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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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und einem anderen Alpsee, von La Cruz Laguna Cavija
genannt, entspringt. Da See maypurisch Cavia heißt, so
bedeutet das Wort Laguna Cavia, wie Laguna Parime,
nichts als Wasserbecken, laguna de agua. Diese seltsame
Flußzeichnung ist nun das Vorbild für fast alle neueren Karten
von Guyana geworden. Ein Mißverständnis, das aus der
Unkenntnis des Spanischen entsprang, hat der Karte des La
Cruz, auf der richtige Angaben mit systematischen, den alten
Karten entnommenen Vorstellungen vermengt sind, vollends
großes Ansehen verschafft. Eine punktierte Linie umgibt den
Landstrich, über den Solano einige Erkundigung hatte ein-
ziehen können; diese Linie hielt man für den von Solano
zurückgelegten Weg
, so daß dieser das südwestliche Ende
des Weißen Meeres gesehen haben müßte. Auf der Karte
des La Cruz steht geschrieben: "Dieser Weg bezeichnet, was
vom Statthalter von Caracas, Don Jose Solano, entdeckt
und zur Ruhe gebracht worden ist." Nun weiß man aber
in den Missionen, daß Solano nie über San Fernando de
Atabapo hinausgekommen ist, daß er den Orinoko ostwärts
vom Einflusse des Guaviare gar nicht gesehen und daß er
seine Nachrichten über diese Länder nur von gemeinen Sol-
daten haben konnte, die der Sprachen der Eingeborenen un-
kundig waren. Das Werk des Pater Caulin, der ja der
Geschichtschreiber der Expedition war, das Zeugnis Don Apo-
linarios Diaz de la Fuente und Santos' Reise thun zur Ge-
nüge dar, daß nie ein Mensch das Weiße Meer des La Cruz
gesehen hat, das, wie aus den Namen der sich darein er-
gießenden Flüsse hervorgeht, nichts ist als eine eingebildete
Ausbreitung des westlichen Zweigs des Rio Branco oberhalb
des Einflusses des Tacutu und des Uraricuera oder Rio Pa-
rime. Ließe man aber auch Angaben gelten, deren Unrichtig-
keit jetzt zur Genüge dargethan ist, so sähe man nach all-
gemein anerkannten hydrographischen Grundsätzen nicht ein,
mit welchem Recht der See Ipava die Quelle des Orinoko
heißen könnte. Wenn ein Fluß in einen See fällt und von
diesem selben Wasserbecken drei andere abgehen, so weiß man
nicht, welchem von diesen man den Namen des ersteren bei-
legen soll. Noch viel weniger ist es zu rechtfertigen, wenn
der Geograph denselben Namen einem Flusse läßt, dessen
Quelle durch eine hohe Bergkette vom See getrennt ist und
der durch Durchsickerung unterirdisch entstan den sein soll.

Vier Jahre nach der großen Karte von La Cruz Olmedilla

und einem anderen Alpſee, von La Cruz Laguna Cavija
genannt, entſpringt. Da See maypuriſch Cavia heißt, ſo
bedeutet das Wort Laguna Cavia, wie Laguna Parime,
nichts als Waſſerbecken, laguna de agua. Dieſe ſeltſame
Flußzeichnung iſt nun das Vorbild für faſt alle neueren Karten
von Guyana geworden. Ein Mißverſtändnis, das aus der
Unkenntnis des Spaniſchen entſprang, hat der Karte des La
Cruz, auf der richtige Angaben mit ſyſtematiſchen, den alten
Karten entnommenen Vorſtellungen vermengt ſind, vollends
großes Anſehen verſchafft. Eine punktierte Linie umgibt den
Landſtrich, über den Solano einige Erkundigung hatte ein-
ziehen können; dieſe Linie hielt man für den von Solano
zurückgelegten Weg
, ſo daß dieſer das ſüdweſtliche Ende
des Weißen Meeres geſehen haben müßte. Auf der Karte
des La Cruz ſteht geſchrieben: „Dieſer Weg bezeichnet, was
vom Statthalter von Caracas, Don Joſe Solano, entdeckt
und zur Ruhe gebracht worden iſt.“ Nun weiß man aber
in den Miſſionen, daß Solano nie über San Fernando de
Atabapo hinausgekommen iſt, daß er den Orinoko oſtwärts
vom Einfluſſe des Guaviare gar nicht geſehen und daß er
ſeine Nachrichten über dieſe Länder nur von gemeinen Sol-
daten haben konnte, die der Sprachen der Eingeborenen un-
kundig waren. Das Werk des Pater Caulin, der ja der
Geſchichtſchreiber der Expedition war, das Zeugnis Don Apo-
linarios Diaz de la Fuente und Santos’ Reiſe thun zur Ge-
nüge dar, daß nie ein Menſch das Weiße Meer des La Cruz
geſehen hat, das, wie aus den Namen der ſich darein er-
gießenden Flüſſe hervorgeht, nichts iſt als eine eingebildete
Ausbreitung des weſtlichen Zweigs des Rio Branco oberhalb
des Einfluſſes des Tacutu und des Uraricuera oder Rio Pa-
rime. Ließe man aber auch Angaben gelten, deren Unrichtig-
keit jetzt zur Genüge dargethan iſt, ſo ſähe man nach all-
gemein anerkannten hydrographiſchen Grundſätzen nicht ein,
mit welchem Recht der See Ipava die Quelle des Orinoko
heißen könnte. Wenn ein Fluß in einen See fällt und von
dieſem ſelben Waſſerbecken drei andere abgehen, ſo weiß man
nicht, welchem von dieſen man den Namen des erſteren bei-
legen ſoll. Noch viel weniger iſt es zu rechtfertigen, wenn
der Geograph denſelben Namen einem Fluſſe läßt, deſſen
Quelle durch eine hohe Bergkette vom See getrennt iſt und
der durch Durchſickerung unterirdiſch entſtan den ſein ſoll.

Vier Jahre nach der großen Karte von La Cruz Olmedilla

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[218/0226] und einem anderen Alpſee, von La Cruz Laguna Cavija genannt, entſpringt. Da See maypuriſch Cavia heißt, ſo bedeutet das Wort Laguna Cavia, wie Laguna Parime, nichts als Waſſerbecken, laguna de agua. Dieſe ſeltſame Flußzeichnung iſt nun das Vorbild für faſt alle neueren Karten von Guyana geworden. Ein Mißverſtändnis, das aus der Unkenntnis des Spaniſchen entſprang, hat der Karte des La Cruz, auf der richtige Angaben mit ſyſtematiſchen, den alten Karten entnommenen Vorſtellungen vermengt ſind, vollends großes Anſehen verſchafft. Eine punktierte Linie umgibt den Landſtrich, über den Solano einige Erkundigung hatte ein- ziehen können; dieſe Linie hielt man für den von Solano zurückgelegten Weg, ſo daß dieſer das ſüdweſtliche Ende des Weißen Meeres geſehen haben müßte. Auf der Karte des La Cruz ſteht geſchrieben: „Dieſer Weg bezeichnet, was vom Statthalter von Caracas, Don Joſe Solano, entdeckt und zur Ruhe gebracht worden iſt.“ Nun weiß man aber in den Miſſionen, daß Solano nie über San Fernando de Atabapo hinausgekommen iſt, daß er den Orinoko oſtwärts vom Einfluſſe des Guaviare gar nicht geſehen und daß er ſeine Nachrichten über dieſe Länder nur von gemeinen Sol- daten haben konnte, die der Sprachen der Eingeborenen un- kundig waren. Das Werk des Pater Caulin, der ja der Geſchichtſchreiber der Expedition war, das Zeugnis Don Apo- linarios Diaz de la Fuente und Santos’ Reiſe thun zur Ge- nüge dar, daß nie ein Menſch das Weiße Meer des La Cruz geſehen hat, das, wie aus den Namen der ſich darein er- gießenden Flüſſe hervorgeht, nichts iſt als eine eingebildete Ausbreitung des weſtlichen Zweigs des Rio Branco oberhalb des Einfluſſes des Tacutu und des Uraricuera oder Rio Pa- rime. Ließe man aber auch Angaben gelten, deren Unrichtig- keit jetzt zur Genüge dargethan iſt, ſo ſähe man nach all- gemein anerkannten hydrographiſchen Grundſätzen nicht ein, mit welchem Recht der See Ipava die Quelle des Orinoko heißen könnte. Wenn ein Fluß in einen See fällt und von dieſem ſelben Waſſerbecken drei andere abgehen, ſo weiß man nicht, welchem von dieſen man den Namen des erſteren bei- legen ſoll. Noch viel weniger iſt es zu rechtfertigen, wenn der Geograph denſelben Namen einem Fluſſe läßt, deſſen Quelle durch eine hohe Bergkette vom See getrennt iſt und der durch Durchſickerung unterirdiſch entſtan den ſein ſoll. Vier Jahre nach der großen Karte von La Cruz Olmedilla

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/226>, abgerufen am 24.11.2024.