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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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asiatischen Küsten herübergekommen? Auf den Niederungen
von Südamerika trifft man, wie oben bemerkt, kaum ein paar
künstliche Hügel (cerros hechos a mano) an, nirgends Be-
festigungen wie am Ohio. Auf einem sehr großen Landstrich,
am unteren Orinoko wie am Cassiquiare und zwischen den
Quellen des Essequibo und Rio Branco, findet man indessen
Granitfelsen, die mit symbolischen Bildern bedeckt sind. Diese
Bildwerke weisen darauf hin, daß die ausgestorbenen Ge-
schlechter anderen Völkern angehörten, als die jetzt diese Länder
bewohnen. Im Westen, auf dem Rücken der Kordillere der
Anden, erscheinen die Geschichte von Mexiko und die von
Cundinamarca und Peru ganz unabhängig voneinander; aber
auf den Niederungen gegen Osten zeigt eine kriegerische Na-
tion, die lange als die herrschende aufgetreten, in den Gesichts-
zügen und dem Körperbau Spuren fremder Abstammung. Die
Kariben haben noch Sagen, die auf einen Verkehr zwischen
beiden Hälften Amerikas in alter Zeit hinzudeuten scheinen.
Eine solche Erscheinung verdient ganz besondere Aufmerksam-
keit; sie verdient solche, wie tief auch die Versunkenheit und
die Barbarei sein mag, in der die Europäer am Ende des
15. Jahrhunderts alle Völker des neuen Kontinents mit Aus-
nahme der Gebirgsvölker antrafen. Wenn es wahr ist, daß
die meisten Wilden, wie ihre Sprachen, ihre kosmogonischen
Mythen und so viele andere Merkmale darzuthun scheinen, nur
verwilderte Geschlechter sind, Trümmer, die einem großen
gemeinsamen Schiffbruch entgangen, so wird es doppelt von
Wichtigkeit, zu untersuchen, auf welchen Wegen diese Trüm-
mer aus einer Halbkugel in die andere geworfen worden sind.

Das schöne Volk der Kariben bewohnt heutzutage nur
einen kleinen Teil der Länder, die es vor der Entdeckung
von Amerika inne hatte. Durch die Greuel der Europäer
ist dasselbe auf den Antillen und auf den Küsten von Darien
völlig ausgerottet, wogegen es unter der Missionszucht in den
Provinzen Nueva Barcelona und Spanisch-Guyana volk-
reiche Dörfer gegründet hat. Man kann, glaube ich, die Zahl
der Kariben, die in den Llanos von Piritu und am Carony
und Cuyuni wohnen, auf mehr als 35000 veranschlagen.
Rechnete man dazu die unabhängigen Kariben, die westwärts
von den Gebirgen von Cayenne und Pacaraimo zwischen den
Quellen des Essequibo und des Rio Branco hausen, so käme
vielleicht eine Gesamtzahl von 40000 Köpfen von einer,
mit anderen eingeborenen Stämmen nicht gemischten Rasse

aſiatiſchen Küſten herübergekommen? Auf den Niederungen
von Südamerika trifft man, wie oben bemerkt, kaum ein paar
künſtliche Hügel (cerros hechos a mano) an, nirgends Be-
feſtigungen wie am Ohio. Auf einem ſehr großen Landſtrich,
am unteren Orinoko wie am Caſſiquiare und zwiſchen den
Quellen des Eſſequibo und Rio Branco, findet man indeſſen
Granitfelſen, die mit ſymboliſchen Bildern bedeckt ſind. Dieſe
Bildwerke weiſen darauf hin, daß die ausgeſtorbenen Ge-
ſchlechter anderen Völkern angehörten, als die jetzt dieſe Länder
bewohnen. Im Weſten, auf dem Rücken der Kordillere der
Anden, erſcheinen die Geſchichte von Mexiko und die von
Cundinamarca und Peru ganz unabhängig voneinander; aber
auf den Niederungen gegen Oſten zeigt eine kriegeriſche Na-
tion, die lange als die herrſchende aufgetreten, in den Geſichts-
zügen und dem Körperbau Spuren fremder Abſtammung. Die
Kariben haben noch Sagen, die auf einen Verkehr zwiſchen
beiden Hälften Amerikas in alter Zeit hinzudeuten ſcheinen.
Eine ſolche Erſcheinung verdient ganz beſondere Aufmerkſam-
keit; ſie verdient ſolche, wie tief auch die Verſunkenheit und
die Barbarei ſein mag, in der die Europäer am Ende des
15. Jahrhunderts alle Völker des neuen Kontinents mit Aus-
nahme der Gebirgsvölker antrafen. Wenn es wahr iſt, daß
die meiſten Wilden, wie ihre Sprachen, ihre kosmogoniſchen
Mythen und ſo viele andere Merkmale darzuthun ſcheinen, nur
verwilderte Geſchlechter ſind, Trümmer, die einem großen
gemeinſamen Schiffbruch entgangen, ſo wird es doppelt von
Wichtigkeit, zu unterſuchen, auf welchen Wegen dieſe Trüm-
mer aus einer Halbkugel in die andere geworfen worden ſind.

Das ſchöne Volk der Kariben bewohnt heutzutage nur
einen kleinen Teil der Länder, die es vor der Entdeckung
von Amerika inne hatte. Durch die Greuel der Europäer
iſt dasſelbe auf den Antillen und auf den Küſten von Darien
völlig ausgerottet, wogegen es unter der Miſſionszucht in den
Provinzen Nueva Barcelona und Spaniſch-Guyana volk-
reiche Dörfer gegründet hat. Man kann, glaube ich, die Zahl
der Kariben, die in den Llanos von Piritu und am Carony
und Cuyuni wohnen, auf mehr als 35000 veranſchlagen.
Rechnete man dazu die unabhängigen Kariben, die weſtwärts
von den Gebirgen von Cayenne und Pacaraimo zwiſchen den
Quellen des Eſſequibo und des Rio Branco hauſen, ſo käme
vielleicht eine Geſamtzahl von 40000 Köpfen von einer,
mit anderen eingeborenen Stämmen nicht gemiſchten Raſſe

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[235/0243] aſiatiſchen Küſten herübergekommen? Auf den Niederungen von Südamerika trifft man, wie oben bemerkt, kaum ein paar künſtliche Hügel (cerros hechos a mano) an, nirgends Be- feſtigungen wie am Ohio. Auf einem ſehr großen Landſtrich, am unteren Orinoko wie am Caſſiquiare und zwiſchen den Quellen des Eſſequibo und Rio Branco, findet man indeſſen Granitfelſen, die mit ſymboliſchen Bildern bedeckt ſind. Dieſe Bildwerke weiſen darauf hin, daß die ausgeſtorbenen Ge- ſchlechter anderen Völkern angehörten, als die jetzt dieſe Länder bewohnen. Im Weſten, auf dem Rücken der Kordillere der Anden, erſcheinen die Geſchichte von Mexiko und die von Cundinamarca und Peru ganz unabhängig voneinander; aber auf den Niederungen gegen Oſten zeigt eine kriegeriſche Na- tion, die lange als die herrſchende aufgetreten, in den Geſichts- zügen und dem Körperbau Spuren fremder Abſtammung. Die Kariben haben noch Sagen, die auf einen Verkehr zwiſchen beiden Hälften Amerikas in alter Zeit hinzudeuten ſcheinen. Eine ſolche Erſcheinung verdient ganz beſondere Aufmerkſam- keit; ſie verdient ſolche, wie tief auch die Verſunkenheit und die Barbarei ſein mag, in der die Europäer am Ende des 15. Jahrhunderts alle Völker des neuen Kontinents mit Aus- nahme der Gebirgsvölker antrafen. Wenn es wahr iſt, daß die meiſten Wilden, wie ihre Sprachen, ihre kosmogoniſchen Mythen und ſo viele andere Merkmale darzuthun ſcheinen, nur verwilderte Geſchlechter ſind, Trümmer, die einem großen gemeinſamen Schiffbruch entgangen, ſo wird es doppelt von Wichtigkeit, zu unterſuchen, auf welchen Wegen dieſe Trüm- mer aus einer Halbkugel in die andere geworfen worden ſind. Das ſchöne Volk der Kariben bewohnt heutzutage nur einen kleinen Teil der Länder, die es vor der Entdeckung von Amerika inne hatte. Durch die Greuel der Europäer iſt dasſelbe auf den Antillen und auf den Küſten von Darien völlig ausgerottet, wogegen es unter der Miſſionszucht in den Provinzen Nueva Barcelona und Spaniſch-Guyana volk- reiche Dörfer gegründet hat. Man kann, glaube ich, die Zahl der Kariben, die in den Llanos von Piritu und am Carony und Cuyuni wohnen, auf mehr als 35000 veranſchlagen. Rechnete man dazu die unabhängigen Kariben, die weſtwärts von den Gebirgen von Cayenne und Pacaraimo zwiſchen den Quellen des Eſſequibo und des Rio Branco hauſen, ſo käme vielleicht eine Geſamtzahl von 40000 Köpfen von einer, mit anderen eingeborenen Stämmen nicht gemiſchten Raſſe

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/243>, abgerufen am 23.11.2024.