürchten ließ. Wir verweilten faſt einen Monat in Barce- lona, im Genuß aller Bequemlichkeiten, welche die aufmerk- ſamſte Freundſchaft bieten kann. Wir trafen hier auch wie- der den trefflichen Ordensmann, Fray Juan Gonzales, deſſen ich ſchon erwähnt habe, und der vor uns am oberen Orinoko ge- weſen war. Er bedauerte, und mit Recht, daß wir auf den Beſuch dieſes unbekannten Landes nur ſo wenige Zeit hatten verwenden können; er muſterte unſere Pflanzen und Tiere mit dem Intereſſe, das auch der Ungebildetſte für die Pro- dukte eines Landes hat, wo er lange gelebt. Fray Juan hatte beſchloſſen, nach Europa zurückzukehren und uns dabei bis auf die Inſel Cuba zu begleiten. Wir bleiben fortan ſieben Monate beiſammen; der Mann war munter, geiſtreich und dienſtfertig. Wer mochte ahnen, welches Unglück ſeiner wartete! Er nahm einen Teil unſerer Sammlungen mit; ein gemeinſchaftlicher Freund vertraute ihm ein Kind an, das man in Spanien erziehen laſſen wollte; die Sammlungen, das Kind, der junge Geiſtliche, alles wurde von den Wellen verſchlungen.
Neun Kilometer ſüdoſtwärts von Nueva Barcelona er- hebt ſich eine hohe Bergkette, die ſich an den Cerro del Ber- gantin lehnt, den man von Cumana aus ſieht. Der Ort iſt unter dem Namen Aguas calientes bekannt. Als ich mich gehörig hergeſtellt fühlte, unternahmen wir an einem friſchen, nebeligen Morgen einen Ausflug dahin. Das mit Schwefelwaſſerſtoff geſchwängerte Waſſer kommt aus einem quarzigen Sandſtein, der demſelben dichten Kalkſtein aufge- lagert iſt, den wir beim Morro unterſucht hatten. Die Tem- peratur desſelben iſt nur 43,2° (bei einer Lufttemperatur von 27°); es fließt zuerſt 78 m weit über den Felsboden, ſtürzt ſich dann in eine natürliche Höhle, dringt durch den Kalkſtein und kommt am Fuß des Berges, am linken Ufer des kleinen Fluſſes Narigual wieder zu Tage. Durch die Berührung mit dem Sauerſtoff der Luft ſchlagen die Quellen viel Schwefel nieder. Die Luftblaſen, welche ſich ſtoßweiſe aus den Ther- men entwickeln, habe ich hier nicht geſammelt, wie in Mariara. Sie enthalten ohne Zweifel viel Stickſtoff, weil der Schwefel- waſſerſtoff das in der Quelle aufgelöſte Gemenge von Sauer- ſtoff und Stickſtoff zerſetzt. Die Schwefelwaſſer von San
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denen bei Sonnenuntergang weit auseinander außerordentlich
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das einen Anfall des Typhus, der eben auf der Küſte herrſchte,
befürchten ließ. Wir verweilten faſt einen Monat in Barce-
lona, im Genuß aller Bequemlichkeiten, welche die aufmerk-
ſamſte Freundſchaft bieten kann. Wir trafen hier auch wie-
der den trefflichen Ordensmann, Fray Juan Gonzales, deſſen
ich ſchon erwähnt habe, und der vor uns am oberen Orinoko ge-
weſen war. Er bedauerte, und mit Recht, daß wir auf den
Beſuch dieſes unbekannten Landes nur ſo wenige Zeit hatten
verwenden können; er muſterte unſere Pflanzen und Tiere
mit dem Intereſſe, das auch der Ungebildetſte für die Pro-
dukte eines Landes hat, wo er lange gelebt. Fray Juan
hatte beſchloſſen, nach Europa zurückzukehren und uns dabei
bis auf die Inſel Cuba zu begleiten. Wir bleiben fortan
ſieben Monate beiſammen; der Mann war munter, geiſtreich
und dienſtfertig. Wer mochte ahnen, welches Unglück ſeiner
wartete! Er nahm einen Teil unſerer Sammlungen mit; ein
gemeinſchaftlicher Freund vertraute ihm ein Kind an, das
man in Spanien erziehen laſſen wollte; die Sammlungen,
das Kind, der junge Geiſtliche, alles wurde von den Wellen
verſchlungen.
Neun Kilometer ſüdoſtwärts von Nueva Barcelona er-
hebt ſich eine hohe Bergkette, die ſich an den Cerro del Ber-
gantin lehnt, den man von Cumana aus ſieht. Der Ort
iſt unter dem Namen Aguas calientes bekannt. Als ich
mich gehörig hergeſtellt fühlte, unternahmen wir an einem
friſchen, nebeligen Morgen einen Ausflug dahin. Das mit
Schwefelwaſſerſtoff geſchwängerte Waſſer kommt aus einem
quarzigen Sandſtein, der demſelben dichten Kalkſtein aufge-
lagert iſt, den wir beim Morro unterſucht hatten. Die Tem-
peratur desſelben iſt nur 43,2° (bei einer Lufttemperatur von
27°); es fließt zuerſt 78 m weit über den Felsboden, ſtürzt
ſich dann in eine natürliche Höhle, dringt durch den Kalkſtein
und kommt am Fuß des Berges, am linken Ufer des kleinen
Fluſſes Narigual wieder zu Tage. Durch die Berührung
mit dem Sauerſtoff der Luft ſchlagen die Quellen viel Schwefel
nieder. Die Luftblaſen, welche ſich ſtoßweiſe aus den Ther-
men entwickeln, habe ich hier nicht geſammelt, wie in Mariara.
Sie enthalten ohne Zweifel viel Stickſtoff, weil der Schwefel-
waſſerſtoff das in der Quelle aufgelöſte Gemenge von Sauer-
ſtoff und Stickſtoff zerſetzt. Die Schwefelwaſſer von San
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/277>, abgerufen am 16.02.2025.
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