270 km befahren; er nennt aber nach den schwankenden An- gaben, die er zusammengebracht, die oberen Zuflüsse, den Cari, den Pao, den Apure (Capuri?), den Guarico (Voari?), den Meta, sogar "in der Provinz Baraguan den großen Wasserfall Athule (Atures), der aller weiteren Flußfahrt ein Ende macht". Trotz seiner Uebertreibungen, die sich für einen Staatsmann wenig ziemen, bieten Raleghs Berichte wichtiges Material zur Geschichte der Geographie. Der Orinoko ober- halb des Einflusses des Apure war damals den Europäern so wenig bekannt, als heutzutage der Lauf des Nigir unter- halb Segu. Man hatte die Namen verschiedener, weit ent- fernter Nebenflüsse vernommen, aber man wußte nicht, wo sie lagen; man zählte ihrer mehr auf, als wirklich sind, wenn derselbe Name, verschieden ausgesprochen oder vom Ohr un- richtig aufgefaßt, verschieden klang. Andere Irrtümer haben vielleicht ihre Quellen darin, daß dem spanischen Statthalter Antonio de Berrio wenig daran gelegen sein konnte, Ralegh richtige, genaue Notizen zu geben; letzterer beklagt sich auch über seinen Gefangenen "als einen Menschen ohne Bildung, der Ost und West nicht zu unterscheiden wisse". Ob Ralegh an alles, was er vorbringt, an die Binnenmeere, so groß wie das Kaspische Meer, an die kaiserliche Stadt Manoa (imperial and golden city), an die prächtigen Paläste, welche der "Kaiser Inga von Guayana" nach dem Vorbild seiner perua- nischen Ahnen erbaut, -- ob er an all das wirklich geglaubt oder sich nur so angestellt, das will ich hier nicht untersuchen. Der gelehrte Geschichtschreiber von Brasilien, Southey, und der Biograph Raleghs, Cayley, haben in neuester Zeit viel Licht über diesen Punkt verbreitet. Daß der Führer der Ex- pedition und die unter ihm Befehlenden ungemein leichtgläubig waren, ist schwerlich zu bezweifeln. Man sieht, Ralegh paßte alles von vornherein angenommenen Voraussetzungen an. Sicher war er selbst getäuscht, wenn es aber galt, die Phan- tasie der Königin Elisabeth zu erhitzen und die Plane seiner ehrgeizigen Politik durchzuführen, so ließ er keinen Kunstgriff der Schmeichelei unversucht. Er schildert der Königin "das Entzücken der barbarischen Völker beim Anblick ihres Bild- nisses; der Name der erhabenen Jungfrau, welche sich Reiche zu unterwerfen weiß, soll bis zum Lande der kriegerischen Weiber am Orinoko und Amazonenstrom dringen; er ver- sichert, als die Spanier den Thron von Cuzco umgestoßen, habe man eine alte Prophezeiung gefunden, der zufolge die
270 km befahren; er nennt aber nach den ſchwankenden An- gaben, die er zuſammengebracht, die oberen Zuflüſſe, den Cari, den Pao, den Apure (Capuri?), den Guarico (Voari?), den Meta, ſogar „in der Provinz Baraguan den großen Waſſerfall Athule (Atures), der aller weiteren Flußfahrt ein Ende macht“. Trotz ſeiner Uebertreibungen, die ſich für einen Staatsmann wenig ziemen, bieten Raleghs Berichte wichtiges Material zur Geſchichte der Geographie. Der Orinoko ober- halb des Einfluſſes des Apure war damals den Europäern ſo wenig bekannt, als heutzutage der Lauf des Nigir unter- halb Segu. Man hatte die Namen verſchiedener, weit ent- fernter Nebenflüſſe vernommen, aber man wußte nicht, wo ſie lagen; man zählte ihrer mehr auf, als wirklich ſind, wenn derſelbe Name, verſchieden ausgeſprochen oder vom Ohr un- richtig aufgefaßt, verſchieden klang. Andere Irrtümer haben vielleicht ihre Quellen darin, daß dem ſpaniſchen Statthalter Antonio de Berrio wenig daran gelegen ſein konnte, Ralegh richtige, genaue Notizen zu geben; letzterer beklagt ſich auch über ſeinen Gefangenen „als einen Menſchen ohne Bildung, der Oſt und Weſt nicht zu unterſcheiden wiſſe“. Ob Ralegh an alles, was er vorbringt, an die Binnenmeere, ſo groß wie das Kaſpiſche Meer, an die kaiſerliche Stadt Manoa (imperial and golden city), an die prächtigen Paläſte, welche der „Kaiſer Inga von Guayana“ nach dem Vorbild ſeiner perua- niſchen Ahnen erbaut, — ob er an all das wirklich geglaubt oder ſich nur ſo angeſtellt, das will ich hier nicht unterſuchen. Der gelehrte Geſchichtſchreiber von Braſilien, Southey, und der Biograph Raleghs, Cayley, haben in neueſter Zeit viel Licht über dieſen Punkt verbreitet. Daß der Führer der Ex- pedition und die unter ihm Befehlenden ungemein leichtgläubig waren, iſt ſchwerlich zu bezweifeln. Man ſieht, Ralegh paßte alles von vornherein angenommenen Vorausſetzungen an. Sicher war er ſelbſt getäuſcht, wenn es aber galt, die Phan- taſie der Königin Eliſabeth zu erhitzen und die Plane ſeiner ehrgeizigen Politik durchzuführen, ſo ließ er keinen Kunſtgriff der Schmeichelei unverſucht. Er ſchildert der Königin „das Entzücken der barbariſchen Völker beim Anblick ihres Bild- niſſes; der Name der erhabenen Jungfrau, welche ſich Reiche zu unterwerfen weiß, ſoll bis zum Lande der kriegeriſchen Weiber am Orinoko und Amazonenſtrom dringen; er ver- ſichert, als die Spanier den Thron von Cuzco umgeſtoßen, habe man eine alte Prophezeiung gefunden, der zufolge die
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270 km befahren; er nennt aber nach den ſchwankenden An-
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Cari, den Pao, den Apure (Capuri?), den Guarico (Voari?),
den Meta, ſogar „in der Provinz Baraguan den großen
Waſſerfall Athule (Atures), der aller weiteren Flußfahrt ein
Ende macht“. Trotz ſeiner Uebertreibungen, die ſich für einen
Staatsmann wenig ziemen, bieten Raleghs Berichte wichtiges
Material zur Geſchichte der Geographie. Der Orinoko ober-
halb des Einfluſſes des Apure war damals den Europäern
ſo wenig bekannt, als heutzutage der Lauf des Nigir unter-
halb Segu. Man hatte die Namen verſchiedener, weit ent-
fernter Nebenflüſſe vernommen, aber man wußte nicht, wo
ſie lagen; man zählte ihrer mehr auf, als wirklich ſind, wenn
derſelbe Name, verſchieden ausgeſprochen oder vom Ohr un-
richtig aufgefaßt, verſchieden klang. Andere Irrtümer haben
vielleicht ihre Quellen darin, daß dem ſpaniſchen Statthalter
Antonio de Berrio wenig daran gelegen ſein konnte, Ralegh
richtige, genaue Notizen zu geben; letzterer beklagt ſich auch
über ſeinen Gefangenen „als einen Menſchen ohne Bildung,
der Oſt und Weſt nicht zu unterſcheiden wiſſe“. Ob Ralegh
an alles, was er vorbringt, an die Binnenmeere, ſo groß wie
das Kaſpiſche Meer, an die kaiſerliche Stadt Manoa (imperial
and golden city), an die prächtigen Paläſte, welche der
„Kaiſer Inga von Guayana“ nach dem Vorbild ſeiner perua-
niſchen Ahnen erbaut, — ob er an all das wirklich geglaubt
oder ſich nur ſo angeſtellt, das will ich hier nicht unterſuchen.
Der gelehrte Geſchichtſchreiber von Braſilien, Southey, und
der Biograph Raleghs, Cayley, haben in neueſter Zeit viel
Licht über dieſen Punkt verbreitet. Daß der Führer der Ex-
pedition und die unter ihm Befehlenden ungemein leichtgläubig
waren, iſt ſchwerlich zu bezweifeln. Man ſieht, Ralegh paßte
alles von vornherein angenommenen Vorausſetzungen an.
Sicher war er ſelbſt getäuſcht, wenn es aber galt, die Phan-
taſie der Königin Eliſabeth zu erhitzen und die Plane ſeiner
ehrgeizigen Politik durchzuführen, ſo ließ er keinen Kunſtgriff
der Schmeichelei unverſucht. Er ſchildert der Königin „das
Entzücken der barbariſchen Völker beim Anblick ihres Bild-
niſſes; der Name der erhabenen Jungfrau, welche ſich Reiche
zu unterwerfen weiß, ſoll bis zum Lande der kriegeriſchen
Weiber am Orinoko und Amazonenſtrom dringen; er ver-
ſichert, als die Spanier den Thron von Cuzco umgeſtoßen,
habe man eine alte Prophezeiung gefunden, der zufolge die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/220>, abgerufen am 27.11.2024.
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