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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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fallend ist, wir haben sie 1170 km weiter gegen Süd mitten
in den Wäldern am oberen Orinoko, auf den Grasfluren um
den Granitgipfel des Duida angetroffen. Der Baum hing in
dieser Jahreszeit voll ungeheurer Büschel roter, den Tannen-
zapfen ähnlicher Früchte. Unsere Affen waren sehr lüstern
nach diesen Früchten, deren gelbes Fleisch schmeckt wie über-
reife Aepfel. Die Tiere saßen zwischen unserem Gepäck auf
dem Rücken der Maultiere und strengten sich gewaltig an,
um der über ihren Köpfen hängenden Büschel habhaft zu
werden. Die Ebene schwankte wellenförmig infolge der Luft-
spiegelung, und als wir nach einer Stunde Wegs diese Palm-
stämme, die sich am Horizont wie Masten ausnahmen, er-
reichten, sahen wir mit Ueberraschung, wie viele Dinge an
das Dasein eines einzigen Gewächses geknüpft sind. Die
Winde, vom Laub und den Zweigen im raschen Zuge aufge-
halten, häufen den Sand um den Stamm auf. Der Geruch
der Früchte, das glänzende Grün locken von weitem die Zug-
vögel her, die sich gern auf den Wedeln der Palme wiegen.
Ringsum vernimmt man ein leises Rauschen. Niedergedrückt
von der Hitze, gewöhnt an die trübselige Stille der Steppe,
meint man gleich einige Kühlung zu spüren, wenn sich das
Laub auch nur ein wenig rührt. Untersucht man den Boden
an der Seite abwärts vom Winde, so findet man ihn noch
lange nach der Regenzeit feucht. Insekten und Würmer, 1
sonst in den Lanos so selten, ziehen sich hierher und pflanzen
sich fort. So verbreitet ein einzeln stehender, häufig ver-
krüppelter Baum, den der Reisende in den Wäldern am Ori-
noko gar nicht beachtete, in der Wüste Leben um sich her.

Wir langten am 13. Juli im Dorfe Cari 2 an, der
ersten der karibischen Missionen, die unter den Mönchen
von der Kongregation der Observanten aus dem Kollegium von
Piritu 3 stehen. Wir wohnten, wie gewöhnlich, im Kloster, das

1 Zu welcher Gattung gehören die Würmer (arabisch Loul),
welche Kapitän Lyon, der Reisebegleiter meines mutigen unglücklichen
Freundes Ritchie, in der Wüste Fezzan in Lachen gefunden, die von
den Arabern gegessen werden und wie Kaviar schmecken? Sollten
es nicht Insekteneier sein, ähnlich dem Aguautle, den ich in
Mexiko auf dem Markte habe verkaufen sehen, und der an der
Oberfläche des Sees Tezcuco gefischt wird?
2 Nuestra Sennora del Socorro del Cari, gegründet im
Jahre 1761.
3 Diese Missionäre nennen sich Padres Misioneros Ob-

fallend iſt, wir haben ſie 1170 km weiter gegen Süd mitten
in den Wäldern am oberen Orinoko, auf den Grasfluren um
den Granitgipfel des Duida angetroffen. Der Baum hing in
dieſer Jahreszeit voll ungeheurer Büſchel roter, den Tannen-
zapfen ähnlicher Früchte. Unſere Affen waren ſehr lüſtern
nach dieſen Früchten, deren gelbes Fleiſch ſchmeckt wie über-
reife Aepfel. Die Tiere ſaßen zwiſchen unſerem Gepäck auf
dem Rücken der Maultiere und ſtrengten ſich gewaltig an,
um der über ihren Köpfen hängenden Büſchel habhaft zu
werden. Die Ebene ſchwankte wellenförmig infolge der Luft-
ſpiegelung, und als wir nach einer Stunde Wegs dieſe Palm-
ſtämme, die ſich am Horizont wie Maſten ausnahmen, er-
reichten, ſahen wir mit Ueberraſchung, wie viele Dinge an
das Daſein eines einzigen Gewächſes geknüpft ſind. Die
Winde, vom Laub und den Zweigen im raſchen Zuge aufge-
halten, häufen den Sand um den Stamm auf. Der Geruch
der Früchte, das glänzende Grün locken von weitem die Zug-
vögel her, die ſich gern auf den Wedeln der Palme wiegen.
Ringsum vernimmt man ein leiſes Rauſchen. Niedergedrückt
von der Hitze, gewöhnt an die trübſelige Stille der Steppe,
meint man gleich einige Kühlung zu ſpüren, wenn ſich das
Laub auch nur ein wenig rührt. Unterſucht man den Boden
an der Seite abwärts vom Winde, ſo findet man ihn noch
lange nach der Regenzeit feucht. Inſekten und Würmer, 1
ſonſt in den Lanos ſo ſelten, ziehen ſich hierher und pflanzen
ſich fort. So verbreitet ein einzeln ſtehender, häufig ver-
krüppelter Baum, den der Reiſende in den Wäldern am Ori-
noko gar nicht beachtete, in der Wüſte Leben um ſich her.

Wir langten am 13. Juli im Dorfe Cari 2 an, der
erſten der karibiſchen Miſſionen, die unter den Mönchen
von der Kongregation der Obſervanten aus dem Kollegium von
Piritu 3 ſtehen. Wir wohnten, wie gewöhnlich, im Kloſter, das

1 Zu welcher Gattung gehören die Würmer (arabiſch Loul),
welche Kapitän Lyon, der Reiſebegleiter meines mutigen unglücklichen
Freundes Ritchie, in der Wüſte Fezzan in Lachen gefunden, die von
den Arabern gegeſſen werden und wie Kaviar ſchmecken? Sollten
es nicht Inſekteneier ſein, ähnlich dem Aguautle, den ich in
Mexiko auf dem Markte habe verkaufen ſehen, und der an der
Oberfläche des Sees Tezcuco gefiſcht wird?
2 Nuestra Señora del Socorro del Cari, gegründet im
Jahre 1761.
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[230/0238] fallend iſt, wir haben ſie 1170 km weiter gegen Süd mitten in den Wäldern am oberen Orinoko, auf den Grasfluren um den Granitgipfel des Duida angetroffen. Der Baum hing in dieſer Jahreszeit voll ungeheurer Büſchel roter, den Tannen- zapfen ähnlicher Früchte. Unſere Affen waren ſehr lüſtern nach dieſen Früchten, deren gelbes Fleiſch ſchmeckt wie über- reife Aepfel. Die Tiere ſaßen zwiſchen unſerem Gepäck auf dem Rücken der Maultiere und ſtrengten ſich gewaltig an, um der über ihren Köpfen hängenden Büſchel habhaft zu werden. Die Ebene ſchwankte wellenförmig infolge der Luft- ſpiegelung, und als wir nach einer Stunde Wegs dieſe Palm- ſtämme, die ſich am Horizont wie Maſten ausnahmen, er- reichten, ſahen wir mit Ueberraſchung, wie viele Dinge an das Daſein eines einzigen Gewächſes geknüpft ſind. Die Winde, vom Laub und den Zweigen im raſchen Zuge aufge- halten, häufen den Sand um den Stamm auf. Der Geruch der Früchte, das glänzende Grün locken von weitem die Zug- vögel her, die ſich gern auf den Wedeln der Palme wiegen. Ringsum vernimmt man ein leiſes Rauſchen. Niedergedrückt von der Hitze, gewöhnt an die trübſelige Stille der Steppe, meint man gleich einige Kühlung zu ſpüren, wenn ſich das Laub auch nur ein wenig rührt. Unterſucht man den Boden an der Seite abwärts vom Winde, ſo findet man ihn noch lange nach der Regenzeit feucht. Inſekten und Würmer, 1 ſonſt in den Lanos ſo ſelten, ziehen ſich hierher und pflanzen ſich fort. So verbreitet ein einzeln ſtehender, häufig ver- krüppelter Baum, den der Reiſende in den Wäldern am Ori- noko gar nicht beachtete, in der Wüſte Leben um ſich her. Wir langten am 13. Juli im Dorfe Cari 2 an, der erſten der karibiſchen Miſſionen, die unter den Mönchen von der Kongregation der Obſervanten aus dem Kollegium von Piritu 3 ſtehen. Wir wohnten, wie gewöhnlich, im Kloſter, das 1 Zu welcher Gattung gehören die Würmer (arabiſch Loul), welche Kapitän Lyon, der Reiſebegleiter meines mutigen unglücklichen Freundes Ritchie, in der Wüſte Fezzan in Lachen gefunden, die von den Arabern gegeſſen werden und wie Kaviar ſchmecken? Sollten es nicht Inſekteneier ſein, ähnlich dem Aguautle, den ich in Mexiko auf dem Markte habe verkaufen ſehen, und der an der Oberfläche des Sees Tezcuco gefiſcht wird? 2 Nuestra Señora del Socorro del Cari, gegründet im Jahre 1761. 3 Dieſe Miſſionäre nennen ſich Padres Misioneros Ob-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/238>, abgerufen am 24.11.2024.