lichen Einfälle angerichtet, wie unbillig es sei, daß man die Eingeborenen der Früchte ihrer Arbeit so wenig genießen lasse, wie ungerechtfertigt, daß man sie zwinge, in Angelegen- heiten, die sie nichts angehen, weite Reisen zu machen, endlich wie notwendig es erscheine, den jungen Geistlichen, die be- rufen seien, großen Gemeinden vorzustehen, in einem beson- deren Kollegium einige Bildung zu geben. Der Präsident schien mich freundlich anzuhören; indessen glaube ich doch, er wünschte im Herzen (ohne Zweifel im Interesse der Natur- wissenschaft), Leute, welche Pflanzen auflesen und das Gestein untersuchen, möchten sich nicht so vorlaut mit dem Wohle der kupferfarbigen Rasse und mit den Angelegenheiten der mensch- lichen Gesellschaft befassen. Dieser Wunsch ist in beiden Welten gar weit verbreitet; man begegnet ihm überall, wo der Gewalt bange ist, weil sie meint, sie stehe nicht auf festen Füßen.
Wir blieben nur einen Tag in San Fernando de Ata- bapo, obgleich dieses Dorf mit seinen schönen Pihiguao- palmen mit Pfirsichfrüchten uns ein köstlicher Aufenthalt schien. Zahme Pauxis1 liefen um die Hütten der Indianer her. In einer derselben sahen wir einen sehr seltenen Affen, der am Guaviare lebt. Es ist dies der Caparro, den ich in meinen Observations de zoologie et d'anatomie comparee bekannt gemacht, und der nach Geoffroy eine neue Gattung (Lagothrix) bildet, die zwischen den Atelen und den Aluaten in der Mitte steht. Der Pelz dieses Affen ist marder- grau und fühlt sich ungemein zart an. Der Caparro zeich- net sich ferner durch einen runden Kopf und einen sanften, angenehmen Gesichtsausdruck aus. Der Missionär Gili ist, glaube ich, der einzige Schrifsteller, der vor mir von diesem interessanten Tiere gesprochen hat, um das die Zoologen andere, und zwar brasilianische Affen zu gruppieren an- fangen.
Am 27. Mai kamen wir von San Fernando mit der raschen Strömung des Orinoko in nicht ganz sieben Stunden zum Einflusse des Rio Mataveni. Wir brachten die Nacht unter freiem Himmel unterhalb des Granitfelsens El Castillito zu, der mitten aus dem Flusse aufsteigt und dessen Gestalt
1 Es ist dies nicht Cuviers Ourax (Crax Pauxi, Lin.), son- dern der Crax alector.
lichen Einfälle angerichtet, wie unbillig es ſei, daß man die Eingeborenen der Früchte ihrer Arbeit ſo wenig genießen laſſe, wie ungerechtfertigt, daß man ſie zwinge, in Angelegen- heiten, die ſie nichts angehen, weite Reiſen zu machen, endlich wie notwendig es erſcheine, den jungen Geiſtlichen, die be- rufen ſeien, großen Gemeinden vorzuſtehen, in einem beſon- deren Kollegium einige Bildung zu geben. Der Präſident ſchien mich freundlich anzuhören; indeſſen glaube ich doch, er wünſchte im Herzen (ohne Zweifel im Intereſſe der Natur- wiſſenſchaft), Leute, welche Pflanzen aufleſen und das Geſtein unterſuchen, möchten ſich nicht ſo vorlaut mit dem Wohle der kupferfarbigen Raſſe und mit den Angelegenheiten der menſch- lichen Geſellſchaft befaſſen. Dieſer Wunſch iſt in beiden Welten gar weit verbreitet; man begegnet ihm überall, wo der Gewalt bange iſt, weil ſie meint, ſie ſtehe nicht auf feſten Füßen.
Wir blieben nur einen Tag in San Fernando de Ata- bapo, obgleich dieſes Dorf mit ſeinen ſchönen Pihiguao- palmen mit Pfirſichfrüchten uns ein köſtlicher Aufenthalt ſchien. Zahme Pauxis1 liefen um die Hütten der Indianer her. In einer derſelben ſahen wir einen ſehr ſeltenen Affen, der am Guaviare lebt. Es iſt dies der Caparro, den ich in meinen Observations de zoologie et d’anatomie comparée bekannt gemacht, und der nach Geoffroy eine neue Gattung (Lagothrix) bildet, die zwiſchen den Atelen und den Aluaten in der Mitte ſteht. Der Pelz dieſes Affen iſt marder- grau und fühlt ſich ungemein zart an. Der Caparro zeich- net ſich ferner durch einen runden Kopf und einen ſanften, angenehmen Geſichtsausdruck aus. Der Miſſionär Gili iſt, glaube ich, der einzige Schrifſteller, der vor mir von dieſem intereſſanten Tiere geſprochen hat, um das die Zoologen andere, und zwar braſilianiſche Affen zu gruppieren an- fangen.
Am 27. Mai kamen wir von San Fernando mit der raſchen Strömung des Orinoko in nicht ganz ſieben Stunden zum Einfluſſe des Rio Mataveni. Wir brachten die Nacht unter freiem Himmel unterhalb des Granitfelſens El Caſtillito zu, der mitten aus dem Fluſſe aufſteigt und deſſen Geſtalt
1 Es iſt dies nicht Cuviers Ourax (Crax Pauxi, Lin.), ſon- dern der Crax alector.
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lichen Einfälle angerichtet, wie unbillig es ſei, daß man die
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heiten, die ſie nichts angehen, weite Reiſen zu machen, endlich
wie notwendig es erſcheine, den jungen Geiſtlichen, die be-
rufen ſeien, großen Gemeinden vorzuſtehen, in einem beſon-
deren Kollegium einige Bildung zu geben. Der Präſident
ſchien mich freundlich anzuhören; indeſſen glaube ich doch, er
wünſchte im Herzen (ohne Zweifel im Intereſſe der Natur-
wiſſenſchaft), Leute, welche Pflanzen aufleſen und das Geſtein
unterſuchen, möchten ſich nicht ſo vorlaut mit dem Wohle der
kupferfarbigen Raſſe und mit den Angelegenheiten der menſch-
lichen Geſellſchaft befaſſen. Dieſer Wunſch iſt in beiden
Welten gar weit verbreitet; man begegnet ihm überall, wo
der Gewalt bange iſt, weil ſie meint, ſie ſtehe nicht auf
feſten Füßen.
Wir blieben nur einen Tag in San Fernando de Ata-
bapo, obgleich dieſes Dorf mit ſeinen ſchönen Pihiguao-
palmen mit Pfirſichfrüchten uns ein köſtlicher Aufenthalt ſchien.
Zahme Pauxis 1 liefen um die Hütten der Indianer her.
In einer derſelben ſahen wir einen ſehr ſeltenen Affen, der
am Guaviare lebt. Es iſt dies der Caparro, den ich in
meinen Observations de zoologie et d’anatomie comparée
bekannt gemacht, und der nach Geoffroy eine neue Gattung
(Lagothrix) bildet, die zwiſchen den Atelen und den Aluaten
in der Mitte ſteht. Der Pelz dieſes Affen iſt marder-
grau und fühlt ſich ungemein zart an. Der Caparro zeich-
net ſich ferner durch einen runden Kopf und einen ſanften,
angenehmen Geſichtsausdruck aus. Der Miſſionär Gili iſt,
glaube ich, der einzige Schrifſteller, der vor mir von dieſem
intereſſanten Tiere geſprochen hat, um das die Zoologen
andere, und zwar braſilianiſche Affen zu gruppieren an-
fangen.
Am 27. Mai kamen wir von San Fernando mit der
raſchen Strömung des Orinoko in nicht ganz ſieben Stunden
zum Einfluſſe des Rio Mataveni. Wir brachten die Nacht
unter freiem Himmel unterhalb des Granitfelſens El Caſtillito
zu, der mitten aus dem Fluſſe aufſteigt und deſſen Geſtalt
1 Es iſt dies nicht Cuviers Ourax (Crax Pauxi, Lin.), ſon-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/116>, abgerufen am 16.02.2025.
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