(Extractum corticis Angosturae). Es ist dies ein Mittel, das die Kapuziner in den Missionen höchlich preisen. Das Fieber wurde darauf stärker, hörte aber gleich am anderen Tage auf. Bonplands Zustand war sehr bedenklich, und wir schwebten mehrere Wochen in der höchsten Besorgnis. Zum Glück behielt der Kranke Kraft genug, um sich selbst behan- deln zu können. Er nahm gelindere, seiner Konstitution an- gemessenere Mittel als die China vom Rio Carony. Das Fieber war anhaltend und wurde, wie fast immer unter den Tropen, durch eine Komplikation mit Ruhr noch gesteigert. Während der ganzen schmerzhaften Krankheit behielt Bonpland die Charakterstärke und die Sanftmut, die ihn auch in der schlimmsten Lage niemals verlassen haben. Mich ängstigten trübe Ahnungen. Der Botaniker Löffling, ein Schüler Linnes, war nicht weit von Angostura, am Ufer des Carony, ein Opfer seines Eifers für die Naturwissenschaft geworden. Wir hatten noch kein volles Jahr im heißen Erdstrich zuge- bracht, und mein nur zu treues Gedächtnis vergegenwärtigte mir alles, was ich in Europa über die Gefährlichkeit der Luft in den Wäldern gelesen hatte. Statt den Orinoko hinaufzu- fahren, hätten wir ein paar Monate im gemäßigten, gesunden Klima der Sierra Nevada von Merida zubringen können. Den Weg über die Flüsse hatte ich selbst gewählt, und in der Gefahr, in der mein Reisegefährte schwebte, erblickte ich die unselige Folge dieser unvorsichtigen Wahl.
Nachdem das Fieber in wenigen Tagen einen ungemeinen Grad von Heftigkeit erreicht hatte, nahm es einen weniger beunruhigenden Charakter an. Die Entzündung des Darm- kanals wich auf die Anwendung erweichender Mittel, wozu Malvenarten dienten. Die Sida- und Melochia-Arten sind im heißen Erdstrich ungemein wirksam. Indessen ging es mit der Wiedergenesung des Kranken sehr langsam, wie immer bei noch nicht ganz akklimatisierten Europäern. Die Regenzeit dauerte noch immer an, und an die Küste von Cumana zurück mußten wir wieder über die Llanos, wo man auf halbüber- schwemmtem Boden selten ein Obdach und etwas anderes als an der Sonne gedörrtes Fleisch zu essen findet. Um nicht Bonpland einem gefährlichen Rückfall auszusetzen, beschlossen wir bis zum 10. Juli in Angostura zu bleiben. Wir brachten diese Zeit zum Teil auf einer Pflanzung 1 in der Nachbar-
1 Trapiche, Eigentum von Don Felix Ferreras.
(Extractum corticis Angosturae). Es iſt dies ein Mittel, das die Kapuziner in den Miſſionen höchlich preiſen. Das Fieber wurde darauf ſtärker, hörte aber gleich am anderen Tage auf. Bonplands Zuſtand war ſehr bedenklich, und wir ſchwebten mehrere Wochen in der höchſten Beſorgnis. Zum Glück behielt der Kranke Kraft genug, um ſich ſelbſt behan- deln zu können. Er nahm gelindere, ſeiner Konſtitution an- gemeſſenere Mittel als die China vom Rio Carony. Das Fieber war anhaltend und wurde, wie faſt immer unter den Tropen, durch eine Komplikation mit Ruhr noch geſteigert. Während der ganzen ſchmerzhaften Krankheit behielt Bonpland die Charakterſtärke und die Sanftmut, die ihn auch in der ſchlimmſten Lage niemals verlaſſen haben. Mich ängſtigten trübe Ahnungen. Der Botaniker Löffling, ein Schüler Linnés, war nicht weit von Angoſtura, am Ufer des Carony, ein Opfer ſeines Eifers für die Naturwiſſenſchaft geworden. Wir hatten noch kein volles Jahr im heißen Erdſtrich zuge- bracht, und mein nur zu treues Gedächtnis vergegenwärtigte mir alles, was ich in Europa über die Gefährlichkeit der Luft in den Wäldern geleſen hatte. Statt den Orinoko hinaufzu- fahren, hätten wir ein paar Monate im gemäßigten, geſunden Klima der Sierra Nevada von Merida zubringen können. Den Weg über die Flüſſe hatte ich ſelbſt gewählt, und in der Gefahr, in der mein Reiſegefährte ſchwebte, erblickte ich die unſelige Folge dieſer unvorſichtigen Wahl.
Nachdem das Fieber in wenigen Tagen einen ungemeinen Grad von Heftigkeit erreicht hatte, nahm es einen weniger beunruhigenden Charakter an. Die Entzündung des Darm- kanals wich auf die Anwendung erweichender Mittel, wozu Malvenarten dienten. Die Sida- und Melochia-Arten ſind im heißen Erdſtrich ungemein wirkſam. Indeſſen ging es mit der Wiedergeneſung des Kranken ſehr langſam, wie immer bei noch nicht ganz akklimatiſierten Europäern. Die Regenzeit dauerte noch immer an, und an die Küſte von Cumana zurück mußten wir wieder über die Llanos, wo man auf halbüber- ſchwemmtem Boden ſelten ein Obdach und etwas anderes als an der Sonne gedörrtes Fleiſch zu eſſen findet. Um nicht Bonpland einem gefährlichen Rückfall auszuſetzen, beſchloſſen wir bis zum 10. Juli in Angoſtura zu bleiben. Wir brachten dieſe Zeit zum Teil auf einer Pflanzung 1 in der Nachbar-
1 Trapiche, Eigentum von Don Felix Ferreras.
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(Extractum corticis Angosturae). Es iſt dies ein Mittel,
das die Kapuziner in den Miſſionen höchlich preiſen. Das
Fieber wurde darauf ſtärker, hörte aber gleich am anderen
Tage auf. Bonplands Zuſtand war ſehr bedenklich, und wir
ſchwebten mehrere Wochen in der höchſten Beſorgnis. Zum
Glück behielt der Kranke Kraft genug, um ſich ſelbſt behan-
deln zu können. Er nahm gelindere, ſeiner Konſtitution an-
gemeſſenere Mittel als die China vom Rio Carony. Das
Fieber war anhaltend und wurde, wie faſt immer unter den
Tropen, durch eine Komplikation mit Ruhr noch geſteigert.
Während der ganzen ſchmerzhaften Krankheit behielt Bonpland
die Charakterſtärke und die Sanftmut, die ihn auch in der
ſchlimmſten Lage niemals verlaſſen haben. Mich ängſtigten
trübe Ahnungen. Der Botaniker Löffling, ein Schüler Linnés,
war nicht weit von Angoſtura, am Ufer des Carony, ein
Opfer ſeines Eifers für die Naturwiſſenſchaft geworden.
Wir hatten noch kein volles Jahr im heißen Erdſtrich zuge-
bracht, und mein nur zu treues Gedächtnis vergegenwärtigte
mir alles, was ich in Europa über die Gefährlichkeit der Luft
in den Wäldern geleſen hatte. Statt den Orinoko hinaufzu-
fahren, hätten wir ein paar Monate im gemäßigten, geſunden
Klima der Sierra Nevada von Merida zubringen können.
Den Weg über die Flüſſe hatte ich ſelbſt gewählt, und in
der Gefahr, in der mein Reiſegefährte ſchwebte, erblickte ich
die unſelige Folge dieſer unvorſichtigen Wahl.
Nachdem das Fieber in wenigen Tagen einen ungemeinen
Grad von Heftigkeit erreicht hatte, nahm es einen weniger
beunruhigenden Charakter an. Die Entzündung des Darm-
kanals wich auf die Anwendung erweichender Mittel, wozu
Malvenarten dienten. Die Sida- und Melochia-Arten ſind
im heißen Erdſtrich ungemein wirkſam. Indeſſen ging es mit
der Wiedergeneſung des Kranken ſehr langſam, wie immer
bei noch nicht ganz akklimatiſierten Europäern. Die Regenzeit
dauerte noch immer an, und an die Küſte von Cumana zurück
mußten wir wieder über die Llanos, wo man auf halbüber-
ſchwemmtem Boden ſelten ein Obdach und etwas anderes als
an der Sonne gedörrtes Fleiſch zu eſſen findet. Um nicht
Bonpland einem gefährlichen Rückfall auszuſetzen, beſchloſſen
wir bis zum 10. Juli in Angoſtura zu bleiben. Wir brachten
dieſe Zeit zum Teil auf einer Pflanzung 1 in der Nachbar-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/158>, abgerufen am 16.02.2025.
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