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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Mutterlande. Die Einwohner beschränkten sich darauf, dürres
Fleisch und Tabak auf die Antillen und über den Rio Cayuni
in die holländische Provinz am Essequibo zu schmuggeln.
Man erhielt unmittelbar aus Spanien weder Wein, noch Oel,
noch Mehl, die drei gesuchtesten Einfuhrartikel. Im Jahre 1771
schickten einige Handelsleute die erste Goelette nach Cadiz,
und seitdem wurde der direkte Tauschhandel mit den anda-
lusischen und katalonischen Häfen sehr lebhaft. Seit 1785
nahm die Bevölkerung von Angostura, 1 nachdem sie lange sehr
zurückgeblieben war, stark zu, indessen war sie bei meinem
Aufenthalte in Guyana noch weit hinter der Bevölkerung der
nächsten englischen Stadt Stabrock zurück. Die Mündungen
des Orinoko haben etwas vor allen Häfen von Terra Firma
voraus: man verkehrt aus denselben am raschesten mit der
spanischen Halbinsel. Man fährt zuweilen von Cadiz zur
Punta Barima in 18 bis 20, und nach Europa zurück in
30 bis 35 Tagen. Da diese Mündungen unter dem Winde
aller Inseln liegen, so können die Schiffe von Angostura einen
vorteilhafteren Verkehr mit den Kolonieen auf den Antillen
unterhalten als Guayra und Porto Cabello. Die Handelsleute
in Caracas sehen daher auch immer mit eifersüchtigen Blicken
auf die Fortschritte der Industrie in Spanisch-Guyana, und
da Caracas bisher der höchste Regierungssitz war, so wurde
der Hafen von Angostura noch weniger begünstigt als die
Häfen von Cumana und Nueva Barcelona. Der innere Ver-
kehr ist am lebhaftesten mit der Provinz Varinas. Aus der-
selben kommen nach Angostura Maultiere, Kakao, Indigo,
Baumwolle und Zucker, und sie erhält dafür "Generos", das
heißt europäische Manufakturprodukte. Ich sah lange Fahr-
zeuge (Lanchas) abgehen, deren Ladung auf 8000 bis
10000 Piaster geschätzt wurde. Diese Fahrzeuge fahren zuerst
den Orinoko bis Cabruta, dann den Apure bis San Vicente,
endlich den Rio Santo Domingo bis Torunos hinauf, welches

1 Im Jahre 1768 hatte Angostura nur 500 Einwohner. Eine
im Jahre 1780 vorgenommene Zählung ergab 1513 (nämlich 455
Weiße, 449 Neger, 363 Mulatten und Zambos, 246 Indianer). Im
Jahre 1789 war die Bevölkerung auf 4590, und 1800 auf 6600
Seelen gestiegen. Der Hauptort der englischen Kolonie Deme-
rary, die Stadt Stabrock, liegt nur 225 km südostwärts von der
Mündung des Orinoko. Sie hat, nach Bolingbroke, gegen 10000
Einwohner.
A. v. Humboldt, Reise. IV. 11

Mutterlande. Die Einwohner beſchränkten ſich darauf, dürres
Fleiſch und Tabak auf die Antillen und über den Rio Cayuni
in die holländiſche Provinz am Eſſequibo zu ſchmuggeln.
Man erhielt unmittelbar aus Spanien weder Wein, noch Oel,
noch Mehl, die drei geſuchteſten Einfuhrartikel. Im Jahre 1771
ſchickten einige Handelsleute die erſte Goelette nach Cadiz,
und ſeitdem wurde der direkte Tauſchhandel mit den anda-
luſiſchen und kataloniſchen Häfen ſehr lebhaft. Seit 1785
nahm die Bevölkerung von Angoſtura, 1 nachdem ſie lange ſehr
zurückgeblieben war, ſtark zu, indeſſen war ſie bei meinem
Aufenthalte in Guyana noch weit hinter der Bevölkerung der
nächſten engliſchen Stadt Stabrock zurück. Die Mündungen
des Orinoko haben etwas vor allen Häfen von Terra Firma
voraus: man verkehrt aus denſelben am raſcheſten mit der
ſpaniſchen Halbinſel. Man fährt zuweilen von Cadiz zur
Punta Barima in 18 bis 20, und nach Europa zurück in
30 bis 35 Tagen. Da dieſe Mündungen unter dem Winde
aller Inſeln liegen, ſo können die Schiffe von Angoſtura einen
vorteilhafteren Verkehr mit den Kolonieen auf den Antillen
unterhalten als Guayra und Porto Cabello. Die Handelsleute
in Caracas ſehen daher auch immer mit eiferſüchtigen Blicken
auf die Fortſchritte der Induſtrie in Spaniſch-Guyana, und
da Caracas bisher der höchſte Regierungsſitz war, ſo wurde
der Hafen von Angoſtura noch weniger begünſtigt als die
Häfen von Cumana und Nueva Barcelona. Der innere Ver-
kehr iſt am lebhafteſten mit der Provinz Varinas. Aus der-
ſelben kommen nach Angoſtura Maultiere, Kakao, Indigo,
Baumwolle und Zucker, und ſie erhält dafür „Generos“, das
heißt europäiſche Manufakturprodukte. Ich ſah lange Fahr-
zeuge (Lanchas) abgehen, deren Ladung auf 8000 bis
10000 Piaſter geſchätzt wurde. Dieſe Fahrzeuge fahren zuerſt
den Orinoko bis Cabruta, dann den Apure bis San Vicente,
endlich den Rio Santo Domingo bis Torunos hinauf, welches

1 Im Jahre 1768 hatte Angoſtura nur 500 Einwohner. Eine
im Jahre 1780 vorgenommene Zählung ergab 1513 (nämlich 455
Weiße, 449 Neger, 363 Mulatten und Zambos, 246 Indianer). Im
Jahre 1789 war die Bevölkerung auf 4590, und 1800 auf 6600
Seelen geſtiegen. Der Hauptort der engliſchen Kolonie Deme-
rary, die Stadt Stabrock, liegt nur 225 km ſüdoſtwärts von der
Mündung des Orinoko. Sie hat, nach Bolingbroke, gegen 10000
Einwohner.
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[161/0169] Mutterlande. Die Einwohner beſchränkten ſich darauf, dürres Fleiſch und Tabak auf die Antillen und über den Rio Cayuni in die holländiſche Provinz am Eſſequibo zu ſchmuggeln. Man erhielt unmittelbar aus Spanien weder Wein, noch Oel, noch Mehl, die drei geſuchteſten Einfuhrartikel. Im Jahre 1771 ſchickten einige Handelsleute die erſte Goelette nach Cadiz, und ſeitdem wurde der direkte Tauſchhandel mit den anda- luſiſchen und kataloniſchen Häfen ſehr lebhaft. Seit 1785 nahm die Bevölkerung von Angoſtura, 1 nachdem ſie lange ſehr zurückgeblieben war, ſtark zu, indeſſen war ſie bei meinem Aufenthalte in Guyana noch weit hinter der Bevölkerung der nächſten engliſchen Stadt Stabrock zurück. Die Mündungen des Orinoko haben etwas vor allen Häfen von Terra Firma voraus: man verkehrt aus denſelben am raſcheſten mit der ſpaniſchen Halbinſel. Man fährt zuweilen von Cadiz zur Punta Barima in 18 bis 20, und nach Europa zurück in 30 bis 35 Tagen. Da dieſe Mündungen unter dem Winde aller Inſeln liegen, ſo können die Schiffe von Angoſtura einen vorteilhafteren Verkehr mit den Kolonieen auf den Antillen unterhalten als Guayra und Porto Cabello. Die Handelsleute in Caracas ſehen daher auch immer mit eiferſüchtigen Blicken auf die Fortſchritte der Induſtrie in Spaniſch-Guyana, und da Caracas bisher der höchſte Regierungsſitz war, ſo wurde der Hafen von Angoſtura noch weniger begünſtigt als die Häfen von Cumana und Nueva Barcelona. Der innere Ver- kehr iſt am lebhafteſten mit der Provinz Varinas. Aus der- ſelben kommen nach Angoſtura Maultiere, Kakao, Indigo, Baumwolle und Zucker, und ſie erhält dafür „Generos“, das heißt europäiſche Manufakturprodukte. Ich ſah lange Fahr- zeuge (Lanchas) abgehen, deren Ladung auf 8000 bis 10000 Piaſter geſchätzt wurde. Dieſe Fahrzeuge fahren zuerſt den Orinoko bis Cabruta, dann den Apure bis San Vicente, endlich den Rio Santo Domingo bis Torunos hinauf, welches 1 Im Jahre 1768 hatte Angoſtura nur 500 Einwohner. Eine im Jahre 1780 vorgenommene Zählung ergab 1513 (nämlich 455 Weiße, 449 Neger, 363 Mulatten und Zambos, 246 Indianer). Im Jahre 1789 war die Bevölkerung auf 4590, und 1800 auf 6600 Seelen geſtiegen. Der Hauptort der engliſchen Kolonie Deme- rary, die Stadt Stabrock, liegt nur 225 km ſüdoſtwärts von der Mündung des Orinoko. Sie hat, nach Bolingbroke, gegen 10000 Einwohner. A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 11

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/169>, abgerufen am 22.11.2024.