Sie sind graugrün, oval, von ganz gefälligem Ansehen, mit Henkeln in Gestalt von Krokodilen und Schlangen, am Rande mit Mäandern, Labyrinthen und mannigfach kombinierten ge- raden Linien geschmückt. Dergleichen Malereien kommen unter allen Himmelsstrichen vor, bei allen Völkern, mögen sie geo- graphisch und dem Grade der Kultur nach noch so weit aus- einander liegen. Die Bewohner der kleinen Mission May- pures bringen sie noch jetzt auf ihrem gemeinsten Geschirr an; sie zieren die Schilder der Tahitier, das Fischergeräte des Eskimos, die Wände des mexikanischen Palastes in Mitla und die Gefäße Großgriechenlands. Ueberall schmeichelt eine rhyth- mische Wiederholung derselben Formen dem Auge, wie eine taktmäßige Wiederkehr von Tönen dem Ohre. Aehnlichkeiten, welche im innersten Wesen unserer Empfindungen, in unserer natürlichen Geistesanlage ihren Grund haben, sind wenig geeignet, über die Verwandtschaft und die alten Verbindungen der Völker Licht zu verbreiten.
Hinsichtlich der Zeit, aus der sich die Mapires und die bemalten Gefäße in der Knochenhöhle von Ataruipe her- schreiben, konnten wir uns keine bestimmte Vorstellung bilden. Die meisten schienen nicht über hundert Jahre alt, da sie aber vor jeder Feuchtigkeit geschützt und in sehr gleichförmiger Temperatur sind, so wären sie wohl gleich gut erhalten, wenn sie auch aus weit früherer Zeit herrührten. Nach einer Sage der Guahibosindianer flüchteten sich die kriegerischen Atures, von den Kariben verfolgt, auf die Felsen mitten in den großen Katarakten, und hier erlosch nach und nach diese einst so zahlreiche Nation und mit ihr ihre Sprache. Noch im Jahre 1767, zur Zeit des Missionärs Gili, lebten die letzten derselben; auf unserer Reise zeigte man in Maypures (ein sonderbares Faktum) einen alten Papagei, von dem die Ein- wohner behaupten, "man verstehe ihn nicht, weil er aturisch spreche".
Wir öffneten, zum großen Aergernis unserer Führer, mehrere Mapires, um die Schädelbildung genau zu unter- suchen. Alle zeigten den Typus der amerikanischen Rasse; nur zwei oder drei näherten sich dem kaukasischen. Wir haben oben erwähnt, daß man mitten in den Katarakten, an den unzugänglichsten Orten, eisenbeschlagene Kisten mit europäischen Werkzeugen, mit Resten von Kleidungsstücken und Glaswaren findet. Diese Sachen, die zu den abge- schmacktesten Gerüchten, als hätten die Jesuiten dort ihre
Sie ſind graugrün, oval, von ganz gefälligem Anſehen, mit Henkeln in Geſtalt von Krokodilen und Schlangen, am Rande mit Mäandern, Labyrinthen und mannigfach kombinierten ge- raden Linien geſchmückt. Dergleichen Malereien kommen unter allen Himmelsſtrichen vor, bei allen Völkern, mögen ſie geo- graphiſch und dem Grade der Kultur nach noch ſo weit aus- einander liegen. Die Bewohner der kleinen Miſſion May- pures bringen ſie noch jetzt auf ihrem gemeinſten Geſchirr an; ſie zieren die Schilder der Tahitier, das Fiſchergeräte des Eskimos, die Wände des mexikaniſchen Palaſtes in Mitla und die Gefäße Großgriechenlands. Ueberall ſchmeichelt eine rhyth- miſche Wiederholung derſelben Formen dem Auge, wie eine taktmäßige Wiederkehr von Tönen dem Ohre. Aehnlichkeiten, welche im innerſten Weſen unſerer Empfindungen, in unſerer natürlichen Geiſtesanlage ihren Grund haben, ſind wenig geeignet, über die Verwandtſchaft und die alten Verbindungen der Völker Licht zu verbreiten.
Hinſichtlich der Zeit, aus der ſich die Mapires und die bemalten Gefäße in der Knochenhöhle von Ataruipe her- ſchreiben, konnten wir uns keine beſtimmte Vorſtellung bilden. Die meiſten ſchienen nicht über hundert Jahre alt, da ſie aber vor jeder Feuchtigkeit geſchützt und in ſehr gleichförmiger Temperatur ſind, ſo wären ſie wohl gleich gut erhalten, wenn ſie auch aus weit früherer Zeit herrührten. Nach einer Sage der Guahibosindianer flüchteten ſich die kriegeriſchen Atures, von den Kariben verfolgt, auf die Felſen mitten in den großen Katarakten, und hier erloſch nach und nach dieſe einſt ſo zahlreiche Nation und mit ihr ihre Sprache. Noch im Jahre 1767, zur Zeit des Miſſionärs Gili, lebten die letzten derſelben; auf unſerer Reiſe zeigte man in Maypures (ein ſonderbares Faktum) einen alten Papagei, von dem die Ein- wohner behaupten, „man verſtehe ihn nicht, weil er aturiſch ſpreche“.
Wir öffneten, zum großen Aergernis unſerer Führer, mehrere Mapires, um die Schädelbildung genau zu unter- ſuchen. Alle zeigten den Typus der amerikaniſchen Raſſe; nur zwei oder drei näherten ſich dem kaukaſiſchen. Wir haben oben erwähnt, daß man mitten in den Katarakten, an den unzugänglichſten Orten, eiſenbeſchlagene Kiſten mit europäiſchen Werkzeugen, mit Reſten von Kleidungsſtücken und Glaswaren findet. Dieſe Sachen, die zu den abge- ſchmackteſten Gerüchten, als hätten die Jeſuiten dort ihre
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0120"n="112"/>
Sie ſind graugrün, oval, von ganz gefälligem Anſehen, mit<lb/>
Henkeln in Geſtalt von Krokodilen und Schlangen, am Rande<lb/>
mit Mäandern, Labyrinthen und mannigfach kombinierten ge-<lb/>
raden Linien geſchmückt. Dergleichen Malereien kommen unter<lb/>
allen Himmelsſtrichen vor, bei allen Völkern, mögen ſie geo-<lb/>
graphiſch und dem Grade der Kultur nach noch ſo weit aus-<lb/>
einander liegen. Die Bewohner der kleinen Miſſion May-<lb/>
pures bringen ſie noch jetzt auf ihrem gemeinſten Geſchirr<lb/>
an; ſie zieren die Schilder der Tahitier, das Fiſchergeräte des<lb/>
Eskimos, die Wände des mexikaniſchen Palaſtes in Mitla und<lb/>
die Gefäße Großgriechenlands. Ueberall ſchmeichelt eine rhyth-<lb/>
miſche Wiederholung derſelben Formen dem Auge, wie eine<lb/>
taktmäßige Wiederkehr von Tönen dem Ohre. Aehnlichkeiten,<lb/>
welche im innerſten Weſen unſerer Empfindungen, in unſerer<lb/>
natürlichen Geiſtesanlage ihren Grund haben, ſind wenig<lb/>
geeignet, über die Verwandtſchaft und die alten Verbindungen<lb/>
der Völker Licht zu verbreiten.</p><lb/><p>Hinſichtlich der Zeit, aus der ſich die Mapires und die<lb/>
bemalten Gefäße in der Knochenhöhle von Ataruipe her-<lb/>ſchreiben, konnten wir uns keine beſtimmte Vorſtellung bilden.<lb/>
Die meiſten ſchienen nicht über hundert Jahre alt, da ſie<lb/>
aber vor jeder Feuchtigkeit geſchützt und in ſehr gleichförmiger<lb/>
Temperatur ſind, ſo wären ſie wohl gleich gut erhalten, wenn<lb/>ſie auch aus weit früherer Zeit herrührten. Nach einer Sage<lb/>
der Guahibosindianer flüchteten ſich die kriegeriſchen Atures,<lb/>
von den Kariben verfolgt, auf die Felſen mitten in den<lb/>
großen Katarakten, und hier erloſch nach und nach dieſe einſt<lb/>ſo zahlreiche Nation und mit ihr ihre Sprache. Noch im<lb/>
Jahre 1767, zur Zeit des Miſſionärs Gili, lebten die letzten<lb/>
derſelben; auf unſerer Reiſe zeigte man in Maypures (ein<lb/>ſonderbares Faktum) einen alten Papagei, von dem die Ein-<lb/>
wohner behaupten, „man verſtehe ihn nicht, weil er aturiſch<lb/>ſpreche“.</p><lb/><p>Wir öffneten, zum großen Aergernis unſerer Führer,<lb/>
mehrere Mapires, um die Schädelbildung genau zu unter-<lb/>ſuchen. Alle zeigten den Typus der amerikaniſchen Raſſe;<lb/>
nur zwei oder drei näherten ſich dem kaukaſiſchen. Wir<lb/>
haben oben erwähnt, daß man mitten in den Katarakten,<lb/>
an den unzugänglichſten Orten, eiſenbeſchlagene Kiſten mit<lb/>
europäiſchen Werkzeugen, mit Reſten von Kleidungsſtücken<lb/>
und Glaswaren findet. Dieſe Sachen, die zu den abge-<lb/>ſchmackteſten Gerüchten, als hätten die Jeſuiten dort ihre<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[112/0120]
Sie ſind graugrün, oval, von ganz gefälligem Anſehen, mit
Henkeln in Geſtalt von Krokodilen und Schlangen, am Rande
mit Mäandern, Labyrinthen und mannigfach kombinierten ge-
raden Linien geſchmückt. Dergleichen Malereien kommen unter
allen Himmelsſtrichen vor, bei allen Völkern, mögen ſie geo-
graphiſch und dem Grade der Kultur nach noch ſo weit aus-
einander liegen. Die Bewohner der kleinen Miſſion May-
pures bringen ſie noch jetzt auf ihrem gemeinſten Geſchirr
an; ſie zieren die Schilder der Tahitier, das Fiſchergeräte des
Eskimos, die Wände des mexikaniſchen Palaſtes in Mitla und
die Gefäße Großgriechenlands. Ueberall ſchmeichelt eine rhyth-
miſche Wiederholung derſelben Formen dem Auge, wie eine
taktmäßige Wiederkehr von Tönen dem Ohre. Aehnlichkeiten,
welche im innerſten Weſen unſerer Empfindungen, in unſerer
natürlichen Geiſtesanlage ihren Grund haben, ſind wenig
geeignet, über die Verwandtſchaft und die alten Verbindungen
der Völker Licht zu verbreiten.
Hinſichtlich der Zeit, aus der ſich die Mapires und die
bemalten Gefäße in der Knochenhöhle von Ataruipe her-
ſchreiben, konnten wir uns keine beſtimmte Vorſtellung bilden.
Die meiſten ſchienen nicht über hundert Jahre alt, da ſie
aber vor jeder Feuchtigkeit geſchützt und in ſehr gleichförmiger
Temperatur ſind, ſo wären ſie wohl gleich gut erhalten, wenn
ſie auch aus weit früherer Zeit herrührten. Nach einer Sage
der Guahibosindianer flüchteten ſich die kriegeriſchen Atures,
von den Kariben verfolgt, auf die Felſen mitten in den
großen Katarakten, und hier erloſch nach und nach dieſe einſt
ſo zahlreiche Nation und mit ihr ihre Sprache. Noch im
Jahre 1767, zur Zeit des Miſſionärs Gili, lebten die letzten
derſelben; auf unſerer Reiſe zeigte man in Maypures (ein
ſonderbares Faktum) einen alten Papagei, von dem die Ein-
wohner behaupten, „man verſtehe ihn nicht, weil er aturiſch
ſpreche“.
Wir öffneten, zum großen Aergernis unſerer Führer,
mehrere Mapires, um die Schädelbildung genau zu unter-
ſuchen. Alle zeigten den Typus der amerikaniſchen Raſſe;
nur zwei oder drei näherten ſich dem kaukaſiſchen. Wir
haben oben erwähnt, daß man mitten in den Katarakten,
an den unzugänglichſten Orten, eiſenbeſchlagene Kiſten mit
europäiſchen Werkzeugen, mit Reſten von Kleidungsſtücken
und Glaswaren findet. Dieſe Sachen, die zu den abge-
ſchmackteſten Gerüchten, als hätten die Jeſuiten dort ihre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/120>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.