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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Vogel ganz seltsame Gebärden. Die Mönche sagen, er mache
das Zeichen des Kreuzes über dem Wasser, und wegen dieses
Volksglaubens haben die Kreolen dem Tukan den sonderbaren
Namen Diostede (Gott vergelt's dir) geschöpft.

Unsere Tiere waren meist in kleinen Holzkäfigen, manche
liefen aber frei überall auf der Piroge herum. Wenn Regen
drohte, erhoben die Ara ein furchtbares Geschrei, und der
Tukan wollte ans Ufer, um Fische zu fangen, die kleinen
Titiaffen liefen Pater Zea zu und krochen in die ziemlich
weiten Aermel seiner Franziskanerkutte. Dergleichen Auftritte
kamen oft vor und wir vergaßen darüber der Plage der Mos-
kiten. Nachts im Biwak stellte man in die Mitte einen
ledernen Kasten (petaca) mit dem Mundvorrat, daneben unsere
Instrumente und die Käfige mit den Tieren, ringsum wurden
unsere Hängematten befestigt und weiterhin die der Indianer.
Die äußerste Grenze bildeten die Feuer, die man anzündet,
um die Jaguare im Walde ferne zu halten. So war unser
Nachtlager am Ufer des Cassiquiare angeordnet. Die Indianer
sprachen oft von einem kleinen Nachttier mit langer Nase,
das die jungen Papageien im Neste überfalle und mit den
Händen fresse wie die Affen und die Manaviri oder Kin-
kaju. Sie nannten es Guachi; es ist wahrscheinlich ein
Coati, vielleicht Viverra nasua, die ich in Mexiko im freien
Zustande gesehen, nicht aber in den Strichen von Südamerika,
die ich bereist. Die Missionäre verbieten den Eingeborenen
alles Ernstes, das Fleisch des Guachi zu essen, da sie einen
weit verbreiteten Glauben teilen und diesem Fleische stimulie-
rende Eigenschaften zuschreiben, wie die Orientalen dem Fleische
der Skinko (Lacerta scincus) und die Amerikaner dem der
Kaimane.

Am 11. Mai. Wir brachen ziemlich spät von der Mission
San Francisco Solano auf, da wir nur eine kleine Tagereise
machen wollten. Die untere Dunstschicht fing an, sich in
Wolken mit festen Umrissen zu teilen, und in den oberen
Luftregionen ging etwas Ostwind. Diese Zeichen deuteten
auf einen bevorstehenden Witterungswechsel, und wir wollten
uns nicht weit von der Mündung des Cassiquiare entfernen,
da wir hoffen durften, in der folgenden Nacht den Durchgang
eines Sternes durch den Meridian beobachten zu können. Wir
sahen südwärts den Canno Daquiapo, nordwärts den Guacha-
paru und einige Seemeilen weiterhin die Stromschnellen von
Cananivacari. Die Strömung betrug 2,05 m in der Sekunde,

Vogel ganz ſeltſame Gebärden. Die Mönche ſagen, er mache
das Zeichen des Kreuzes über dem Waſſer, und wegen dieſes
Volksglaubens haben die Kreolen dem Tukan den ſonderbaren
Namen Diostedè (Gott vergelt’s dir) geſchöpft.

Unſere Tiere waren meiſt in kleinen Holzkäfigen, manche
liefen aber frei überall auf der Piroge herum. Wenn Regen
drohte, erhoben die Ara ein furchtbares Geſchrei, und der
Tukan wollte ans Ufer, um Fiſche zu fangen, die kleinen
Titiaffen liefen Pater Zea zu und krochen in die ziemlich
weiten Aermel ſeiner Franziskanerkutte. Dergleichen Auftritte
kamen oft vor und wir vergaßen darüber der Plage der Mos-
kiten. Nachts im Biwak ſtellte man in die Mitte einen
ledernen Kaſten (petaca) mit dem Mundvorrat, daneben unſere
Inſtrumente und die Käfige mit den Tieren, ringsum wurden
unſere Hängematten befeſtigt und weiterhin die der Indianer.
Die äußerſte Grenze bildeten die Feuer, die man anzündet,
um die Jaguare im Walde ferne zu halten. So war unſer
Nachtlager am Ufer des Caſſiquiare angeordnet. Die Indianer
ſprachen oft von einem kleinen Nachttier mit langer Naſe,
das die jungen Papageien im Neſte überfalle und mit den
Händen freſſe wie die Affen und die Manaviri oder Kin-
kaju. Sie nannten es Guachi; es iſt wahrſcheinlich ein
Coati, vielleicht Viverra nasua, die ich in Mexiko im freien
Zuſtande geſehen, nicht aber in den Strichen von Südamerika,
die ich bereiſt. Die Miſſionäre verbieten den Eingeborenen
alles Ernſtes, das Fleiſch des Guachi zu eſſen, da ſie einen
weit verbreiteten Glauben teilen und dieſem Fleiſche ſtimulie-
rende Eigenſchaften zuſchreiben, wie die Orientalen dem Fleiſche
der Skinko (Lacerta scincus) und die Amerikaner dem der
Kaimane.

Am 11. Mai. Wir brachen ziemlich ſpät von der Miſſion
San Francisco Solano auf, da wir nur eine kleine Tagereiſe
machen wollten. Die untere Dunſtſchicht fing an, ſich in
Wolken mit feſten Umriſſen zu teilen, und in den oberen
Luftregionen ging etwas Oſtwind. Dieſe Zeichen deuteten
auf einen bevorſtehenden Witterungswechſel, und wir wollten
uns nicht weit von der Mündung des Caſſiquiare entfernen,
da wir hoffen durften, in der folgenden Nacht den Durchgang
eines Sternes durch den Meridian beobachten zu können. Wir
ſahen ſüdwärts den Caño Daquiapo, nordwärts den Guacha-
paru und einige Seemeilen weiterhin die Stromſchnellen von
Cananivacari. Die Strömung betrug 2,05 m in der Sekunde,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/16>, abgerufen am 24.11.2024.