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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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es kommt vor, daß Unvorsichtige in der Stadt selbst den Kro-
kodilen zur Beute werden. Ich setze aus meinem Tagebuche
einen Fall her, der während Bonplands Krankheit vorge-
kommen. Ein Guaykari-Indianer von der Insel Margarita
wollte seine Piroge in einer Bucht anbinden, die nicht drei
Fuß tief war. Ein sehr wildes Krokodil, das immer in der
Gegend herumstrich, packte ihn beim Bein und schwamm vom
Ufer weg, wobei es an der Oberfläche blieb. Das Geschrei
des Indianers zog eine Menge Zuschauer herbei. Man sah,
wie der Unglückliche mit unerhörter Entschlossenheit zuerst ein
Messer in der Tasche seines Beinkleides suchte. Da er es
nicht fand, packte er den Kopf des Krokodils und stieß ihm
die Finger in die Augen. In den heißen Landstrichen Ame-
rikas ist es jedermann bekannt, daß dieses mit einem harten,
trockenen Schuppenpanzer bedeckte fleischfressende Reptil an
den wenigen weichen, nicht geschützten Körperteilen, wie an
den Augen, den Achselhöhlen, den Nasenlöchern und unterhalb
des Unterkiefers, wo zwei Bisamdrüsen sitzen, sehr empfindlich
ist. Der Guaykari ergriff das Mittel, durch das Mungo-
Parks Neger und das Mädchen in Uritucu, von denen oben
die Rede war, sich gerettet; aber er war nicht so glücklich
wie sie, und das Krokodil machte den Rachen nicht auf, um
seine Beute fahren zu lassen. Im Schmerz tauchte aber das
Tier unter, ertränkte den Indianer, erschien wieder auf der
Wasserfläche und schleppte den Leichnam auf eine Insel dem
Hafen gegenüber. Ich kam im Moment an Ort und Stelle,
wo viele Einwohner von Angostura das schreckliche Ereignis
mit angesehen hatten.

Da das Krokodil vermöge des Baues seines Kehlkopfes,
seines Zungenbeins und der Faltung seiner Zunge seine
Beute unter Wasser wohl packen, aber nicht verschlingen kann,
so verschwindet selten ein Mensch, ohne daß man ganz nahe
an der Stelle, wo das Unglück geschehen, nach ein paar Stun-
den das Tier zum Vorschein kommen und am nächsten Ufer
seine Beute verschlingen sieht. Weit mehr Menschen, als
man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Un-
vorsichtigkeit und der Gier der Reptilien. Es kommt beson-
ders in den Dörfern vor, deren Umgegend häufig überschwemmt
wird. Dieselben Krokodile halten sich lange am nämlichen
Orte auf. Sie werden von Jahr zu Jahr kecker, zumal, wie
die Indianer behaupten, wenn sie einmal Menschenfleisch ge-
kostet haben. Die Tiere sind so schlau, daß sie sehr schwer zu

es kommt vor, daß Unvorſichtige in der Stadt ſelbſt den Kro-
kodilen zur Beute werden. Ich ſetze aus meinem Tagebuche
einen Fall her, der während Bonplands Krankheit vorge-
kommen. Ein Guaykari-Indianer von der Inſel Margarita
wollte ſeine Piroge in einer Bucht anbinden, die nicht drei
Fuß tief war. Ein ſehr wildes Krokodil, das immer in der
Gegend herumſtrich, packte ihn beim Bein und ſchwamm vom
Ufer weg, wobei es an der Oberfläche blieb. Das Geſchrei
des Indianers zog eine Menge Zuſchauer herbei. Man ſah,
wie der Unglückliche mit unerhörter Entſchloſſenheit zuerſt ein
Meſſer in der Taſche ſeines Beinkleides ſuchte. Da er es
nicht fand, packte er den Kopf des Krokodils und ſtieß ihm
die Finger in die Augen. In den heißen Landſtrichen Ame-
rikas iſt es jedermann bekannt, daß dieſes mit einem harten,
trockenen Schuppenpanzer bedeckte fleiſchfreſſende Reptil an
den wenigen weichen, nicht geſchützten Körperteilen, wie an
den Augen, den Achſelhöhlen, den Naſenlöchern und unterhalb
des Unterkiefers, wo zwei Biſamdrüſen ſitzen, ſehr empfindlich
iſt. Der Guaykari ergriff das Mittel, durch das Mungo-
Parks Neger und das Mädchen in Uritucu, von denen oben
die Rede war, ſich gerettet; aber er war nicht ſo glücklich
wie ſie, und das Krokodil machte den Rachen nicht auf, um
ſeine Beute fahren zu laſſen. Im Schmerz tauchte aber das
Tier unter, ertränkte den Indianer, erſchien wieder auf der
Waſſerfläche und ſchleppte den Leichnam auf eine Inſel dem
Hafen gegenüber. Ich kam im Moment an Ort und Stelle,
wo viele Einwohner von Angoſtura das ſchreckliche Ereignis
mit angeſehen hatten.

Da das Krokodil vermöge des Baues ſeines Kehlkopfes,
ſeines Zungenbeins und der Faltung ſeiner Zunge ſeine
Beute unter Waſſer wohl packen, aber nicht verſchlingen kann,
ſo verſchwindet ſelten ein Menſch, ohne daß man ganz nahe
an der Stelle, wo das Unglück geſchehen, nach ein paar Stun-
den das Tier zum Vorſchein kommen und am nächſten Ufer
ſeine Beute verſchlingen ſieht. Weit mehr Menſchen, als
man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Un-
vorſichtigkeit und der Gier der Reptilien. Es kommt beſon-
ders in den Dörfern vor, deren Umgegend häufig überſchwemmt
wird. Dieſelben Krokodile halten ſich lange am nämlichen
Orte auf. Sie werden von Jahr zu Jahr kecker, zumal, wie
die Indianer behaupten, wenn ſie einmal Menſchenfleiſch ge-
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[154/0162] es kommt vor, daß Unvorſichtige in der Stadt ſelbſt den Kro- kodilen zur Beute werden. Ich ſetze aus meinem Tagebuche einen Fall her, der während Bonplands Krankheit vorge- kommen. Ein Guaykari-Indianer von der Inſel Margarita wollte ſeine Piroge in einer Bucht anbinden, die nicht drei Fuß tief war. Ein ſehr wildes Krokodil, das immer in der Gegend herumſtrich, packte ihn beim Bein und ſchwamm vom Ufer weg, wobei es an der Oberfläche blieb. Das Geſchrei des Indianers zog eine Menge Zuſchauer herbei. Man ſah, wie der Unglückliche mit unerhörter Entſchloſſenheit zuerſt ein Meſſer in der Taſche ſeines Beinkleides ſuchte. Da er es nicht fand, packte er den Kopf des Krokodils und ſtieß ihm die Finger in die Augen. In den heißen Landſtrichen Ame- rikas iſt es jedermann bekannt, daß dieſes mit einem harten, trockenen Schuppenpanzer bedeckte fleiſchfreſſende Reptil an den wenigen weichen, nicht geſchützten Körperteilen, wie an den Augen, den Achſelhöhlen, den Naſenlöchern und unterhalb des Unterkiefers, wo zwei Biſamdrüſen ſitzen, ſehr empfindlich iſt. Der Guaykari ergriff das Mittel, durch das Mungo- Parks Neger und das Mädchen in Uritucu, von denen oben die Rede war, ſich gerettet; aber er war nicht ſo glücklich wie ſie, und das Krokodil machte den Rachen nicht auf, um ſeine Beute fahren zu laſſen. Im Schmerz tauchte aber das Tier unter, ertränkte den Indianer, erſchien wieder auf der Waſſerfläche und ſchleppte den Leichnam auf eine Inſel dem Hafen gegenüber. Ich kam im Moment an Ort und Stelle, wo viele Einwohner von Angoſtura das ſchreckliche Ereignis mit angeſehen hatten. Da das Krokodil vermöge des Baues ſeines Kehlkopfes, ſeines Zungenbeins und der Faltung ſeiner Zunge ſeine Beute unter Waſſer wohl packen, aber nicht verſchlingen kann, ſo verſchwindet ſelten ein Menſch, ohne daß man ganz nahe an der Stelle, wo das Unglück geſchehen, nach ein paar Stun- den das Tier zum Vorſchein kommen und am nächſten Ufer ſeine Beute verſchlingen ſieht. Weit mehr Menſchen, als man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Un- vorſichtigkeit und der Gier der Reptilien. Es kommt beſon- ders in den Dörfern vor, deren Umgegend häufig überſchwemmt wird. Dieſelben Krokodile halten ſich lange am nämlichen Orte auf. Sie werden von Jahr zu Jahr kecker, zumal, wie die Indianer behaupten, wenn ſie einmal Menſchenfleiſch ge- koſtet haben. Die Tiere ſind ſo ſchlau, daß ſie ſehr ſchwer zu

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/162>, abgerufen am 22.11.2024.