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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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nicht mehr, und feindliche Schiffe, welche nie diese Striche
befahren haben, finden an den Guaraunen willige, geübte
Wegweiser. Die Civilisierung dieser Völkerschaft, deren Wohn-
sitze sich zum Orinoko verhalten wie die der Nhengahyba
oder Igaruana zum Amazonenstrome, ist für jede Regierung,
die am Orinoko Herr bleiben will, von großem Belange.

Ebbe und Flut sind im April, beim tiefsten Wasserstande,
bis über Angostura hinauf zu spüren, also mehr als 382 km land-
einwärts. Beim Einflusse des Carony, 270 km von der Küste,
steigt das Wasser durch Stauung um 40 cm. Diese Schwin-
gungen der Wasserfläche, diese Unterbrechung des Laufes sind
nicht mit der aufsteigenden Flut zu verwechseln. Bei der
großen Mündung des Orinoko am Kap Barima beträgt die
Fluthöhe 60 bis 92 cm, dagegen weiter gegen Nordwest, im
Golfo triste, zwischen der Boca Pedernales, dem Rio Guara-
piche und der Westküste von Trinidad, 2,2 bis 2,8, sogar
9,75 m. So viel macht auf einer Strecke von 135 bis 180 km
der Einfluß des Umrisses der Küsten aus, sowie der Umstand,
daß die Gewässer durch die Bocas de Dragos langsamer ab-
fließen. Wenn man in ganz neuen Werken angegeben findet,
der Orinoko verursache 2 bis 3° in die hohe See hinaus be-
sondere Strömungen, die Farbe des Seewassers verändere
sich dadurch und im Golfo triste sei süßes Wasser (Gumillas
Mar dulce), so sind das lauter Fabeln. Die Strömung geht
an dieser ganzen Küste vom Kap Orange an nach Nordwest,
und der Einfluß der süßen Gewässer des Orinoko auf die
Stärke dieser allgemeinen Strömung, auf die Durchsichtigkeit
und die Farbe des Meerwassers bei reflektiertem Lichte ist
selten weiter als 13 bis 18 km nordostwärts von der Insel
Cangrejos zu spüren. Das Wasser im Golfo triste ist gesalzen,
nur weniger als im übrigen Meere der Antillen wegen
der kleinen Mündungen des Orinokodeltas und der Wasser-
masse, welche der Rio Guarapiche hereinbringt. Aus den-
selben Gründen gibt es keine Salzwerke an diesen Küsten,
und ich habe in Angostura Schiffe aus Cadiz ankommen sehen,
die Salz, ja, was für die Industrie in den Kolonieen be-
zeichnend ist, Backsteine zum Bau der Hauptkirche geladen
hatten.

Den Umstand, daß die unbedeutende Flut an der Küste
im Bette des Orinoko und des Amazonenstromes so ungemein
weit aufwärts zu spüren ist, hat man bis jetzt als einen
sicheren Beweis angesehen, daß beide Ströme auf einer Strecke

nicht mehr, und feindliche Schiffe, welche nie dieſe Striche
befahren haben, finden an den Guaraunen willige, geübte
Wegweiſer. Die Civiliſierung dieſer Völkerſchaft, deren Wohn-
ſitze ſich zum Orinoko verhalten wie die der Nhengahyba
oder Igaruana zum Amazonenſtrome, iſt für jede Regierung,
die am Orinoko Herr bleiben will, von großem Belange.

Ebbe und Flut ſind im April, beim tiefſten Waſſerſtande,
bis über Angoſtura hinauf zu ſpüren, alſo mehr als 382 km land-
einwärts. Beim Einfluſſe des Carony, 270 km von der Küſte,
ſteigt das Waſſer durch Stauung um 40 cm. Dieſe Schwin-
gungen der Waſſerfläche, dieſe Unterbrechung des Laufes ſind
nicht mit der aufſteigenden Flut zu verwechſeln. Bei der
großen Mündung des Orinoko am Kap Barima beträgt die
Fluthöhe 60 bis 92 cm, dagegen weiter gegen Nordweſt, im
Golfo triste, zwiſchen der Boca Pedernales, dem Rio Guara-
piche und der Weſtküſte von Trinidad, 2,2 bis 2,8, ſogar
9,75 m. So viel macht auf einer Strecke von 135 bis 180 km
der Einfluß des Umriſſes der Küſten aus, ſowie der Umſtand,
daß die Gewäſſer durch die Bocas de Dragos langſamer ab-
fließen. Wenn man in ganz neuen Werken angegeben findet,
der Orinoko verurſache 2 bis 3° in die hohe See hinaus be-
ſondere Strömungen, die Farbe des Seewaſſers verändere
ſich dadurch und im Golfo triste ſei ſüßes Waſſer (Gumillas
Mar dulce), ſo ſind das lauter Fabeln. Die Strömung geht
an dieſer ganzen Küſte vom Kap Orange an nach Nordweſt,
und der Einfluß der ſüßen Gewäſſer des Orinoko auf die
Stärke dieſer allgemeinen Strömung, auf die Durchſichtigkeit
und die Farbe des Meerwaſſers bei reflektiertem Lichte iſt
ſelten weiter als 13 bis 18 km nordoſtwärts von der Inſel
Cangrejos zu ſpüren. Das Waſſer im Golfo triste iſt geſalzen,
nur weniger als im übrigen Meere der Antillen wegen
der kleinen Mündungen des Orinokodeltas und der Waſſer-
maſſe, welche der Rio Guarapiche hereinbringt. Aus den-
ſelben Gründen gibt es keine Salzwerke an dieſen Küſten,
und ich habe in Angoſtura Schiffe aus Cadiz ankommen ſehen,
die Salz, ja, was für die Induſtrie in den Kolonieen be-
zeichnend iſt, Backſteine zum Bau der Hauptkirche geladen
hatten.

Den Umſtand, daß die unbedeutende Flut an der Küſte
im Bette des Orinoko und des Amazonenſtromes ſo ungemein
weit aufwärts zu ſpüren iſt, hat man bis jetzt als einen
ſicheren Beweis angeſehen, daß beide Ströme auf einer Strecke

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[169/0177] nicht mehr, und feindliche Schiffe, welche nie dieſe Striche befahren haben, finden an den Guaraunen willige, geübte Wegweiſer. Die Civiliſierung dieſer Völkerſchaft, deren Wohn- ſitze ſich zum Orinoko verhalten wie die der Nhengahyba oder Igaruana zum Amazonenſtrome, iſt für jede Regierung, die am Orinoko Herr bleiben will, von großem Belange. Ebbe und Flut ſind im April, beim tiefſten Waſſerſtande, bis über Angoſtura hinauf zu ſpüren, alſo mehr als 382 km land- einwärts. Beim Einfluſſe des Carony, 270 km von der Küſte, ſteigt das Waſſer durch Stauung um 40 cm. Dieſe Schwin- gungen der Waſſerfläche, dieſe Unterbrechung des Laufes ſind nicht mit der aufſteigenden Flut zu verwechſeln. Bei der großen Mündung des Orinoko am Kap Barima beträgt die Fluthöhe 60 bis 92 cm, dagegen weiter gegen Nordweſt, im Golfo triste, zwiſchen der Boca Pedernales, dem Rio Guara- piche und der Weſtküſte von Trinidad, 2,2 bis 2,8, ſogar 9,75 m. So viel macht auf einer Strecke von 135 bis 180 km der Einfluß des Umriſſes der Küſten aus, ſowie der Umſtand, daß die Gewäſſer durch die Bocas de Dragos langſamer ab- fließen. Wenn man in ganz neuen Werken angegeben findet, der Orinoko verurſache 2 bis 3° in die hohe See hinaus be- ſondere Strömungen, die Farbe des Seewaſſers verändere ſich dadurch und im Golfo triste ſei ſüßes Waſſer (Gumillas Mar dulce), ſo ſind das lauter Fabeln. Die Strömung geht an dieſer ganzen Küſte vom Kap Orange an nach Nordweſt, und der Einfluß der ſüßen Gewäſſer des Orinoko auf die Stärke dieſer allgemeinen Strömung, auf die Durchſichtigkeit und die Farbe des Meerwaſſers bei reflektiertem Lichte iſt ſelten weiter als 13 bis 18 km nordoſtwärts von der Inſel Cangrejos zu ſpüren. Das Waſſer im Golfo triste iſt geſalzen, nur weniger als im übrigen Meere der Antillen wegen der kleinen Mündungen des Orinokodeltas und der Waſſer- maſſe, welche der Rio Guarapiche hereinbringt. Aus den- ſelben Gründen gibt es keine Salzwerke an dieſen Küſten, und ich habe in Angoſtura Schiffe aus Cadiz ankommen ſehen, die Salz, ja, was für die Induſtrie in den Kolonieen be- zeichnend iſt, Backſteine zum Bau der Hauptkirche geladen hatten. Den Umſtand, daß die unbedeutende Flut an der Küſte im Bette des Orinoko und des Amazonenſtromes ſo ungemein weit aufwärts zu ſpüren iſt, hat man bis jetzt als einen ſicheren Beweis angeſehen, daß beide Ströme auf einer Strecke

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/177>, abgerufen am 22.11.2024.