beim Aufstellen der Instrumente zu den nächtlichen Beobach- tungen gute Dienste leisten konnte. Er schien so gutmütig als gescheit und wir hatten nicht übel Lust, ihn in unseren Dienst zu nehmen. Wie groß war unser Verdruß, als wir im Gespräch mittels eines Dolmetschers von ihm hören mußten, "das Fleisch der Manimodasaffen sei allerdings schwärzer, er meine aber doch, es schmecke wie Menschen- fleisch". Er versicherte, "seine Verwandten (das heißt seine Stammverwandten) essen vom Menschen wie vom Bären die Handflächen am liebsten". Und bei diesem Ausspruch äußerte er durch Gebärden seine rohe Lust. Wir ließen den sonst sehr ruhigen und bei den kleinen Diensten, die er uns leistete, sehr gefälligen jungen Mann fragen, ob er hie und da noch Lust spüre, "Cheruvichahenafleisch zu essen"; er erwiderte ganz un- befangen, in der Mission werde er nur essen, was er los padres essen sehe. Den Eingeborenen wegen des abscheulichen Brauchs, von dem hier die Rede ist, Vorwürfe zu machen, hilft rein zu nichts; es ist gerade, als ob ein Brahmane vom Ganges, der in Europa reiste, uns darüber anließe, daß wir das Fleisch der Tiere essen. In den Augen des Indianers vom Rio Guaisia war der Cheruvichahena ein von ihm selbst völlig verschiedenes Wesen; ihn umzubringen war ihm kein größeres Unrecht, als die Jaguare im Walde umzubringen. Es war nur Gefühl für Anstand, wenn er, solange er in der Mission war, nur essen wollte, was los padres genossen. Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (al monte), oder treibt sie der Hunger, so werden sie alsbald wieder Menschen- fresser wie zuvor. Und wie sollten wir uns über diesen Un- bestand der Völker am Orinoko wundern, da uns aufs glaub- würdigste bezeugt ist, was sich in Hungersnot bei civilisierten Völkern schon Gräßliches ereignet hat? In Aegypten griff im 13. Jahrhundert die Sucht, Menschenfleisch zu essen, unter allen Ständen um sich; besonders aber stellte man den Aerzten nach. Hatte einer Hunger, so gab er sich für krank aus und ließ einen Arzt rufen, aber nicht, um sich bei ihm Rats zu erholen, sondern um ihn zu verzehren. Ein sehr glaub- würdiger Schriftsteller, Abd-Allatif, erzählt uns, "wie eine Sitte, die anfangs Abscheu und Entsetzen einflößte, bald gar nicht mehr auffiel". 1
1Abd-Allatif, Medecin, de Bagdad, Relation de l'Egypte, traduite par Silvestre de Sacy. -- "Als die Armen anfingen
beim Aufſtellen der Inſtrumente zu den nächtlichen Beobach- tungen gute Dienſte leiſten konnte. Er ſchien ſo gutmütig als geſcheit und wir hatten nicht übel Luſt, ihn in unſeren Dienſt zu nehmen. Wie groß war unſer Verdruß, als wir im Geſpräch mittels eines Dolmetſchers von ihm hören mußten, „das Fleiſch der Manimodasaffen ſei allerdings ſchwärzer, er meine aber doch, es ſchmecke wie Menſchen- fleiſch“. Er verſicherte, „ſeine Verwandten (das heißt ſeine Stammverwandten) eſſen vom Menſchen wie vom Bären die Handflächen am liebſten“. Und bei dieſem Ausſpruch äußerte er durch Gebärden ſeine rohe Luſt. Wir ließen den ſonſt ſehr ruhigen und bei den kleinen Dienſten, die er uns leiſtete, ſehr gefälligen jungen Mann fragen, ob er hie und da noch Luſt ſpüre, „Cheruvichahenafleiſch zu eſſen“; er erwiderte ganz un- befangen, in der Miſſion werde er nur eſſen, was er los padres eſſen ſehe. Den Eingeborenen wegen des abſcheulichen Brauchs, von dem hier die Rede iſt, Vorwürfe zu machen, hilft rein zu nichts; es iſt gerade, als ob ein Brahmane vom Ganges, der in Europa reiſte, uns darüber anließe, daß wir das Fleiſch der Tiere eſſen. In den Augen des Indianers vom Rio Guaiſia war der Cheruvichahena ein von ihm ſelbſt völlig verſchiedenes Weſen; ihn umzubringen war ihm kein größeres Unrecht, als die Jaguare im Walde umzubringen. Es war nur Gefühl für Anſtand, wenn er, ſolange er in der Miſſion war, nur eſſen wollte, was los padres genoſſen. Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (al monte), oder treibt ſie der Hunger, ſo werden ſie alsbald wieder Menſchen- freſſer wie zuvor. Und wie ſollten wir uns über dieſen Un- beſtand der Völker am Orinoko wundern, da uns aufs glaub- würdigſte bezeugt iſt, was ſich in Hungersnot bei civiliſierten Völkern ſchon Gräßliches ereignet hat? In Aegypten griff im 13. Jahrhundert die Sucht, Menſchenfleiſch zu eſſen, unter allen Ständen um ſich; beſonders aber ſtellte man den Aerzten nach. Hatte einer Hunger, ſo gab er ſich für krank aus und ließ einen Arzt rufen, aber nicht, um ſich bei ihm Rats zu erholen, ſondern um ihn zu verzehren. Ein ſehr glaub- würdiger Schriftſteller, Abd-Allatif, erzählt uns, „wie eine Sitte, die anfangs Abſcheu und Entſetzen einflößte, bald gar nicht mehr auffiel“. 1
1Abd-Allatif, Médecin, de Bagdad, Relation de l’Égypte, traduite par Silvestre de Sacy. — „Als die Armen anfingen
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tungen gute Dienſte leiſten konnte. Er ſchien ſo gutmütig
als geſcheit und wir hatten nicht übel Luſt, ihn in unſeren
Dienſt zu nehmen. Wie groß war unſer Verdruß, als wir
im Geſpräch mittels eines Dolmetſchers von ihm hören
mußten, „das Fleiſch der Manimodasaffen ſei allerdings
ſchwärzer, er meine aber doch, es ſchmecke wie Menſchen-
fleiſch“. Er verſicherte, „ſeine Verwandten (das heißt
ſeine Stammverwandten) eſſen vom Menſchen wie vom Bären
die Handflächen am liebſten“. Und bei dieſem Ausſpruch äußerte
er durch Gebärden ſeine rohe Luſt. Wir ließen den ſonſt ſehr
ruhigen und bei den kleinen Dienſten, die er uns leiſtete, ſehr
gefälligen jungen Mann fragen, ob er hie und da noch Luſt
ſpüre, „Cheruvichahenafleiſch zu eſſen“; er erwiderte ganz un-
befangen, in der Miſſion werde er nur eſſen, was er los
padres eſſen ſehe. Den Eingeborenen wegen des abſcheulichen
Brauchs, von dem hier die Rede iſt, Vorwürfe zu machen,
hilft rein zu nichts; es iſt gerade, als ob ein Brahmane
vom Ganges, der in Europa reiſte, uns darüber anließe, daß
wir das Fleiſch der Tiere eſſen. In den Augen des Indianers
vom Rio Guaiſia war der Cheruvichahena ein von ihm ſelbſt
völlig verſchiedenes Weſen; ihn umzubringen war ihm kein
größeres Unrecht, als die Jaguare im Walde umzubringen.
Es war nur Gefühl für Anſtand, wenn er, ſolange er in
der Miſſion war, nur eſſen wollte, was los padres genoſſen.
Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (al monte), oder
treibt ſie der Hunger, ſo werden ſie alsbald wieder Menſchen-
freſſer wie zuvor. Und wie ſollten wir uns über dieſen Un-
beſtand der Völker am Orinoko wundern, da uns aufs glaub-
würdigſte bezeugt iſt, was ſich in Hungersnot bei civiliſierten
Völkern ſchon Gräßliches ereignet hat? In Aegypten griff im
13. Jahrhundert die Sucht, Menſchenfleiſch zu eſſen, unter
allen Ständen um ſich; beſonders aber ſtellte man den Aerzten
nach. Hatte einer Hunger, ſo gab er ſich für krank aus und
ließ einen Arzt rufen, aber nicht, um ſich bei ihm Rats zu
erholen, ſondern um ihn zu verzehren. Ein ſehr glaub-
würdiger Schriftſteller, Abd-Allatif, erzählt uns, „wie eine
Sitte, die anfangs Abſcheu und Entſetzen einflößte, bald gar
nicht mehr auffiel“. 1
1 Abd-Allatif, Médecin, de Bagdad, Relation de l’Égypte,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/26>, abgerufen am 16.02.2025.
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